Rasende Gefahr Schön flott oder zu schnell? Senioren, E-Bikes und die Unfälle

Von Anika von Greve-Dierfeld, dpa/grö

11.5.2018

Es ist Mai, Fahrrad- und auch E-Bike-Saison. Senioren lieben die Räder mit Elektroantrieb besonders - und verunglücken damit auch besonders häufig.

Angemeldet waren 17, gekommen sind 25. Das Interesse der Senioren am E-Bike-Training bei unseren Nachbarn im deutschen Pforzheim (Baden-Württemberg) ist zumindest an diesem Samstag riesig. Die Sonne scheint, Helga Manz tritt vorsichtig an die von Fahrradhändlern zum Ausprobieren mitgebrachten Zweiräder mit Elektroantrieb heran. Sie nimmt das grasgrüne, ohne Stange, mit «Dameneinstieg», das ist der 74-Jährigen wichtig. Sie zieht den Helm auf. Erstmal ist Training auf dem Messplatz angesagt, bevor es auf die Piste geht, sprich: In die Innenstadt. «Mann, bin ich damit schnell», sagt sie noch. Sie dreht einige Runden auf dem Platz. Dann ist sie mit der ganzen Truppe weg.

E-Bikes sind im Trend, auch Pedelecs, eine Ausführung eines Elektrofahrrades, bei der der Fahrer von einem Elektroantrieb nur dann unterstützt wird, wenn er gleichzeitig selbst die Pedale tritt. Leider aber steigen auch die Unfallzahlen - auch wenn man die wachsenden Verkaufszahlen mitberücksichtigt - deutlich überproportional. «Viele E-Bike-Anfänger denken "Radfahren - kann doch jeder, ich brauche kein Training"», erzählt Sonja Lehmann, Referentin beim Landesverband des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC). Die wachsende Zahl derer, die auf das Rad mit Elektroantrieb umsteigen, sei im Sinne der Mobilität zwar absolut begrüssenswert, ergänzt Reinhard Kappes von ADFC-Kreisverband Pforzheim. «Aber die steigende Zahl von Unfällen sehe ich mit Sorge.»

Bundesweit gibt es seit 2015 Jahr für Jahr etwa 30 Prozent mehr Elektrobike-Unfälle. Im vergangenen Jahr verunglückten nach Angaben des Statistischen Bundesamtes über 5100 Pedelec-Nutzer (2016: rund 3900), fast 150 davon tödlich. Die meisten Fahrer in Deutschland sind Senioren, etwa 80 Prozent, schätzt Unfallforscher Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UDV). Die Unfallzahlen seien allein mit dem Anstieg der Verkaufzahlen nicht zu erklären.

Eine Unfallsimulation mit einem E-Bike.
Eine Unfallsimulation mit einem E-Bike.
Keystone

Mehr Senioren verunfallen in der Schweiz

Auch in der Schweiz sieht die Unfallstatistik nicht besser aus: Bei den getöteten E-Bike-Fahrenden ist 2017 zwar ein Rückgang von 9 auf 7 Personen zu verzeichnen, die Zahl der Schwerverletzten stieg jedoch erneut an und zwar von 201 auf 224 Personen, wie das aktuelle Unfallregister des Bundesamtes für Strassen (ASTRA) zeigt. Damit setzt sich der seit 2010 stetige Anstieg der Personen, die mit einem E-Bike schwer verunfallen, weiter fort. Davon sind insbesondere Personen mittleren oder höheren Alters betroffen. In der Altersklasse 45 bis 64 Jahre liegt die Zahl der schwer verunfallten E-Bike-Fahrenden bei 123 (53 Prozent aller schwer verunfallten E-Bike-Fahrenden), in der Altersklasse 65 Jahre oder älter bei 61 Personen (26 Prozent). Als Massnahme zur Verbesserung der Sicherheit, namentlich für Fahrerinnen und Fahrer von schnellen E-Bikes, wird die Einführung einer Lichtpflicht geprüft.

Auch Kurse sind wichtig. Denn solche Trainings seien, neben gründlicher Beratung beim Kauf von E-Bikes, absolut empfehlenswert, sagt Brockmann zur Situation in Deutschland: Viele Senioren stiegen aufs Elektrorad, obwohl sie jahrelang nicht mal mehr auf einem Fahrrad gesessen hätten. «Die Hauptnutzergruppe ist auch das Hauptproblem», sagt der Unfallforscher. Ausführliche Erkenntnisse erwarten Verkehrsexperten Mitte des Jahres von einer neuen Studie «Mobilität in Deutschland» (MDI). Die letzte derartige bundesweite MDI-Befragung zum Verkehrsverhalten stammt von 2008.

«Die Reaktionsfähigkeit von Senioren nimmt ab, die Geschwindigkeit mit den E-Bikes im Vergleich zum normalen Fahrrad aber zu», sagt Vertreter Kappes. «Das ist dann eine ungünstige Mischung.» Er führt die Tour mit den Senioren durch die Pforzheimer Innenstadt. Anfahren am Berg, aber auch bergab fahren üben ist wichtig. Denn nicht nur die Geschwindigkeit der Räder ist gewöhnungsbedürftig, sondern auch das Gewicht. Sie sind etwa doppelt so schwer wie ein normales Rad.

Seniorin Manz hat sich inzwischen in das grasgrüne Gefährt verliebt. «Am liebsten würde ich es gar nicht mehr hergeben», sagt sie. Wissbegierig und aufmerksam sei seine Truppe während der Fahrt in Pforzheim gewesen, sagt Kappes nach der von ihm geführten Tour. «Manche waren geradezu euphorisch.» Von Übermut rät der ADFC-Mann aber dringend ab - und zum Helm dringend zu. «Ich kann es gegenüber den E-Bike-Einsteigern nicht oft genug wiederholen: "Sie sind jetzt schneller unterwegs, als Sie es bisher waren."»

Hier finden Sie E-Bike-Kurse in der Schweiz

Pro Velo Schweiz

Schweizerischer Verkehrssicherheitsrat

VCS Verkehrs-Club Schweiz

Bilder aus der Schweiz
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