Simbabwe Schwangere in Not – zur Geburt ins überfüllte Wohnzimmer

Von Farai Mutsaka, AP/uri

24.11.2019

Eine Frau bringt in einer Wohnung in Harare, Simbabwe, ihr Kind zur Welt. 
Eine Frau bringt in einer Wohnung in Harare, Simbabwe, ihr Kind zur Welt. 
Bild: Keystone

Simbabwe steckt in einer Dauerkrise, der staatliche Gesundheitsdienst lässt werdende Mütter im Stich. Hilfe bekommen die Frauen von Freiwilligen – die hygienischen Bedingungen sind aber erschreckend.

Als ihre Wehen unerträglich werden, begibt sich die 18-jährige Perseverance Kanyoza in der simbabwischen Hauptstadt Harare eilig zu einer Geburtsklinik. Doch wegen eines wochenlangen Streiks von Mitarbeitern des öffentlichen Gesundheitsdienstes ist das Entbindungsheim geschlossen. Geld für eine Privatversorgung hat die werdende Mutter nicht – sie gerät in Panik. Ein Wachmann der Klinik weist ihr den Weg zu einer winzigen Wohnung im nahe gelegenen Armenvorort Mbare. Die Hebamme: eine Grossmutter ohne offizielle Ausbildung, die sich auf den Heiligen Geist beruft.

13 Stunden später bringt Kanyoza ein gesundes Mädchen zur Welt. «Es war ein Wunder», sagt sie der Nachrichtenagentur AP mit einem strahlenden Lächeln. «Ich habe das Schlimmste befürchtet. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, als ich am Krankenhaus vor verschlossener Tür stand.»

Blosse Hände statt steriler Instrumente

Ihr Baby ist eines von Dutzenden, die allein in der vergangenen Woche mit Hilfe der 72-jährigen Esther Zinyoro Gwena auf die Welt kamen. Inmitten der schwersten Wirtschaftskrise des Landes im südlichen Afrika seit mehr als zehn Jahren wurde Gwena zu einer Lokalheldin. Die Krise zwingt Frauen, sich in ihrer Verzweiflung an traditionelle Geburtshelferinnen zu wenden. Diese setzen oft ihre blossen Hände statt steriler Instrumente ein, eine Nachsorge gibt es nicht.

Manche Beobachter finden, Gwenas Arbeit werfe ein Schlaglicht auf den Zusammenbruch eines Gesundheitssektors, der einst als einer der besten in ganz Afrika galt. Die Ärzte streiken seit mehr als zwei Monaten, sie fordern eine bessere Bezahlung als die umgerechnet rund 90 Euro monatlich, die sie aktuell bekommen. Krankenschwestern und Hebammen in Harare traten vor zwei Wochen in den Ausstand.

Seither, sagt Gwena, haben mit ihrer Hilfe mehr als 100 Frauen entbunden. Keine Mutter sei bei der Geburt gestorben. Für ihre Dienste verlangt sie kein Geld, sie wolle einfach schwangeren Frauen in auswegloser Lage helfen, erklärt sie. «Ich bin nie als Hebamme ausgebildet worden. Ich habe angefangen, mich in der Kirche mit Schwangeren anzufreunden, und vor acht Jahren habe ich dann einfach angefangen, Babys auf die Welt zu helfen. Es ist der Heilige Geist.»

«Macht Platz, es kommt noch eine»

«Ich hatte keine Ruhepause, seit der Streik der Krankenschwestern begonnen hat. Die Arbeit wird zu viel für eine Person. Ich nehme dabei sogar ab», sagt Gwena. In ihrer Zwei-Zimmer-Wohnung bringe sie täglich bis zu 20 Babys auf die Welt.

Bei einem Besuch der AP krümmen sich vier Schwangere im winzigen Wohnzimmer vor Schmerzen. Sie sitzen auf Decken auf dem Fussboden. Das Schlafzimmer ist die Wachstation, in der sich die Frauen von der Geburt erholen. Mehrere Frauen drängen sich auf Gwenas kleinem Bett, ihre Neugeborenen im Arm. «Sie brauchen das Bett mehr», sagt sie. «Ich finde selten Zeit zum Schlafen.» Es kämen immer weitere Schwangere, sogar mitten in der Nacht.

Nachbarn, Angehörige der Schwangeren und einige von Gwenas Kindern sitzen auf einer Bank. Andere stehen in dem überfüllten Zimmer. Sie helfen, das Blut aufzuwischen, holen Wasser von einem nahen Brunnen und kochen. «Macht Platz, es kommt noch eine», ruft eine Frau. Eine Hochschwangere tritt ein, sie trägt einen kleinen Plastikeimer, eine Decke und eine Tasche. Weniger als zwei Stunden später ist die Zahl der Schwangeren auf zehn gestiegen, ihre Taschen stapeln sich in einer Ecke. Weitere stehen im Flur Schlange.

«Ich brauche Hilfe, und zwar schnell»

«Ich war besorgt», sagt Grace Musariri, eine der Wartenden. «Aber in den wenigen Stunden, die ich hier bin, habe ich schon vier Frauen gesehen, die mit ihren Babys gegangen sind. Die Angst ist weg.»

In der provisorischen Entbindungsstation gibt es wenig mehr als Schachteln mit Watte und Handschuhe, die von der Frau von Präsident Emmerson Mnangagwa gespendet wurden. Auxillia Mnangagwa kam am Freitag vorbei, nachdem die staatlichen Medien Simbabwes prominent über Gwena berichtet hatten. Vor ihrem Besuch «nahm ich meine blossen Hände», sagt Gwena. Sie bittet Frauen, ihre eigenen Rasierklingen und Klammern für die Nabelschnur mitzubringen. «Mein grösstes Problem sind Platz, Wasser und Schutzbekleidung. Ich brauche Hilfe, und zwar schnell», sagte sie einem Team von ranghohen Vertretern der Gesundheitsbehörde, die am Samstag vorbeischauten. In der Nacht habe sie 15 Babys auf die Welt geholt, und sieben weitere bis zur Mittagszeit, sagte sie ihnen.

Eine Geburt sorgt kurzzeitig für einen Schrecken: Das Neugeborene wirkt leblos. Manche der Anwesenden halten den Atem an, andere schreien, die Mutter beginnt zu weinen. Gwena spritzt dem Baby Wasser auf die Stirn, und es gibt einen lauten Schrei von sich.

«Es muss etwas getan werden»

Der Gesundheitsdirektor von Harare, Prosper Chonzi, sagt, solche Hausgeburtsdienste und traditionelle Geburtshelferinnen gebe es inzwischen viele. Die Frauen gingen dorthin, während die Kliniken leer seien. «Es gibt keine Nachsorge, wenn die Frauen entbunden haben. Es ist wirklich besorgniserregend.» Das gelte auch für die hygienischen Bedingungen wie Zugang zu Wasser, Infektionsprävention, die Entsorgung der Plazenta und den Umgang mit Blut und Blutprodukten. Bei der Geburtsbegleitung würden Chancen vertan, dazu zähle, eine Übertragung einer HIV-Infektion von der Mutter auf das Kind zu verhindern.

«Ich bin, gelinde gesagt, wirklich deprimiert», erklärt der Gesundheitsdirektor. «Es muss etwas getan werden», so dürfe die Gesundheitsversorgung in einem städtischen Umfeld nicht ablaufen. Er werde bei seinen Chefs ein gutes Wort für sie einlegen, sagt Chonzi zu Gwena, damit sie mehr Handschuhe, Klammern für die Nabelschnur, sterile Betttücher und andere Dinge erhalte.

Die Schwangeren, die in Gwenas Wohnung strömen, sind froh über jegliche Hilfe, während die staatlichen Dienste entweder nicht erreichbar sind oder deren Qualität drastisch sinkt. «Wenn Gogo (Grossmutter) nicht gewesen wäre, hätten sowohl mein Kind als auch ich sterben können», sagt die junge Mutter Kanyoza und macht sich auf den Heimweg.

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