Motorisierte Helfer Roboter bei Amazon und Co.: «Die Symphonie von Mensch und Maschine»

AP

31.12.2019

Immer mehr Versandhändler und Logistiker sind mit eigenen Robotern eingestiegen, immer neue Modelle kommen auf den Markt.
Immer mehr Versandhändler und Logistiker sind mit eigenen Robotern eingestiegen, immer neue Modelle kommen auf den Markt.
Bild: Ross D. Franklin/AP/dpa

Helfende Roboter sind aus den grossen Hallen der US-Versandhändler nicht mehr wegzudenken. Forscher beobachten steigenden Druck für die menschlichen Kollegen. Nicht alle können Schritt halten.

Noch vor gut fünf Jahren waren es 15'000, 2018 fast 100'000 Roboterfahrzeuge bei Amazon in den USA. Bis jetzt stieg die Zahl der motorisierten Helfer in dem Unternehmen nochmals auf mehr als 200'000. Längst haben Roboter ihren Siegeszug in den Auslieferungslagern des Landes angetreten. Für Amazon und seine Konkurrenten sind sie nicht mehr wegzudenken. Anders als befürchtet haben die Roboter den Kollegen aus Fleisch und Blut zwar nicht radikal die Jobs gestohlen. Aber die Zusammenarbeit bringt Probleme.

In Lagerhallen mit Robotern und ähnlichen automatischen Systemen steigen Arbeitsbelastung und Druck, wie Beth Gutelius von der Universität von Illinois in Chicago sagt. Das führe leichter zu Burnout. Und was Sicherheitsfragen angeht, sieht sie zwar nach Gesprächen mit Hallenbetreibern quer durch die USA keine Versäumnisse beim Training der Mitarbeiter.

Der Umgang mit den Roboter-Kollegen werde aber zum Problem, «wenn die Produktivitätsstandards so hoch gesetzt werden». Denn die schnelle Abfertigung der Bestellungen mit Hilfe der Roboter steigert Quote und Tempo, mit denen die Beschäftigten Schritt halten müssen. Nicht alle schaffen das.

Beobachter fürchten deshalb auch Konsequenzen für Gesundheit und Sicherheit der Kollegen. Nach Recherchen des Investigativnetzwerks Reveal wurden beispielsweise bei Amazon mehr Verletzungen aus Lagern mit Robotern gemeldet als aus solchen ohne. Manche der sich bewegenden Maschinen sind bis zu einer halben Tonne schwer. «Sie wiegen eine Menge», sagt Amazon-Mitarbeiterin Amanda Taillon.

«Am Anfang ist das ganz schön nervenaufreibend»

Sie ist in einem Lager in Connecticut im Einsatz, wo 1,80 Meter grosse Roboterregale herumfahren. Wenn die durcheinandergeraten, sich ein Stau bildet oder ein Packet herunterfällt, muss Taillon die Roboter bremsen, bis das Problem behoben ist. «Wenn man da draussen ist und man hört, wie sie herumfahren, aber sie nicht sehen kann, fragt man sich: "Wo tauchen sie jetzt auf?"», sagt Taillon. «Am Anfang ist das ganz schön nervenaufreibend.»

Ein Amazon-Mitarbeiter schleppt Container in einen Transporter.
Ein Amazon-Mitarbeiter schleppt Container in einen Transporter.
Ross D. Franklin/AP/dpa

Der Roboter-Boom in der Logistik- und Handelsbranche geht vor allem auf den Erwerb des Start-ups Kiva Systems im Jahr 2012 zurück. Damals kaufte Amazon den Lagerroboterhersteller aus Massachusetts für knapp 700 Millionen Euro. Dieser Kauf habe «für alle anderen Versandhändler den Ton vorgegeben», sagt Jim Liefers, Chef des Start-ups Kindred AI in San Francisco, das intelligente Roboterarme fertigt. Das Interesse von Risikokapitalanlegern und privaten Investoren sei bis 2015 auf eine Summe von umgerechnet gut 1,3 Milliarden Euro gestiegen und halte weiter an, erklärt Rian Whitton vom Forschungsunternehmen ABI Research.

Immer neue Modelle kommen auf den Markt

Immer mehr Versandhändler und Logistiker sind mit eigenen Robotern eingestiegen, immer neue Modelle kommen auf den Markt. Ohne die schnellen automatischen Transporter, Greifroboter und sonstige selbstgesteuerte Maschinen könnten die Bestellungen der Kunden gar nicht mehr abgefertigt werden, betonen die Versandhändler. Vor allem, wenn das Versprechen lautet, dass die Ware schon am Tag nach der Online-Bestellung an der Haustür eintrifft.

Dabei verändere das Zusammenspiel von Mensch und Maschine die Arbeit auf eine Weise, dass die «menschlichen Fähigkeiten ausgebaut» würden, heisst es bei Amazon Robotics. Arbeitnehmer wechselten hin zu Aufgaben, die sie am besten könnten — etwa zur Problemlösung. Die «harmonische Zusammenarbeit unserer Kollegen und Roboter» führe ausserdem zu niedrigeren Kosten für die Kunden, erklärt Cheftechnologe Tye Brady. «Ich spreche gerne von einer Symphonie von Mensch und Maschine.»

Forscher beobachten steigenden Druck für die Arbeitnehmer.
Forscher beobachten steigenden Druck für die Arbeitnehmer.
Bild: Ross D. Franklin/AP/dpa

Forscherin Beth Gutelius dagegen sieht die Entwicklung nicht nur positiv. Natürlich höre sich toll an, was die Unternehmen über ihre Roboter sagten. «Aber ich höre selten von der Arbeitnehmerseite, dass es sich so anfühlt.» Sie ist Mitautorin eines im Herbst veröffentlichten Berichts, laut dem neue Technik in Lagerhallen zur Nullrunde bei Löhnen beitragen könnte. Ausserdem warnen die Forscher vor höherer Fluktuation und schlechteren Arbeitserfahrungen — wegen der Art und Weise, wie Künstliche Intelligenz das Verhalten von Mitarbeitern beobachten und zu stark steuern kann.

Unter den Befürwortern von Robotern in der Logistik ist indes umstritten, wie diese in Zukunft am Arbeitsplatz eingesetzt werden sollen. Bei Amazon lebten die Roboter «in Käfigen», kritisiert Melonee Wise, Chefin des kalifornischen Unternehmens Fetch Robotics, das Roboterwagen an Einzelhändler verkauft. «Unsere Roboter sind so entwickelt, dass sie sicher um Menschen herum arbeiten.» Im Konkurrenz-System seien Mitarbeiter zu nicht-ergonomischen Bewegungen gezwungen — müssten etwa weit nach oben greifen oder sich tief bücken, wenn sie Gegenstände auf den rollenden Regalen verstauen wollten.


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