Bundesgericht Frühere Sans-Papier hat nun eine Aufenthaltsbewilligung, wird aber trotzdem bestraft

SDA/uri

7.10.2021 - 12:00

Das Bundesgericht in Lausanne kommt zu dem Schluss, dass bei der Frau nicht von einer Strafe abgesehen werden kann. (Archiv)
Das Bundesgericht in Lausanne kommt zu dem Schluss, dass bei der Frau nicht von einer Strafe abgesehen werden kann. (Archiv)
Bild:  Keystone

Eine Frau aus Bolivien lebt über 20 Jahren illegal in der Schweiz. Inzwischen hat sie eine Aufenthaltsbewilligung, wird nun aber aufgrund eines Bundesgerichtsentscheids trotzdem bestraft.

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Nachdem die Behörden des Kantons Basel-Stadt einer Sans-Papier aus Bolivien nach über 20 Jahren in der Schweiz eine Aufenthaltsbewilligung erteilt haben, wird die Frau nun nach einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft beim Bundesgericht für ihren illegalen Aufenthalt bestraft. Sie arbeitete in Haushalten und betreute Betagte.

Die Bolivianerin reiste 1994 ein. Sie lebte und arbeitete seither mit kurzen Unterbrüchen illegal in der Schweiz. Im Dezember 2016 stellte das Migrationsamt der Frau eine Aufenthaltsbewilligung aus, nachdem sie ihr Härtefallgesuch von der Behörde gutgeheissen und sie ihre Identität offengelegt hatte. Dies geht aus einem am Donnerstag veröffentlichten Urteil des Bundesgerichts hervor.

Im August 2017 verurteilte die Staatsanwaltschaft die Frau wegen rechtswidrigen Aufenthalts und Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung zu einer bedingten Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu 30 Franken und einer Busse von 900 Franken.



Im anschliessend beschrittenen Rechtsweg bestätigten das Strafgericht und das Appellationsgericht den Schuldspruch. Sie sahen jedoch von einer Strafe ab. Dies ist gemäss Strafgesetzbuch möglich, wenn es an einem sogenannten Strafbedürfnis mangelt.

Keine Strafbefreiung

Die Staatsanwaltschaft zog den Fall jedoch ans Bundesgericht weiter und beantragte eine Bestrafung der Frau. Die Lausanner Richter kommen in ihrem Entscheid zum Schluss, dass nicht von einer Strafe abgesehen werden kann.

Sie halten fest, dass die Bestimmung zur Strafbefreiung nur sehr zurückhaltend anzuwenden sei. Der Gesetzgeber habe damit nicht generell die Bagatellfälle im Auge gehabt. Die Schuld und die Folgen der Tat müssten geringfügig sein.

Um von einer Ausnahme ausgehen zu können, müsse der konkrete Fall mit dem Regelfall entsprechender Straftaten verglichen werden. Das Bundesgericht stimmt der Staatsanwaltschaft zu, dass sich das Verschulden der Frau nicht massgeblich von jenem unterscheide, das bei anderen Personen mit gleichen Straftatbeständen festgestellt werde.

Das Appellationsgericht war davon ausgegangen, dass die Bolivianerin als Härtefall anerkannt worden sei und dies bei der Strafbedürftigkeit berücksichtigt werden müsse. Darüber hinaus sei die Betroffene in einer Nische des Arbeitsmarktes tätig gewesen und habe damit keinen nennenswerten wirtschaftlichen Schaden verursacht. Ihr Motiv – bittere Armut – erachtete das Appellationsgericht als nachvollziehbar.

Das Bundesgericht hat den Fall nun zur Festlegung der Strafe ans Appellationsgericht zurückgewiesen. (Urteil 6B_519/2020 vom 27.9.2021)