Die vergessene Schlacht des Zweiten Weltkriegs Schlacht um die Aleuten vor 75 Jahren verfolgt Veteranen bis heute

Von Mark Thiessen und Mari Yamaguchi, AP

30.5.2018

Die Kämpfe im äussersten Westzipfel der USA gelten als die vergessene Schlacht des Zweiten Weltkriegs. Doch den Veteranen ist das Gemetzel bis heute gegenwärtig. Die einzige Schlacht des Zweiten Weltkrieges auf US-Gebiet gehört zu den verlustreichsten des ganzen Krieges.

Die Kämpfe, in denen William Roy Dover sein Leben riskiert hat, gelten als die vergessene Schlacht des Zweiten Weltkriegs. Doch Dover erinnert sich auch nach 75 Jahren noch so an das Gemetzel auf den zu Alaska gehörenden Aleuten, als sei es gestern gewesen: Um 2.00 Uhr morgens habe ihn sein Vorgesetzter aus seinem Zelt gejagt, weil die Japaner angriffen. «"Auf! Auf!" hat er gebrüllt», berichtet der 95-Jährige.

Die Truppen das japanischen Kaiserreichs hatten Ende Mai 1943 auf der Insel Attu zu einem verzweifelten Schlag ausgeholt und waren wohl schon hinter die US-Frontlinie gelangt. Dover und seine Kameraden hasteten zu einem Damm, der später als Engineer Hill bekannt wurde. «Ich hatte zwei Freunde, die kamen nicht schnell genug raus», erzählt der Farmer aus Alabama. «Sie wurden in ihren Zelten mit Bajonetten aufgespiesst.»

Joseph Sasser aus Mississippi, damals ein schmaler 20-Jähriger, kauerte sich am Engineer Hill hinter eine Böschung. Drei Meter weiter hockte sein Hauptmann. «Nach etwa einer halben Stunde oder so merkte ich, dass er schrecklich still war», berichtet Sasser. Der Hauptmann lebte nicht mehr. «Wir haben nicht mal gewusst, dass er erschossen war», erinnerte sich der heute 95-Jährige.

Attu liegt am äussersten Ende der Aleuten, einer Inselkette, die von Alaska weit nach Westen in den Pazifik hineinragt. 1942 besetzten die Japaner das Eiland und eroberten auch die Nachbarinsel Kiska. Es war das erste und einzige Mal, dass feindliche Bodentruppen während des Zweiten Weltkriegs auf US-Territorium vordrangen.

Japaner: Massenselbstmord im Namen des Kaisers

Kiska war unbewohnt, doch auf Attu lebten 45 Menschen. Die Japaner brachten sie nach Hokkaido, wo sie interniert wurden. Etwa die Hälfte von ihnen starb, meist an Unterernährung.

Im Mai 1943 schlugen die Amerikaner zurück. Der grösste Teil waren Nahkämpfe in dichtem Nebel, dazu wüteten Orkane mit bis zu 193 Stundenkilometern. 19 Tage tobte die Schlacht, die sich von den Verlustraten her zu einer der schlimmsten des ganzen Kriegs auswuchs. Etwa 550 US-Soldaten wurden getötet. Viele waren in der Wüste Kaliforniens trainiert worden. Für die Kämpfe Tausende Kilometer weiter nordöstlich waren sie dagegen denkbar schlecht ausgerüstet. Von den geschätzt 2500 Japanern überlebten sogar nur 28.

Am 29. Mai entschlossen sich die Japaner am Engineer Hill zu einem letzten selbstmörderischen Angriff. «Japanische Soldaten überraschen amerikanische Kräfte mit einer fanatischen Attacke aus den Bergen», heisst es in der Chronologie der Nachrichtenagentur AP. «Brutale Kämpfe toben den ganzen Tag bis in die folgende Nacht.»

Rund 200 Japaner fielen. Die übrigen etwa 500 drückten sich ihre letzten Handgranaten in die Bäuche und zogen die Zünder ab. Es war der erste sogenannte Gyokusai - ein Euphemismus für Massenselbstmord im Namen des Kaisers Hirohito, der später auch auf anderen Schlachtfeldern praktiziert wurde.

Tomimatsu Takahashi berichtete schon vor Jahren, wie es auf japanischer Seite zuging. Er sei wegen einer Schusswunde behandelt worden, als man ihn zum Angriff schickte. «Ich werde sterben, dachte ich», erinnerte sich Takahashi. Doch als er losstürmte, brach er zusammen, wahrscheinlich weil er seit Tagen nichts mehr gegessen hatte. US-Soldaten nahmen ihn gefangen. 1947 kehrte er heim - und fand sein eigenes Grab. Die Familie hatte schon seine Beisetzung begangen.

US-Truppen beerdigten Japaner

«Ich war so erleichtert, zu Hause zu sein», sagte Takahashi. «Aber ich dachte nie, es sei ein Glück, dass ich noch am Leben war.» Er habe das sogar für ein Unglück gehalten. Ihm sei beigebracht worden, dass man nicht zurückkehre, wenn man in den Krieg ziehe.

Am 30. Mai 1943 hatten die US-Truppen Attu wieder unter Kontrolle. Danach sei eigentlich alles wieder normal gewesen, sagt Dover - mit einer Ausnahme: «Jemand musste diese Japaner begraben.»

Die US-Truppen hätten die toten Japaner beerdigt, ein Denkmal errichtet, Grabsteine aufgestellt und der Toten gedacht, sagt Nobuyuki Yamazaki, dessen Grossvater auf Attu getötet wurde. Er gehört zu der japanischen Delegation, die an den Gedenkfeiern zu der Schlacht teilnimmt. Die Familien der gefallenen Japaner haben ihre Regierung gebeten, die Getöteten nach Japan zurückzubringen. «Japaner empfinden tiefen Trost, wenn die Überreste der Japaner in unserer Heimat begraben werden», sagt Yamazaki.

Für den Verlauf des Zweiten Weltkriegs war die Schlacht um die Aleuten praktisch bedeutungslos, was wohl einer der Gründe dafür ist, dass sie weitgehend vergessen wurde. Immerhin nutzte das US-Militär Attu für Luftangriffe auf den äussersten Norden Japans. Die überlebenden Bewohner kehrten nicht zurück. Es sei zu teuer, ihr Dorf wieder aufzubauen, erklärte ihnen die Armee - und siedelte sie nach dem Krieg anderswo an.

Allan Seroll aus Massachusetts war während der Kämpfe Funker. Er ist inzwischen 102, doch die Schlacht verfolgt ihn bis heute. «Ich wache mitten in der Nacht auf und kann nicht mehr einschlafen», sagt er dem Fernsehsender KTVA aus Anchorage. «So sehr hat es mich getroffen und trifft mich weiter.»

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