Food Waste Vier-Sterne-Restesessen – Wie ein Hotel gegen Verschwendung vorgeht

dpa/tafu

5.3.2020

Im Restaurant Strom im Bremerhavener Atlantic Sail City Hotel werden übrig gebliebene Brötchen neu verarbeitet.
Im Restaurant Strom im Bremerhavener Atlantic Sail City Hotel werden übrig gebliebene Brötchen neu verarbeitet.
Bild: Sina Schuldt/dpa

Bei Resteessen denken viele wohl eher nicht an kulinarische Hochgenüsse. Ein Vier-Sterne-Hotel in Norddeutschland zeigt, dass genau das möglich ist.

Auf den ersten Blick könnte das Vier-Gänge-Menü auf jeder x-beliebigen Speisekarte stehen: dreierlei Bruschetta, Fischsuppe, Schnitzel und Roulade, zum Dessert Sorbet und Pudding. Doch was der Küchenchef des Atlantic Hotels Sail City in der deutschen Stadt Bremerhaven, Dominik Flettner, an diesem Abend serviert, ist für ein Restaurant kein Standard: Die Speisen werden vor allem aus übrig gebliebenen Lebensmitteln vom Frühstücksbüffet oder vom Tagungsbankett zubereitet.

Das Resteessen steht nicht auf der Speisekarte, es kann von Gruppen gebucht werden. Seit 2017 lädt das Vier-Sterne-Hotel ausserdem ausgewählte Gäste einmal im Jahr ein, um das Resteessen an langen Tischreihen zu servieren.



«Wir haben mit Absicht den Begriff Resteessen gewählt, um zu polarisieren und zum Nachdenken über Lebensmittelverschwendung anzuregen», sagt Hoteldirektor Tim Oberdieck. «Die Frage ist doch: Was ist überhaupt ein Rest?»

Chips aus Kartoffelschalen

Was bereits auf dem Büffet lag, muss in den Müll, so schreibt es die Lebensmittelhygiene vor. «Aber alles, was die Küche nicht verlassen hat, dürfen wir verwenden», sagt Flettner. Zum Beispiel Möhren- oder Kartoffelschalen: Vorher gut gewaschen, werden sie zu Chips frittiert. «Als Crunch auf Salat ist das total lecker.»

Aus Möhren- oder Kartoffelschalen werden schmackhafte und knusprige Chips.
Aus Möhren- oder Kartoffelschalen werden schmackhafte und knusprige Chips.
Foto: Sina Schuldt/dpa

Oder Tomaten: «Bei Mozzarella-Tomate wollen die Gäste nur Scheiben aus der Mitte der Tomate. Deshalb stückeln wir die Randstücke und machen daraus Bruschetta.» Als krosse Unterlage dienen in Scheiben geschnittene Brötchen, die fürs Frühstücksbüffet nicht benötigt wurden. Für die Suppe werden ganze Fische verwendet, nicht nur Filets. Die Rouladen sind aus dem Fleisch von Wasserbüffeln, die wenige Kilometer vom Hotel entfernt auf der Weide leben, und das ebenfalls in Gänze für verschiedenste Gerichte verarbeitet wird. Zum Fleisch gibt es Semmelknödel – aus Frühstücksbrötchen. Die Hauptzutat für den Kabinettpudding sind Croissants.

«Rest» bedeutet nicht schlechte Qualität

«Das Wort Reste ist negativ besetzt und wird als Abfall verstanden», sagt der Geschäftsführer des Vereins «United Against Waste», Torsten von Borstel, der Einrichtungen dabei berät, wie Müll aus Lebensmitteln eingespart werden kann. Dabei seien Reste keinesfalls von minderer Qualität.

Der Verein schaute 2017 in den Küchen von zwei Dutzend Hotels nach: Im Durchschnitt wurden von jeder Mahlzeit hinterher 27 Prozent weggeworfen. «Es wird einfach zu viel produziert», sagt von Borstel. Meist sei ein zu üppiges Frühstücksbuffet für die Abfallmengen verantwortlich. Gäste liessen zudem viel auf ihren Tellern zurück. Dabei könnten Hotels schon mit einfachen Mitteln dagegen steuern. «Das heisst nicht, auf Vielfalt zu verzichten.»

Seit 2017 lädt das Vier-Sterne-Hotel ausgewählte Gäste ein, um das Resteessen an langen Tischreihen zu servieren.
Seit 2017 lädt das Vier-Sterne-Hotel ausgewählte Gäste ein, um das Resteessen an langen Tischreihen zu servieren.
Foto: Sina Schuldt/dpa

Potenzial in Ausser-Haus-Verpflegung

Zwar entstehen nach Berechnungen des Braunschweiger Thünen-Instituts die meisten Lebensmittelabfälle in privaten Haushalten. Das Verbraucherverhalten sei aber schwer zu ändern, sagt von Borstel: «Das grösste Potenzial zur Abfallvermeidung liegt in der Ausser-Haus-Verpflegung.» In verschiedenen Studien gehen Experten davon aus, das dort rund zwei Tonnen Lebensmittel pro Jahr weggeworfen werden – zu viel, findet von Borstel. «Wir haben über 40'000 Hotels in Deutschland. Wir haben längst noch nicht alle mit unserer Initiative erreicht», sagt er.



Der Bremerhavener Küchenchef weiss, wovon von Borstel spricht: «Ich habe früher in Küchen gearbeitet, da hat sich keiner Gedanken gemacht. Die haben alles weggeworfen», sagt Dominik Flettner. Beim Frühstücksbüffet im Bremerhavener Sail City Hotel werden kleinere Brötchen, Wurstscheiben und Platten angeboten, selbst die Löffelgrösse in den Schalen wurde verkleinert. «Wir arbeiten auch mit Psychologie», sagt Flettner. Sei weniger auf dem Teller, werde eher auch alles verzehrt.

Durchsichtige Müllbehälter

Kurz vor Ende der Frühstückszeit werden leere Platten nicht mehr aufgefüllt, auf Wunsch wird die Ware direkt zum Gast gebracht. In der Küche wurden zudem durchsichtige Abfallbehälter aufgestellt, um das Küchenteam dafür zu sensibilisieren, was alles im Müll landet. «Das hatte einen grossen Effekt», erzählt Flettner.

Mit einem durchsichtigen Abfallbehälter werden die Küchenmitarbeiter für die Menge an  Müll sensibilisiert.
Mit einem durchsichtigen Abfallbehälter werden die Küchenmitarbeiter für die Menge an  Müll sensibilisiert.
Foto: Sina Schuldt/dpa

Im Frühstücksbereich sei über 32 Prozent der ausgegebenen Lebensmittel eingespart worden. «Viel mehr geht nicht», sagt Direktor Oberdieck. Er gebe jährlich bis zu 15'000 Euro weniger im Einkauf aus.

Auch beim jährlichen Resteessen fallen Reste an: Vor allem die satt machenden Semmelknödel bleiben auf den Tellern liegen. Trotzdem ist Flettner zufrieden, nachdem er die Speiseabfälle am Ende gewogen hat: «87 Gramm pro Nase. Das ist ein Spitzenwert.»

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