Auf den Spuren des Ausbruchs Vulkanologen aus aller Welt stürmen Kanareninsel La Palma

AP/tpfi

4.12.2021

Ein Wissenschaftler des IGME-CSIC (Geologisches und Bergbauinstitut Spaniens des Spanischen Nationalen Forschungsrats) misst die Temperatur von Lava in der Nähe eines Vulkans auf der Kanarischen Insel La Palma.
Ein Wissenschaftler des IGME-CSIC (Geologisches und Bergbauinstitut Spaniens des Spanischen Nationalen Forschungsrats) misst die Temperatur von Lava in der Nähe eines Vulkans auf der Kanarischen Insel La Palma.
Bild: Taner Orribo/AP/dpa

Seit Wochen ist der Vulkan auf der Kanareninsel wieder aktiv. Einmalige Forschungschancen locken Wissenschaftler aus aller Welt an. Vor allem eine Frage treibt sie um.

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Sie arbeiten mit Hightech-Drohnen und Präzisionsgeräten. Mithilfe von Satelliten analysieren die Forscher Gasemissionen und Ströme von flüssigem Gestein. Vor Ort sammeln sie alles von den kleinsten Partikeln bis hin zu Lavabrocken in der Grösse von Wassermelonen, die wie Projektile aus dem weissglühenden Vulkan auf La Palma geschleudert werden.

Wissenschaftler aus aller Welt strömen gerade auf die kanarische Insel. Sie werden angelockt von einem Vulkanausbruch, der sich nur eine Fahrtstunde vom internationalen Flughafen entfernt abspielt. Unter dem Schutz von Militärbrigaden können sie sicher arbeiten und eine der stärksten Naturgewalten vom Land und vom Meer, aus der Luft und sogar aus dem Weltraum erforschen.

Perfektes Forschungsfeld

Wie bei zwei Dutzend weiteren Grosseruptionen auf der Erde - von Hawaii bis Indonesien – wollen auch die Wissenschaftler auf La Palma eine besondere Chance nutzen, um die Ausbrüche besser zu verstehen. Sie untersuchen, wie sich die Eruptionen bilden, entwickeln und, noch wichtiger für die Inselbewohner, wie und wann sie wieder aufhören.



Zwar gab es in der Vulkanologie in den vergangenen Jahrzehnten einige technologische und wissenschaftliche Fortschritte. Dennoch können die Forscher in weiten Teilen nur schätzen, was sich in der Unterwelt tut, wo Magma gebildet wird und jedes vom Menschen gebaute Gerät schmilzt. Die bislang tiefste Bohrung in die Erdkruste betrug lediglich etwas mehr als zwölf Kilometer. Sie gelang sowjetischen Wissenschaftlern im Jahr 1989.

«Es ist immer noch schwierig, mit Sicherheit zu wissen, was in 40 oder 80 Kilometern Tiefe passiert», sagt Pedro Hernández vom kanarischen Institut für Vulkanologie, Involcan. «Vermutlich kennen wir die Sterne bald besser als das, was unter unseren Füssen geschieht.»

«Es war atemberaubend»

Vulkanausbrüche kommen auf den Kanaren, 100 Kilometer nordwestlich von Afrika im Atlantik gelegen, ein bis zwei Mal pro Generation vor. Einige der Inseln dehnen sich wegen der unterirdischen Akkumulation von Magma immer noch aus. Ein weiterer Grund dafür ist – wie im Fall von La Palma – die Bildung von Halbinseln aus Lava über die Küstenlinie hinaus.

Die letzte Eruption vor zehn Jahren auf der Insel El Hierro ereignete sich unmittelbar vor der Küste. Das erschwerte es für Vulkanologen, Proben zu sammeln. Ein Landvulkan brach zuletzt 1971 auf La Palma aus. Im selben Jahr wurde Valentin Troll geboren, der heute als Geologe an der Universität Uppsala in Schweden arbeitet und eine geologische Studie über das Archipel mitverfasst hat. «Es war atemberaubend, diese Dynamik in Aktion zu sehen», sagt er über die jüngste Eruption. «Wir lernen so viel darüber, wie Vulkane funktionieren.»

Lavaströme im Satelliten-Auge

Auf den drohenden Ausbruch im Gebiet Cumbre Vieja waren die Wissenschaftler glücklicherweise durch Messungen rechtzeitig aufmerksam geworden. Sie konnten den exakten Zeitpunkt zwar nicht vorhersagen, aber die Behörden begannen einige Stunden vor der Eruption am 19. September mit der Evakuierung der Region. In direktem Zusammenhang mit dem Ausbruch kamen daher keine Menschen ums Leben.

Zu verdanken ist das unter anderem dem EU-Satellitenprogramm Copernicus. Es lieferte Bilder und Karten der Insel in hoher Auflösung, die Deformationen infolge von Erdbeben erkennbar machten. So konnten Experten Lavaströme und Anhäufungen von Asche fast in Echtzeit verfolgen. Zugleich untersuchen die Besatzungen von spanischen Forschungsschiffen die Auswirkungen der Eruption auf das Ökosystem des Meeres.

Der nächste grosse technische Fortschritt wird erwartet, wenn roboterbetriebene Rover wie die auf dem Mond oder dem Mars auch in Vulkanen eingesetzt werden können, wie Troll erklärt. Die Erkenntnisse könnten dann etwa auch beim Wiederaufbau der vom Tourismus abhängigen Insel helfen. «Wir müssen lernen, wie wir die Bevölkerung und die wachsende Industrie schützen können, um eine nachhaltige Gesellschaft zu schaffen», sagt er. Die Inselgemeinde hat bereits Tausende Häuser, Bauernhöfe, Strassen und Bewässerungskanäle verloren.

Die Frage nach dem Ende der aktuellen Eruptionen treibt die Forscher auf La Palma besonders um – denn sie ist kaum zu beantworten. Das liege unter anderem daran, dass die Kanarischen Inseln eng mit Aktivitäten verbunden seien, die bis zum Erdkern zurückreichen, erklärt der Geochemiker Esteban Gazel von der Cornell University in New York. «Es ist wie bei der Behandlung eines Patienten», sagt er. «Man kann beobachten, wie sich ein Ausbruch entwickelt, aber wann er sterben wird, ist extrem schwierig zu sagen.»

Gazel hat bereits in seiner Heimat Costa Rica Spuren früherer Vulkanausbrüche studiert sowie am aktiven Vulkan Kilauea auf Hawaii geforscht. Die Eruptionen auf La Palma hätten seiner Arbeit aber eine neue Dimension verliehen, sagt er. Denn das Gestein sei hier anders zusammengesetzt und das Sperrgebiet um den Vulkan leichter zugänglich. «Je mehr Eruptionen wir untersuchen, desto besser werden wir verstehen, wie sie sich verhalten», sagt Gazel.