ProzessVerteidiger verneint vor Zuger Obergericht gezielten Messerstich
rl, sda
20.7.2023 - 10:38
Der Verteidiger der jungen Zuger Gewalttäterin hat vor dem Obergericht eine Reduktion der Strafe verlangt. Seine Mandantin habe das Messer nicht in der Absicht bei sich getragen, es zu verwenden. Die Eltern ihrerseits machten den Jugendheimen und Kliniken Vorwürfe.
20.07.2023, 10:38
20.07.2023, 17:46
SDA
Die heute 20-Jährige hatte als 18-Jährige einen Bekannten mit einem Messer lebensgefährlich und zuvor als 17-Jährige einen Polizisten mit einem Schlagstock schwer verletzt. Das Strafgericht verurteilte sie im Februar 2023 wegen versuchter vorsätzlicher Tötung, schwerer Körperverletzung und weiterer Delikte zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten.
Die Beschuldigte weigerte sich am Donnerstag, die Fragen des Obergerichts zu beantworten. Sie begründete dies damit, dass die Verhandlung unter Umständen stattfinde, die sie nicht akzeptieren könne.
Die Frau hatte zuvor vom Obergericht einen neuen Pflichtverteidiger verlangt. Sie fühle sich von ihrem derzeitigen Verteidiger nur zweitklassig vertreten, und das Vertrauensverhältnis sei beschädigt. Das Gericht lehnte den Antrag aber nach kurzer Beratung ab.
Verteidiger forderte Strafmilderung
Der Verteidiger beantragte vor dem Obergericht wie schon vor dem Strafgericht eine Strafe von drei Jahren und sechs Monaten. Gemäss seinen Ausführungen hat sich die Beschuldigte nicht der versuchten vorsätzlichen Tötung schuldig gemacht, sondern höchstens der schweren Körperverletzung.
Die Frau leidet unter einer Borderline-Persönlichkeitsstörung und an den Folgen einer Vergewaltigung. Das Strafgericht ging zwar von einer verminderten Schuldfähigkeit aus, es hielt aber auch fest, dass sie die überfordernde Situation hätte vermeiden können.
Kein vorsätzliches Handeln
Dies bestritt der Verteidiger. Es sei damals für seine Mandantin normal gewesen, ein Messer bei sich zu tragen. Ferner sei es das erste Mal, dass sie in einen «dissoziativen Zustand» geraten sei und eine Erinnerungslücke davongetragen habe. Die Dissoziation habe sie nicht voraussehen und sich somit dieser nicht entziehen können. Ein vorsätzliches Handeln könne ihr nicht vorgeworfen werden.
Dem widersprach der Staatsanwalt. Die Beschuldigte habe dem Opfer präzise und schnell mit einer neun Zentimeter langen Klinge in den Hals gestochen, sagte er. Für den jungen Mann habe ein Todesrisiko bestanden. Dass ihm Passanten rasch hätten helfen könne, schmälere die Tat nicht.
Eltern legten Berufung ein
Gegen das Urteil hatten auch die Eltern der Beschuldigten Berufung eingelegt. Das Strafgericht hatte sie im Umfang von 17'500 Franken solidarisch haftbar erklärt für die der Tochter auferlegten Verfahrenskosten. Dies war mit einer «erzieherischen Fehlentwicklung» begründet worden.
Die Entwicklung der Tochter sei nicht nur eine Folge der erzieherischen Massnahmen der Eltern, sagte der Vater, sondern auch der Heime und Kliniken, in denen sie schon vor der Tat untergebracht war.
In den Institutionen ist nach Angaben des Vaters vieles falsch gemacht worden. Er erklärte, dass das Vergewaltigungstrauma Ursache für das gewalttätige Verhalten seiner Tochter sei. Dieses Trauma sei den Institutionen nicht bekannt gewesen, woraufhin diese sie nicht entsprechend behandelt hätten.
Weiter hoben die Eltern hervor, dass ihre Tochter nur für kurze Besuche habe nach Hause kommen dürfen. Während diesen Besuchen sei es zu keinen Straftaten gekommen.
Bagatellisierende Haltung der Eltern
Der Staatsanwalt wies in seinem Plädoyer auf die bagatellisierende Haltung der Eltern hin, die Fachleute in einem Gutachten festgestellt hatten. Diese Haltung hätten sie auch den Opfern gegenüber gezeigt.
Die Beschuldigte lebt in einer Wohngemeinschaft in der Frauenhaftanstalt Hindelbank und macht eine ambulante Therapie. Sie sagte in ihrem Schlusswort, dass sie täglich daran arbeite, dass so etwas Schlimmes nicht wieder passiere.
Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt mündlich eröffnet.
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