Welt der Gegensätze Stilles Sterben in Italien – Körpernähe beim Mexiko-Festival

Von Philipp Dahm

20.3.2020

Krematorien am Anschlag: Ein Militärkonvoi transportiert in der Nacht auf den 19. März in Bergamo, Norditalien, Särge ab.
Krematorien am Anschlag: Ein Militärkonvoi transportiert in der Nacht auf den 19. März in Bergamo, Norditalien, Särge ab.
Bild: Keystone

Phänomen Corona-Kaskade: erste Entspannung in Asien, in Italien dagegen stapelweise Särge. Afrika fürchtet die Krankheitswelle, wohingegen in Mexiko 70'000 Festivalgäste Guns'n'Roses feiern.

Bei uns Menschen dauert es in der Regel, bis der Rappen fällt. Bill Gates warnte etwa schon 2015 vor einer Pandemie von der Tragweite, wie wir sie in diesen Wochen erleben. Hätte der Microsoft-Gründer damals Gehör gefunden, wären heute weltweit wohl weniger Menschen Opfer des Coronavirus geworden.

Andererseits können Herr und Frau Schweizer an sich selbst beobachten, wie es dauert, bis eine Gefahr ins (öffentliche) Bewusstsein vordringt. Erinnern wir uns: Als die Krankheit im Januar in Asien aufkam, erregte das in unseren Breiten noch relativ wenig Aufsehen.

Doch dann wurde Norditalien zum Infektionsherd: Soeben spotteten noch viele über Corona-Sorgen und -Ängste, und nun erreichen uns Fotos aus dem südlichen Nachbarland – wie jenes ganz oben im Artikel: Der Anblick dieses Särge transportierenden Militärkonvois schockiert.

Polizisten jagen auch mit Drohnen in Grosseto in Italien jene, die die Aiusgangssperre brechen.
Polizisten jagen auch mit Drohnen in Grosseto in Italien jene, die die Aiusgangssperre brechen.
Bild: Keystone

Was für uns im Kleinen gilt, trifft auch auf Gesellschaften als Ganzes zu. Die Erkenntnis über die Tragweite dieser Krankheit setzt sich in Kaskaden durch. Sie sickert von Kontinent zu Kontinent durch und verfeinert sich dann von Land zu Land, wie sich derzeit gut an fünf Beispielen in Asien, Europa, Afrika, Nord- und Südamerika zeigen lässt.

Asien: Höhepunkt der ersten Welle wohl erreicht

Dort, wo das neue Coronavirus zuerst aufgetreten ist, hat es für Wochen auch den grössten Schaden angerichtet. In China etwa hat sich die Öffentlichkeit zwangsläufig mit Covid-19 beschäftigen müssen, und das ist mit ein Grund dafür, dass die Corona-Welle dort nicht weiter ansteigt. Wird zumindest behauptet.

Der Flughafen Peking am 17. März.
Der Flughafen Peking am 17. März.
Bild: Keystone

Kommt hinzu, dass das autoritäre Regime in China einfacher drastische Massnahmen anordnen und durchsetzen kann. Der Höhepunkt der ersten Pandemie-Welle scheint erreicht: Am zweiten Tag in Folge habe es dort keine lokalen Neuerkrankungen gegeben, wie die «Washington Post» nun berichtet. Gleichzeitig gilt, dies noch einmal: Die Kehrseite jenes Einparteiensystems ist, dass derlei Meldungen nicht überprüft werden können.

Desinfektion einer U-Bahn-Haltestelle in Soul, Südkorea.
Desinfektion einer U-Bahn-Haltestelle in Soul, Südkorea.
Bild: Keystone

Auch in Südkorea ebbt die Flut der Infektionen offenbar ab: Die Zahl der Neuerkrankungen sei von 152 am Donnerstag auf 87 am Freitag gesunken. Faktoren, die sich hier positiv auswirken, sind Tests auf breiter Basis – etwa beim Drive-Thru vom Schnellrestaurant – und die Disziplin der Bevölkerung in Sachen Hygiene und Social Distancing.

Europa: Mittendrin

Als die Krise in Italien begann und erst Städte und dann ganze Regionen unter Quarantäne gestellt wurden, mag mancher sich hierzulande noch gewundert haben. Heute wissen wir: Dass zum Beispiel Ausgangssperren in irgendeiner Form auch hierzulande ausgesprochen werden, ist mindestens wahrscheinlich.

Bis sich die Erkenntnis von der massiven Corona-Gefahr an den Rand des Kontinents durchsetzt, dauert es: Wer die aktuellen Bilder der Eröffnung eines Einkaufszentrums in Helsinki mit der entsprechende Menschenmasse in finnischen Medien sieht,  kann nur ungläubig den Kopf schütteln. Mutmasslich werden es auch die Finnen noch begreifen, was derzeit eigentlich vor sich geht.

Angst in Afrika

Nordafrika scheint dagegen zu wissen: Die Stunde hat geschlagen. Die Absage des für Muslime besonders wichtigen Freitagsgebets in Marokko spricht Bände. Auf dem gesamten Kontinent verbreitee sich die Pandemie «ziemlich schnell», warnt der regionale WHO-Verantwortliche Dr. Matshidiso Moeti. Bis Donnerstag waren 36 von 54 afrikanischen Staaten betroffen.

Viele Länder reagierten hilflos auf die sich anbahnende Coronakrise: Seit Donnerstag haben die meisten von ihnen die Grenzen geschlossen. In Kamerun sollen Amerikaner und Europäer angegangen worden sein, weil sie nach Meinung einiger Einheimischer das Coronavirus eingeschleppt hätten, berichtet die Nachrichtenagentur «AP».

Epizentrum des Kontinents ist Südafrika, wo die Zahl der Infektionen zuletzt einen Sprung machte – von 116 auf 150. Erschreckend: Sechs der neuen Fälle sind Kinder, die keine zehn  Jahre alt sind. «Ich denke, Afrika sollte aufwachen», sagt Tedros-Ahanom, ein Äthiopier, von der WHO. 

Nordamerika: Ignorant bis kreativ

In Nordamerika ist der Ernst der Lage erkannt. Die Late-Night-Hosts nehmen ihre Sendungen von zuhause aus auf – und binden Informationen dabei auf unterhaltsame Art in ihr improvisiertes, aber kreatives Programm ein.

Noch nicht verstanden habe ihn jene Jugendliche, die nicht auf die berühmt-berüchtigte, traditionelle Ferienfeier «Spring Break» verzichten wollen.

Die «Daily Show» zeigt ab Minute 5.54, was da los ist  – und auch, wie es bei Trevor Noah und seinen Korrespondenten privat aussieht. Weh tut dagegen, was ab Minute 2.55 zu sehen ist: Da verspricht Donald Trump doch tatsächlich Heilung, ein Malaria-Medikament solle an Covid-19-Patienten getestet werden.

Wer die Idee dazu hatte? Donald Trump – und die zuständige Behörde FDA muss die Suppe nun auslöffeln. «Wenn ich mein Gesicht mit meinen Händen bedecken könnte, würde ich es tun» , meint Trevor Noah, «denn das ist die peinlichste Sache überhaupt!»

Südamerika: «Live and Let Die»

Wer infolge des Andrangs bei der Mall-Eröffnung in Helsinki ins Schwitzen gekommen ist, kriegt nun hoffentlich keinen Schlag: Während die Veranstaltungen auf der ganzen Welt reihenweise ins Wasser gefallen sind, haben in Mexiko City am Wochenende über 70'000 Menschen miteinander getrunken, gefeiert und geschwitzt.

Anlass war das Musikfestival «Vive Latino», bei dem laut britischem «Independent» unter anderem Guns'n'Roses aufgetreten sind – da bekommen deren Songs wie «Back Off Bitch», «Live and Let Die» oder «Knocking On Heavens Door» einen doch eher schalen Beigeschmack.

«It's So Easy» auf em «Vive Latino».

Dass in Mexiko die drohende Gefahr noch nicht erkannt worden ist, unterschätzt wird, lässt sich auch ganz gut mit einem Bild belegen, das am 14. März entstanden ist. Derselbe Tag notabene, an dem der Gesundheitsminister seine Landsleute ermahnt hat, einen «gesunden Abstand« zueinander einzuhalten.

Mexikos Präsident Andres Manuel Lopez  trifft am 14. März in Xochistlahuaca Anhänger.
Mexikos Präsident Andres Manuel Lopez  trifft am 14. März in Xochistlahuaca Anhänger.
Bild: Reuters

Die Katerstimmung wird gross sein, wenn Festivalbesucher, die Nation und Präsident Andres Manuel Lopez Obrador in der Realität ankommen.

Bilder des Tages

Zurück zur Startseite