Flutkatastrophe in Libyen Zahl der Toten in Darna steigt auf 11’300

dpa/ap

15.9.2023 - 06:01

Flutkatastrophe in Libyen: Stadt rechnet mit bis zu 20.000 Toten

Flutkatastrophe in Libyen: Stadt rechnet mit bis zu 20.000 Toten

STORY: Nach der Flutkatastrophe in Libyen suchen Einsatzkräfte weiter nach Opfern und Vermissten. Allzu oft können sie jedoch nur noch Leichen bergen. Der Bürgermeister der besonders schwer getroffenen Küstenstadt Derna geht davon aus, dass sich die Zahl der Toten auf bis zu 20.000 erhöhen könnte. Dies ergebe sich auf Grundlage der Teile der Stadt, die zerstört worden seien, sagte Abdulmenam Al-Ghaithi am Mittwoch dem Sender al-Arabija. Bislang gingen Regierungsvertreter von über 5300 Toten in Derna aus. Auf die Frage, wie viele Menschen durch das Unwetter getötet worden sein könnten, brach dieser Mediziner am Mittwoch in Tränen aus. Die Zahlen seien gigantisch, Genaues könne er aber nicht sagen, so der Mann. Nach bisherigen Erkenntnissen war nach sintflutartigen Regenfällen oberhalb der Stadt ein Damm gebrochen. Danach raste eine Flutwelle durch den 125.000 Einwohner zählenden Ort und spülte ganze Strassenzüge ins Meer. Unterdessen ist auch Hilfe aus Deutschland angelaufen. Im Logistikzentrum des Technischen Hilfswerks in Bayern wurden am Mittwoch Hilfsgüter verladen. «Wir schicken hier aus dem Landesverband aus dem Logistikzentrum des Landesverbands Bayern verschiedene Hilfsgüter, die vor Ort dringend gebraucht werden, wie Familien, Zelte, Schlafsäcke, Decken, Isomatten. Aber auch Feldbetten, so dass die Flutopfer vor Ort auch übernachten können und ein trockenes Dach über dem Kopf haben.» Am Donnerstag sollen die Hilfsgüter mit Maschinen der Bundeswehr vom niedersächsischen Stützpunkt Wunstorf aus nach Libyen geflogen werden.

14.09.2023

Weitere 10’100 Menschen sind in der libyschen Küstenstadt nach Angaben einer Hilfsorganisation zudem als vermisst gemeldet. Nach Einschätzung des Generalsekretärs der Weltwetterorganisation hätten viele der Opfer vermieden werden können.

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  • Die Zahl der Toten in der ostlibyschen Stadt Darna ist auf mindestens 11’300 gestiegen.
  • Der Bürgermeister von Darna geht davon aus, dass die Zahl der Toten allein in der Stadt noch auf 18’000 bis 20’000 steigen wird.
  • Weitere 10’100 Menschen sind in der libyschen Küstenstadt nach Angaben einer Hilfsorganisation zudem als vermisst gemeldet.
  • Sturm «Daniel» hatte am Sonntag im Osten Libyens zu verheerenden Überschwemmungen geführt.
  • In Darna durchbrachen die Wassermassen Staudämme ausserhalb der Stadt. Die Fluten rissen ganze Stadtviertel mit sich und schwemmten Menschen aufs Meer hinaus.
  • Nach den Überschwemmungen stehen die Rettungsteams vor gewaltigen logistischen Herausforderungen.
  • Die Fluten haben Zufahrtsstrassen zu Darna weggeschwemmt, wichtige Brücken sind unter Schlammmassen begraben. Insbesondere der Osten der Stadt ist weiter vom Rest abgeschnitten

Nach den verheerenden Überschwemmungen ist die Zahl der Toten in der ostlibyschen Stadt Darna auf mindestens 11’300 gestiegen. Das teilte der Rote Halbmond in Libyen am Donnerstagabend mit. Marie al-Dresse, die Generalsekretärin der Hilfsorganisation, sagte der Nachrichtenagentur AP per Telefon, dass in der Mittelmeerstadt noch weitere 10’100 Menschen vermisst gemeldet seien. Zuvor hatten die Behörden die Zahl der Toten in Darna auf 5500 beziffert.

Sturm «Daniel» hatte im Osten Libyens zu verheerenden Überschwemmungen geführt. In Darna durchbrachen die Wassermassen Staudämme ausserhalb der Stadt. Die Fluten rissen ganze Stadtviertel mit sich und schwemmten Menschen aufs Meer hinaus.

Ein von den Wassermassen zerstörter Teil von Darna. (14. September 2023) 
Ein von den Wassermassen zerstörter Teil von Darna. (14. September 2023) 
Bild: Keystone/EPA

Aus Sicht des Generalsekretärs der Weltwetterorganisation (WMO), Petteri Taalas, hätten die meisten Opfer bei der Überschwemmungskatastrophe verhindert werden können. Hätte es normal operierende Wetterdienste gegeben, hätten diese Warnungen herausgeben können, sagte er am Donnerstag zu Journalisten in Genf. «Die Notfallbehörden wären in der Lage gewesen, die Evakuierung umzusetzen.»

Keine Warnung über Gefahr von Dammbrüchen

Die WMO hatte zuvor in dieser Woche erklärt, dass der nationale Wetterdienst 72 Stunden vor den Überschwemmungen die Regierungsbehörden via Email und durch Medien informiert habe. Vertreter der Behörden im Osten Libyens hatten die Öffentlichkeit vor einem herannahenden Sturm gewarnt und Anwohner von Küstengebieten zur Evakuierung aufgerufen, weil sie Sturzfluten vom Meer aus erwarteten. Eine Warnung über die Gefahr von Dammbrüchen hatte es aber nicht gegeben.

Libyen ist durch rivalisierende Regierungen – eine im Osten, die andere im Westen – geteilt, was zu einer weitgehenden Vernachlässigung der Infrastruktur geführt hat. Die Dämme, die ausserhalb der Küstenstadt Darna brachen, wurden in den 70er Jahren gebaut und seit Jahren nicht mehr instandgehalten, wie örtliche Medien berichteten. Die Katastrophe führte jedoch zu einem seltenen Moment der Einheit zwischen den rivalisierenden Regierungen, deren Behörden jeweils Hilfen bereitstellten. Während die Regierung im Osten des Landes die Hilfsbemühungen leitet, stellte die im Westen umgerechnet rund 390 Millionen Euro an Hilfsgeldern zur Verfügung. Der Ministerpräsident der Regierung im Westen Libyens, Abdul Hamid Dbaiba, forderte eine Untersuchung der Dammbrüche.

Auf der Karte ist das Ausmass der Zerstörung in Darna zu sehen.
Auf der Karte ist das Ausmass der Zerstörung in Darna zu sehen.
Grafik: United Nations Satellite Center/Maxar Technologies/Phil Holm

Nach den verheerenden Überschwemmungen stehen die Rettungsteams vor gewaltigen logistischen Herausforderungen. Die Fluten haben Zufahrtsstrassen zu Darna weggeschwemmt, wichtige Brücken sind unter Schlammmassen begraben. Insbesondere der Osten der Stadt sei weiter vom Rest abgeschnitten, berichteten Augenzeugen vor Ort der Deutschen Presse-Agentur. Kommunikationsverbindungen seien teilweise abgerissen. Auch andere Orte in dem Bürgerkriegsland sind auf Unterstützung angewiesen. Nach Einschätzung des Nothilfebüros der Vereinten Nationen brauchen Hunderttausende Menschen dringend Hilfe.

Fast 900’000 Menschen betroffen

Das Welternährungsprogramm (WFP) hat unterdessen die Versorgung Tausender Familien in Libyen mit Lebensmitteln aufgenommen. Man habe damit begonnen, dringend benötigte Nahrungsmittelhilfe für mehr als 5000 Familien bereitzustellen, teilte die Organisation mit. «Diese verheerenden Überschwemmungen haben ein Land heimgesucht, in dem eine tiefe politische Krise bereits so viele Menschen in eine verzweifelte Lage gebracht hat. Neben dem tragischen Verlust von Menschenleben sind nun Tausende von Familien in Darna ohne Nahrung und Unterkunft», sagte die Exekutivdirektorin des WFP, Cindy McCain.

In einem Dringlichkeitsappell rief das UN-Büro für humanitäre Hilfe zu Soforthilfen in Höhe von 71,4 Millionen Dollar auf, «um den dringenden Bedarf von 250’000 am stärksten betroffenen Libyern zu decken». Die Lage im Nordosten des Landes sei kritisch. Fast 900’000 Menschen in fünf Provinzen des Landes lebten in Gebieten, die vom Sturm «Daniel» und den dadurch ausgelösten Sturzfluten «direkt und in unterschiedlichem Ausmass» betroffen seien.

«Daniel» hatte das nordafrikanische Land am Sonntag erfasst und heftige Regenfälle ausgelöst. Nahe Darna brachen zwei Dämme, ganze Viertel der 100’000 Einwohner zählenden Stadt wurden regelrecht ins Meer gespült. «Wir erwarten eine sehr hohe Zahl von Opfern», sagte Bürgermeister Abdel-Moneim al-Gheithy dem arabischen Fernsehsender Al-Arabija. Ausgehend von den zerstörten Stadtbezirken könnten es «18’000 bis 20’000 Tote sein».

Ganze Wohnviertel ausgelöscht

UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths sagte: «Ganze Wohnviertel sind von der Karte verschwunden.» Die Lage sei «schockierend und herzzerreissend». Die vordringlichste Aufgabe sei es nun, die Ausbreitung von Krankheiten zu verhindern. Nach Einschätzung des Leiters der Libyen-Delegation beim Internationalen Roten Kreuz, Yann Fridez, könnte es «viele Monate, vielleicht Jahre dauern, bis die Anwohner sich von diesem riesigen Ausmass an Zerstörung erholt haben».

dpa/ap