Vogelschutz Studie: Stehpaddler stören Wasservögel fast so sehr wie Motorboote

dpa, tali

29.11.2018

Stand-up-Paddling erfreut sich immer grösserer Beliebtheit. Allerdings nicht bei Wasservögeln.
Stand-up-Paddling erfreut sich immer grösserer Beliebtheit. Allerdings nicht bei Wasservögeln.
Keystone/Archiv

Millionen Wasservögel rasten im Winterhalbjahr auf bayerischen Gewässern und dem Bodensee. Wassersportler können die Tiere dabei empfindlich stören. Stehpaddler wirken laut einer Studie besonders bedrohlich.

Die Trendsportart Stehpaddeln kann laut einer Studie zur Gefahr für Wasservögel werden. Das sogenannte Stand-up-Paddling (SUP), bei dem die Sportler mit einem Paddel auf einer Art Surfbrett stehen, habe verglichen mit anderen Wassersportarten wie Rudern oder Segeln eine «überdurchschnittlich hohe Störwirkung» auf die Tiere, sagt Matthias Bull, der im Auftrag des deutschen Landesbundes für Vogelschutz (LBV) eine Masterarbeit über das Thema geschrieben hat. Noch stärker würden die Tiere nur von Motorbooten gestört.

Durch Stehpaddler gestörte Vögel flögen bereits auf, wenn der Sportler noch weit entfernt sei. «Die höchste nachgewiesene Fluchtdistanz durch SUP gab es am Bodensee», berichtet Bull. Dort habe ein Stehpaddler aus 1,5 Kilometern Entfernung einen ganzen Trupp Kolbenenten aufgeschreckt. Die Tiere flögen oft weite Strecken, bevor sie wieder landeten. Auch verliessen sie das Gewässer häufiger ganz als beim Kontakt mit anderen Sportlern.

Enten in Aufruhr: Obwohl Stehpaddler vergleichsweise leise sind, können sie Wasservögel ähnlich erschrecken wie Motorboote.
Enten in Aufruhr: Obwohl Stehpaddler vergleichsweise leise sind, können sie Wasservögel ähnlich erschrecken wie Motorboote.
Keystone/Archiv

Ein Paddler kann tausende Vögel verjagen

Bull hat vor allem die Wintermonate in Bayern untersucht, doch die Ergebnisse lassen sich problemlos auch auf Schweizer Gewässer übertragen, bestätigt Livio Rey von der Schweizerische Vogelwarte in Sempach. Denn auch hier tummeln sich etwa von November an grosse Wasservogeltrupps auf den Gewässern. Sie kommen aus dem Norden und Nordosten, um zu überwintern oder weiter nach Süden zu ziehen. «Ein einzelner Stand-up-Paddler kann tausende Wasservögel aufscheuchen, selbst aus über einem Kilometer Distanz», warnte Reys Kollege Dr. Stefan Werner bereits im Sommer in einem Bericht. «Dabei löst die Reaktion der sensibelsten Vogelart oft eine Kettenreaktion aus, die selbst scheinbar unempfindliche Arten wie den Höckerschwan zur Flucht veranlassen kann.»

In den Protokollbögen der 46 Vogelbeobachter aus 19 Regionen, die Matthias Bull für seine Arbeit gewertet hat, findet sich das passende Beispiel: So habe etwa ein Höckerschwan im Sommer sein Gelege aufgegeben, als Stehpaddler am Seehammer See bei München mit einem Hund zu einer Insel fuhren, auf welcher der Schwan brütete.

Selbst Schwäne werden von Stehpaddlern aus der Ruhe gebracht.
Selbst Schwäne werden von Stehpaddlern aus der Ruhe gebracht.
Keystone/Archiv

Was Stehpaddler so bedrohlich macht

Das Aufschrecken der Tiere sei im Winter aber ein besonderes Problem. Wenn die Tiere zu viele Fettreserven verbrauchten, kehrten sie geschwächt in ihre Brutgebiete in Island, Skandinavien oder Sibirien zurück. Unter den durch SUP gestörten Vögeln waren auch gefährdete Arten wie Samtente, Eistaucher oder Zwergschwan. Zwar seien im Winter deutlich weniger Paddler unterwegs als im Sommer, sagt Bull. Dank Neopren-Anzügen sei der Sport aber auch bei Kälte möglich.

Möglicherweise reagierten die Vögel auf Stehpaddler empfindlicher, weil die menschliche Silhouette hier klar erkennbar ist. «Ausserdem hat der Fahrer etwas Langes in der Hand», sagt LBV-Vogelkundler Thomas Rödl, der Bulls Arbeit betreut hat. Für die Vögel könnten sie wirken wie Jäger. «Das ist aber nur eine Vermutung, der man nachgehen muss.» Gewöhnungseffekte wie bei Fähren könnten beim SUP nur schwer einsetzen, weil die Paddler keine festen Routen und Zeiten haben.

Gemeinsame Lösungen gesucht

Manchmal dringen Wassersportler auch in Naturschutzgebiete ein.
Manchmal dringen Wassersportler auch in Naturschutzgebiete ein.
Keystone/Archiv

Die meisten Probleme gab es in Ufernähe, weil sich die Sportler oft an den Seerändern orientieren, sagt Bull. Ausserdem müssen die Paddler diesen Teil durchfahren, um in Richtung Seemitte zu kommen. Gleichzeitig suchen viele Vögel in seichtem Gewässer nach Nahrung.  An vielen Seen überschritten Wassersportler zudem die Grenzen von Naturschutzgebieten, was noch problematischer sei.

Verteufeln wollen die Vogelschützer den Trendsport nicht. «Es sollte aber naturverträglich sein», fordert Bull. «Viel zu viele Menschen betrachten die Natur nur als Kulisse. Sie ist aber mehr. Daher ist es wichtig, dass jeder, der rausgeht, weiss, dass er eine Verantwortung trägt.» Dr. Stefan Werner von der Vogelwarte Sempach bestätigt:  «Es ist angestrebt, gemeinsame Lösungen zu finden, die beiden Seiten gerecht werden.» Helfen könne eine bessere Information der Sportler – etwa über die Verleiher. Denn anders als Ruderer oder Segler sind die wenigsten Stehpaddler in Vereinen organisiert. Auch ein Schein ist für den Sport nicht nötig.

Abstand halten – aber wieviel?

Zur besseren Orientierung bleiben Stehpaddler gern in Ufernähe.
Zur besseren Orientierung bleiben Stehpaddler gern in Ufernähe.
Keystone

Eliane Droemer zufolge, die einen SUP Club in Tutzing am Starnberger See betreibt und Pressearbeit für einen Hersteller macht, hätten ein grosses Interesse, ihre Kunden zu informieren – auch zu Befahrungsregeln von Gewässern. Denn sie wollten, dass sich ihr Sport langfristig etabliert. Wie sich Paddler künftig vogelfreundlicher verhalten können? Indem sie einen grossen Bogen um die Vögel machen.

Während Bull sich von Stehpaddlern einen Mindestabstand von 300 Metern zu einem Trupp Wasservögel wünscht, sprechen sich seine Sempacher Kollegen für einen deutlich grösseren aus: einen Kilometer Abstand sollten Stand-up-Paddler ihre Meinung nach zu bedeutenden Wasservogelgebieten einhalten: «Wird dieser Abstand unterschritten, kann in Gebieten mit grossen Wasservogelansammlungen ein Einfluss auf die Qualität des Rastgebiets nicht ausgeschlossen werden», meint Dr. Stefan Werner. Sollte die Grösse des Gewässers einen so grossen Abstand nicht zulassen, empfiehlt er ein ganzjähriges Befahrungsverbot.

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