Indien «Mutter Ganges»: Voller Geschichte, Religion und Schmutz

AP/toko

13.8.2020

Betende Frau am Ufer in Mayapur an der «Mutter Ganges».
Betende Frau am Ufer in Mayapur an der «Mutter Ganges».
Andreas Drouve/dpa-tmn (Archivbild)

Mit kaum einem Fluss auf der Welt verbindet sich so vieles wie mit dem Ganges. Und ist er auch in weiten Abschnitten verschmutzt, sehen viele Hindus das anders. Eine Reise entlang der Ufer.

Vor mehr als 2000 Jahren errichtete der mächtige König Yayati eine Festung an den Ufern des Ganges, Indiens heiligstem Fluss. Heute ist nicht mehr viel davon übrig, nur Haufen von Schutt sind geblieben, in denen Menschen nach Ziegelsteinen suchen — um damit armselige Häuser über dem zu bauen, was einst Yayatis Festung war und heute der Rand einer ausgedehnten Industriestadt ist. Sie heisst Kanpur, ist für ihre Ledergerbereien bekannt und für die Mengen an schmutzigen Abwässern, die diese Fabriken in den Fluss pumpen.

Mehr als nur ein Fluss

Der Ganges fliesst auf einer Länge von 2700 Kilometern, vom Gangotri-Gletscher bis zum Golf von Bengalen, und er ist so etwas wie eine Chronik der Vergangenheit Indiens. Er war Zeuge vom Aufstieg und Fall mächtiger Imperien, von zu vielen Kriegen, zahllosen Königen, britischen Kolonien, von Unabhängigkeit und der Entwicklung des hinduistischen Nationalismus als politischer Bewegung.

In Indien ist der Ganges weit mehr als nur ein Fluss. Er verkörpert Religion, Industrie, Landwirtschaft und Politik. Er ist eine Wasserquelle für Millionen Menschen und ein immenses septisches System, das Millionen Liter an Abwässern über sich ergehen lassen muss.

Für die Hindus ist der Ganges «Ganga Ma», Mutter Ganges, und ein Zentrum spirituellen Lebens für mehr als eine Milliarde Menschen. Jedes Jahr pilgern Millionen zu den religiösen Stätten an den Ufern. Aus dem Fluss zu trinken verheisst Glück. Und für viele Hindus ist das Leben unvollkommen, wenn man nicht wenigstens einmal im Ganges gebadet hat, um eigene Sünden wegzuwaschen.

Aber der Fluss hat seine Probleme. Sein Wasser zu trinken, ist wegen der Verschmutzung auf langen Abschnitten zu gefährlich. Kriminelle Banden schürfen illegal Sand von den Ufern: Das bringt Geld, denn Indien hat einen unstillbaren Bedarf an Beton. Der Bau von Wasserkraftwerken an den Nebenflüssen, notwendig für den Antrieb der wachsenden Wirtschaft Indiens, hat manche Hindus erzürnt. Sie betrachten das als eine Verletzung der Heiligkeit des Flusses.

Indische Fischer auf dem Ganges in Prayagraj.
Indische Fischer auf dem Ganges in Prayagraj.
Bild: Keystone/AP/RAJESH KUMAR SINGH

Und in den vergangenen 40 Jahren ist der Gangotri-Gletscher — die Quelle für fast die Hälfte des Ganges-Wassers — in einem zunehmend erschreckenden Tempo geschrumpft. Er verliert jetzt fast 22 Meter im Jahr. Gangotris Schmelzwasser hat seit Jahrtausenden sichergestellt, dass die Ebenen nicht zu ausgedörrt wurden, auch nicht in den trockensten Monaten. Der Rest des Wasser kommt von Nebenflüssen im Himalaja, die von den kolossalen Bergketten herunterfliessen.

In den Ebenen beginnt das einst saubere und mineralreiche Wasser den giftigen Abfall von den Millionen Menschen zu sammeln, die vom Ganges abhängen. Millionen Liter von Abwässern, Schwermetalle, Pestizide aus der Landwirtschaft, Leichen und Tierkadaver werden täglich im Fluss abgeladen, der nun dabei ist, einer der schmutzigsten auf der ganzen Welt zu werden.

Befreit vom Kreislauf der Geburt und des Todes.

Aber für die Hindus bleibt er rein, im religiösen Sinne. Jedes Jahr bringen Zehntausende die sterblichen Überreste gestorbener Angehörigen nach Varanasi, zum Kremieren am Fluss. Ein Hindu, der in der Stadt stirbt oder hier am Ganges eingeäschert wird, gilt als befreit vom Kreislauf der Geburt und des Todes.

Hinter Varanasi setzt der Ganges seine Reise gen Osten fort, durch schier endlos scheinendes Ackerland mit zunehmender Nähe zur Küste. In der Wildnis des Deltas spaltet er sich schliesslich in immer kleinere Flüsse auf. Der grösste davon, Hooghly, fliesst südwärts in Richtung Meer — durch Kalkutta, der grössten Stadt im Osten Indiens, in der heute 15 Millionen Menschen leben. Am Ende ergiesst sich sein Wasser in den Golf von Bengalen.



Hoch oben am Gangroti-Gletscher erklärt ein hinduistischer heiliger Mann namens Mouni Bab, der viel Zeit in seinem Leben mit Meditieren verbringt, was er im Ganges sieht: ein Spiegelbild der Menschheit. «Menschliche Existenz ist wie dieses Eis», sagt er. «Es schmilzt und wird Wasser und vereinigt sich dann zu einem Bach. Der Bach fliesst in einen Nebenfluss, der in einen Fluss mündet, und dann endet es alles in einem Meer. Einige (Flüsse) bleiben rein, während andere auf ihrem Weg Schmutz sammeln. Einige (Leute) helfen der Menschheit, und andere werden zur Ursache von Zerstörung.»

Zurück zur Startseite