Mehr Swissness, bitteUngarn und die Political Correctness
Von Philipp Dahm
25.6.2021
Statt «Wie dumm kann die Uefa sein?» müsste es eigentlich heissen: «Wie dumm ist eigentlich Dieter Reiter?» Münchens Bürgermeister hat selbst dafür gesorgt, dass die Regenbogen-Diskussion eskaliert.
Von Philipp Dahm
25.06.2021, 15:49
25.06.2021, 15:59
Philipp Dahm
Die Diskussion um ungarische Gesetze, die Regenbogenfarben und Toleranz läuft gerade ein bisschen aus dem Ruder: Der niederländische Premier sagte gerade, dass für Ungarn kein Platz in der EU sei.
Das sind schwere Geschütze, die da verbal aufgefahren werden. Wem das zu verdanken ist? Sicherlich den kruden Gesetzen, die Budapest vergangene Woche beschlossen hat – aber auch dem SPD-Oberbürgermeister Dieter Reiter, der Öl ins Feuer gegossen hat, indem er der Uefa einen ungeschickt formulierten Brief geschickt hat.
«Die Landeshauptstadt bekennt sich zu Vielfalt, Toleranz und echter Gleichstellung im Sport und in der ganzen Gesellschaft», schreibt der Münchner zum Antrag, die Spielstätte in den Regenbogenfarben erleuchten zu dürfen. So weit, so gut – hätte vielleicht sogar die Uefa gedacht, die ja auch gegenüber Kampagnen für Toleranz und gegen Rassismus bisher aufgeschlossen war.
Aber dann begründet der Deutsche diesen Wunsch explizit mit den Einschränkungen, die «in Ungarn zulasten der Rechte von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transgender (LGBTIQ) gegeben sind». Der Verband lehnt das Ansinnen daraufhin ab und muss sich von manchem Fan die Frage gefallen lassen: «Wie dumm kann die UEFA sein?»
Wer ist hier der Dumme?
Dabei müsste es heissen: «Wie dumm ist eigentlich Dieter Reiter?» Hätte sich der Politiker den direkten Seitenhieb auf den Gegner verkniffen, wäre die Entscheidung womöglich anders ausgefallen – immerhin hat die Uefa vor drei Jahren noch eine Kampagne wie #EqualGame ins Leben gerufen.
Die Uefa hat in diesem Punkt doch gar keine Wahl: Sie würde auch nicht zustimmen, wenn die Deutschen das Stadion in Schwarz tauchen würden, um das Ende des Rahmenabkommens zu betrauern, bevor die Nati aufläuft.
Eine Gäste-Mannschaft für die Gesetze zu belangen, die das gewählte Staatsoberhaupt erlassen hat, ist tatsächlich eines: unnötige Politik im Sport. Hätte Reiter es beim Zeichen für Weltoffenheit und Toleranz belassen, wäre es vielleicht anders gekommen.
Aber nein: Der Bürgermeister kann es nicht lassen, seine Political Correctness herauszukehren. Frei nach dem Motto: Tue Gutes, und sprich darüber. Weniger wäre in diesem Fall eindeutig mehr gewesen.
Versteht mich richtig
Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich finde das Zeichen mit den Regenbogenfarben vollkommen berechtigt. Ich halte es mit einem Preussen und einem Franzosen: Laut Napoleon geht das, was im Schlafzimmer passiert, den Staat nichts an. Und um Friedrich den Grossen zu zitieren: «Jeder soll nach seiner Fasson selig werden.»
Die neuen Regeln, die ein Viktor Orbán in Ungarn durchgesetzt hat, sind der Moderne unwürdig – und wie mein Watson-Kollege Petar Marjanović festhält, sind die Diskrimierungen auch noch in Gesetze gegen Pädophilie eingebettet, was die Sache noch perfider macht.
Das besonders hässliche an der Ungarn-Thematik ist, dass drüben vom «Anti-Pädophilen-Gesetz» gesprochen wird. Ja, es verschärft Massnahmen gegen Pädos. Es verbietet aber auch Infos zu «Geschlechtsangleichung oder Homosexualität» an Jugendliche – auch in der Schule. #GERHUN#HUN
Diesen Missstand in Orbáns Ungarn beim Namen zu nennen, ist richtig und wichtig. Aber was bewirken Aktionen wie die verhinderte in München? In Ungarn selbst erreichen sie schon mal das Gegenteil: Während die Spieler konsterniert bekräftigt haben, sie könnten nichts für die Politik ihrer Heimat, wurden ungarische Stadien aus Protest gegen die Regenbogenfarben in Deutschland in die Nationalfarben getaucht.
Wir gegen die
Der Druck von aussen führt dazu, dass sich in Budapest die Reihen schliessen, statt sich zu besinnen. Und dieses «Wir gegen die» wird nun noch von der Politik angeheizt. Der niederländische Premier ist gerade gefragt worden, was passiere, wenn Ungarn nicht einlenke. «Für mich haben sie dann in der Europäischen Union nichts mehr zu suchen», antwortet Mark Rutte.
Eines dürfte klar sein: Mit solchen Aussagen macht es die Politik den liberalen Kräften in Ungarn nicht leichter. Geschickter hat sich da schon Luxemburgs Premier ausgedrückt, der mit einem Mann verheiratet ist: Wer glaube, dass jemand wegen einer Werbung, eines Buches oder eines Films schwul geworden sei, verstehe das Leben nicht, sagte Xavier Bettel.
Ein letzter Punkt, der mich an der Diskussion wahnsinnig stört, ist die Scheinheiligkeit. Ich würde gern glauben, dass unsere westlichen Demokratien sich so aufregen, weil es um Toleranz und Gleichberechtigung geht – ums leben und leben lassen. Leider befürchte ich, dass das nur bei einem Teil der Kritiker die Motivation ist.
Das Problem der «moralischen Überlegenheit»
Doch Twitter-User Phil spricht mir aus dem Herzen: Gleichberechtigung scheint tatsächlich gerade für viele so wichtig zu sein, weil sich hier «vermeintliche moralische Überlegenheit» demonstrieren lässt. Ob sich die Ungarn-Zweifler auch so weit aus dem Fenster gelehnt haben, als ein deutscher Kicker wie Thomas Hitzelsperger sein Coming-out hatte? Man weiss es nicht.
Am Ende dieser Zeilen möchte ich noch einmal eines deutlich machen: Political Correctness ist, auch wenn es von vielen als Schimpfwort benutzt wird, nichts Schlechtes.
Es sollte vielmehr selbstverständlich sein, sich auch in der Politik anständig zu benehmen – und Gutes zu tun. Dabei empfiehlt sich in meinen Augen aber ein Schuss Swissness: Tue Gutes, und zerreiss dir nicht das Maul darüber, wie toll und gerecht du doch bist.