Gerichtsentscheid Todkranke Mutter darf sich nicht von ihren Kindern verabschieden

tgab

17.8.2023

Eine vierfache Mutter aus der Innerschweiz habe sich immer um das Wohl ihrer Familie gekümmert. Dennoch darf sie laut dem Entscheid eines Regionalgerichts ihre Kinder nicht mehr sehen. (Symbolbild)
Eine vierfache Mutter aus der Innerschweiz habe sich immer um das Wohl ihrer Familie gekümmert. Dennoch darf sie laut dem Entscheid eines Regionalgerichts ihre Kinder nicht mehr sehen. (Symbolbild)
imago images/YAY Images

Eine 38-Jährige mit Brustkrebs im Endstadium darf ihre Kinder nicht mehr sehen. Emotional zu instabil, so hat es das Regionalgericht entschieden.

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Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Eine vierfache Mutter mit Schreikind und Asperger-Partner trägt jahrelang die Last des Familienmanagements.
  • Die Ehe kriselt, sie schmeisst den Vater ihrer Kinder aus dem Haus, sucht Unterstützung, findet keine.
  • Nach der Diagnose Brustkrebs im Endstadium bricht sie endgültig zusammen, unternimmt einen Suizidversuch.
  • Das zuständige Regionalgericht verbietet der Mutter daraufhin, ihre Kinder zu sehen, sie sei emotional nicht stabil genug.

Eine vierfache Mutter in der Innerschweiz hat Brustkrebs im Endstadium mit Metastasen im Oberkörper. Und dennoch wird ihr vom zuständigen Regionalgericht untersagt, ihre Kinder zu sehen. Sie sollen vollständig der Obhut des Vaters übergeben werden, der von der Mutter getrennt lebt. Die Behörden halten die Frau für emotional zu instabil, um sich angemessen um die Kinder kümmern zu können. Wie konnte es dazu kommen?

Vier kleine Kinder, das jüngste ein Schreikind, der Familienhaushalt und eine herausfordernde Ehe mit einem Mann, der das Asperger-Syndrom hat, eine Form von Autismus – es sei viel Druck gewesen, der auf einer Mutter aus der Innerschweiz lastet.

«Ich fühlte mich oft unverstanden, emotional und physisch», erzählt die Frau dem «Beobachter». Doch sie habe darüber hinweggesehen, für die Kinder und für den Familienfrieden.

Überlastung führt zu einer Erschöpfungsdepression

Im Januar 2022 bricht die heute 38-Jährige zusammen. Sie lässt sich in eine psychiatrische Klinik einweisen. Diagnose: Erschöpfungsdepression. Schon am nächsten Tag sei sie wieder bei ihren Kindern gewesen. Der Vater arbeitet Vollzeit, kann sich nicht um sie kümmern. Die Mutter lässt sich ambulant behandeln.

Bei der Kindes- und Erwachsenen-Schutzbehörde (Kesb) habe sie um Unterstützung bei der Betreuung gebeten. Doch die Kesb ordnet stattdessen psychiatrische Hilfe an.

Die Spannungen zwischen den Ehepartnern haben sich daraufhin verschärft. Die Frau wirft ihren Mann schliesslich aus dem gemeinsamen Haus. Seitdem beschuldigen sich beide gegenseitig, nicht ausreichend für die Kinder zu sorgen: Er sei zu kalt, sagt sie. Sie sei zu emotional, sagt er.

Kurze Pause im Frauenhaus

Im Juli 2022 geht die Mutter mit zwei Kindern ins Frauenhaus. Sie habe eine Pause gebraucht. Die beiden mittleren Kinder bleiben beim Vater. Der zieht schliesslich aus, in ein Studio, die Kinder besuchen ihn jedes zweite Wochenende. Die Mutter hat die alleinige Obhut für die Kinder. Es sei etwas Ruhe in das Familienleben eingekehrt.

Dann die Diagnose: Brustkrebs im Endstadium. Die Mutter entscheidet sich für eine erfolgversprechende, aber aggressive Form der Chemotherapie. Diese verursacht ein «Chemo-Brain», so nennt sie es. «Ich war erschöpft, konnte kurzzeitig kaum mehr lesen oder richtig denken.» Ihrem Mann wirft sie nun vor, in dieser Zeit nur das Nötigste getan zu haben.

Es folgen Zusammenbrüche, Klinikaufenthalte und ein Suizidversuch. Die Mutter hat wenig Energie, die Kinder entfremden sich von ihr und leben inzwischen bei ihrem Vater. Zweimal pro Woche darf die Mutter ihre Kinder in Begleitung einer Sozialpädagogin sehen.

Gemeinsame Ferien im betreuten Wohnen

Die Frühlingsferien im April verbringen Kinder und Mutter gemeinsam in einer bereuten Wohninstitution. Im Bericht steht, die Frau sei eine «liebenswerte, strukturierte und gut organisierte Mutter».

In diesem Moment sei der Gerichtsbescheid ins Haus geflattert, wonach die Kinder vollständig vom Vater betreut werden sollen. Die Mutter bricht zusammen, braucht einen Notfallpsychiater – und bestätigt damit die Einschätzung der Behörden, wonach sie emotional zu instabil sei, um sich angemessen um ihre Kinder zu kümmern. Nach dem aktuellen Entscheid des Regionalgerichts darf die Mutter ihre Kinder nun gar nicht mehr sehen. 

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