Dutzende palästinensische Babys Ungewöhnliche Empfängnis – Spermaschmuggel aus der Haft

dpa

18.1.2019

Rund 5500 Palästinenser sind in Israel inhaftiert. Hunderte davon sitzen mehr als 20 Jahre lange Haftstrafen ab. Ihre Ehefrauen setzen auf ungewöhnliche Methoden, um trotzdem schwanger zu werden.

Der fünfjährige Madschd sitzt im geräumigen Haus seiner Mutter auf einem Sofa und hält seine weisse Katze ganz fest im Arm. «Survivor» steht in hellen Lettern auf seinem blauen Pullover – Überlebender. Irgendwie passend – denn seine Mutter hat den palästinensischen Jungen unter sehr widrigen Umständen empfangen. Sie sei vor sechs Jahren von geschmuggeltem Sperma ihres in Israel inhaftierten Mannes schwanger geworden, erzählt die 42–jährige Lydia Rimawi. Nach Angaben einer Fruchtbarkeitsklinik haben Frauen palästinensischer Häftlinge seit 2012 Dutzende Babys auf diese Weise bekommen.

Auf einer Kommode in dem Haus in dem palästinensischen Dorf Beit Rima im Westjordanland steht ein Bild von Abdul Karim Rimawi, Lydias Mann. «Der heldenhafte Gefangene», steht unter dem Foto des dunkelhaarigen Mannes mit Schnauzbart. Rimawi sitzt seit dem Jahr 2000 in israelischer Haft.

Das Mitglied der Al–Aksa–Märtyrer–Brigaden, des militärischen Arms der Fatah–Bewegung, wurde von Israel wegen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe von 25 Jahren verurteilt. Die Organisation, die auch eine Reihe von Selbstmordanschlägen in Israel verübt hat, steht auf der EU–Terrorliste.

Dass die Palästinenserin Lydia Rimawi Mutter des fünfjährigen Madschd ist, verdankt sie ihrem Einfallsreichtum bei der Empfängnis: Sie schmuggelte das Sperma ihres inhaftierten Mannes aus einem israelischen Gefängnis.
Dass die Palästinenserin Lydia Rimawi Mutter des fünfjährigen Madschd ist, verdankt sie ihrem Einfallsreichtum bei der Empfängnis: Sie schmuggelte das Sperma ihres inhaftierten Mannes aus einem israelischen Gefängnis.
Screenshot DPA

«Keine Sorge, wir haben unsere Methoden»

«Abdul Karim war an mehreren Angriffen auf Israelis in der Gegend beteiligt», sagt seine Frau. Festgenommen wurde er im Juni 2000, wenige Monate vor Beginn des zweiten Palästinenseraufstands Intifada. Die gemeinsame Tochter Rand – heute 18 Jahre – war damals nur acht Monate alt. «Mein Mann träumte von einem Sohn, und ich wollte noch ein Kind», erzählt Rimawi.

Doch Körperkontakt war bei den Besuchen im Gefängnis fast immer verboten, die Ehepartner durften meistens nur durch ein Glasfenster über Telefon kommunizieren. Sex ist auch zwischen Eheleuten verboten. «Ich dachte, wenn ich warte, bis er wieder freigelassen wird, bin ich fast 50 Jahre alt, und dann wird es schwierig.»

Wie der Schmuggel genau ablief, will sie nicht erzählen. «Keine Sorge, wir haben unsere Methoden», sagt sie lachend. Die Befruchtung sei in der Razan–Fruchtbarkeitsklinik in Ramallah vorgenommen worden – umsonst. Spermien könnten ausserhalb des Körpers zwischen 24 und 36 Stunden überleben. Die Erfolgsrate bei den Befruchtungsversuchen liege zwischen 50 und 60 Prozent, sagt Klinikleiter Salim Abu Chaisaran und schätzt, dass in den Palästinensergebieten insgesamt mehr als 75 Babys palästinensischer Häftlinge durch Samenschmuggel empfangen wurden. In israelischen Medien ist die Rede von mehr als 60 Babys.



«Ich will nicht, dass mein Sohn sein Leben verliert»

Madschd wurde am 1. August 2013 geboren. Sein Name bedeutet auf Deutsch «Ruhm». Als sie ihrem Mann das zwei Wochen alte Baby zum ersten Mal zeigen wollte, sei ihr der Besuch verwehrt worden, erzählt Lydia. Die Wächter hätten die Vaterschaft angezweifelt. Erst nach einem Jahr und drei Monaten habe Abdul Karim seinen Sohn zum ersten Mal im Arm halten dürfen. «Mein Mann hat geweint vor Freude.» Er habe aber für den Samenschmuggel ein Strafgeld von umgerechnet 1360 Franken zahlen müssen. Seine Frau durfte ihn ein weiteres Jahr lang nicht besuchen.

«Es ist schwer, die Kinder allein aufzuziehen», gibt Lydia Rimawizu. Der Junge kann seinen Vater höchstens einmal im Monat sehen. «Ich liebe ihn, und er gibt mir immer Süssigkeiten», sagt das lebhafte Kind. Rimawi sagt, sie hoffe, dass ihr Mann nach seiner Freilassung in sechs Jahren nicht wieder an Anschlägen auf Israelis beteiligt sein werde. «Er ist zu alt, und es ist den Preis nicht wert.» Sie glaube zwar an ein «Recht auf Widerstand gegen die Besatzung». Dennoch hoffe sie, dass der kleine Madschd nicht wie sein Vaters zu Waffen greifen werde. «Ich will nicht, dass mein Sohn sein Leben verliert.»

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