Luxusgut Wasserkrise in Venezuela: Reiche lassen sich private Brunnen bohren

Von Scott Smith, AP

27.6.2018

Venezuelas Wirtschaft ist völlig kaputt, mittlerweile mangelt es sogar an fliessendem Wasser. Aber Geld lacht: Wer zu den Reicheren zählt, kann das Problem umgehen.

Es war jedes Mal ein frustrierendes Glücksspiel, wenn Elizabeth Robles in Caracas ihren Wasserhahn aufdrehte. Würde es fliessen, tröpfeln oder ganz trocken bleiben? Eine Alltagsszene in Venezuela, wo sich die schwere Wirtschaftskrise unter Präsident Nicolás Maduro mittlerweile auch massiv auf die Wasserversorgung auswirkt.

In Robles' Apartmentkomplex floss das kostbare Nass anfangs an einem oder zwei Tagen in der Woche. Als Präsidentin der dortigen Vereinigung von Wohnungseigentümern entschloss sich die Venezolanerin zum Handeln, heuerte Lastwagen an, um den unterirdischen Vorratstank unter dem Gebäude in der schicken Wohngegend CampoAlegre anzufüllen.

Mit etwas selbstauferlegter Rationierung reichte das, um die Einwohner mit Wasser zu versorgen - aber nur jeweils drei Mal am Tag, insgesamt eine Stunde lang. «Wenn du um fünf Uhr am späten Nachmittag verschwitzt nach Hause gekommen bist, konntest du nicht duschen», schildert Robles, eine Kleinunternehmerin und Rechtsanwältin.

Am Ende hatten die Hausbewohner die Nase voll. Da von der Regierung keine Abhilfe zu erwarten war, beschlossen sie, auf eigene Kosten neben dem Gebäude einen privaten Brunnen bohren zu lassen, für umgerechnet etwa 6000 Euro, 240 Euro pro Familie.

Das konnten sie sich als gut betuchte Venezolaner leisten, wie auch andere in ihrer Nachbarschaft. Die Bewohner von mindestens drei weiteren Gebäuden an ihrer mit Bäumen gesäumten Strasse in der Nähe des exklusivsten Freizeitclubs der Stadt haben dieselbe Firma zum Brunnenbohren angeheuert. Auch in anderen wohlhabenderen Gegenden von Caracas kommt das immer häufiger vor.

Für die grosse Mehrheit der Menschen im Land ist die Lage dagegen praktisch ausweglos, das Bohren nach Wasser keine Option. Der rasante Absturz der Landeswährung und eine fünfstellige Inflation haben ihre Einkommen vernichtet, der monatliche Mindestlohn liegt umgerechnet unter 1,70 Euro. So hat denn auch die Wasserknappheit nach Angaben einer Beobachterorganisation in den ersten fünf Monaten dieses Jahres mehr als 400 Protestkundgebungen im Land ausgelöst.

Viele Venezolaner sind mittlerweile darauf angewiesen, leere Behälter an Quellen - oft kaum mehr als Rinnsale - in den Bergen um Caracas zu füllen. So hält es etwa der arbeitslose Bauarbeiter Carlos Garcia: In einem Fall dauerte es acht Stunden, bis er mit dem Wasser heimkehrte. «Manchmal hast du haufenweise schmutzige Wäsche», beschreibt er die Lage.

Einst hatte Caracas ein erstklassiges Versorgungssystem. Wasser wurde aus fernen Reservoirs in den Bergen in das Tal gepumpt, in dem die Hauptstadt liegt. Jetzt sind die Rohre am Platzen, Pumpen versagen, und eine kleine Viehherde grast auf dem Grund des Mariposa-Beckens ausserhalb der Stadt, der eigentlich hoch unter Wasser stehen sollte.

Experten zufolge liegt das Hauptproblem in mangelnder Wartung der Anlagen. Dies sei noch dadurch verschärft worden, dass es zu wenig geregnet habe. Der Regierung zufolge ist ganz klar das Wetter Schuld, die Vorratsbecken seien schlicht ausgetrocknet. Aber José Maria de Viana, früherer Chef von Hidrocapital, Venezuelas staatseigenem Wasserversorger, weist das zurück: Das System sei so angelegt worden, dass es die Stadt durch Dürreperioden bringen könne, sagt er.

Die meisten privaten Brunnen sind illegal

Die derzeitige Misere führt er auf Inkompetenz zurück: «Wenn man nicht jeden Tag die Probleme anpackt, werden wir in der Stadt immer weniger Wasser haben. Was wir mehr haben werden sind Proteste und Wut.»

Und mehr Anrufe der Reicheren bei Unternehmen, die nach Wasser bohren können. Das Telefon klingele vier oder fünf Mal am Tag, während es vor einem Jahr etwa zwei Anrufe in der Woche waren, schildert etwa Fernando Gomez von der Firma Venezuela Pump Engineering. Die einzige Bohranlage des Unternehmens arbeite praktisch ununterbrochen: «Jeder will es (das Wasser) sofort.»

Die meisten der privaten Brunnen sind illegal. Das Gesetz schreibt eine Genehmigung vor dem Bohrbeginn vor, aber die bürokratischen Prozeduren können bis zu zwei Jahre dauern - und so lange will jetzt kaum jemand warten.

Carmen Rivero kann von einer privaten Quelle nur träumen. Sie lebt in Petare, einem der ausgedehntesten Armenviertel Venezuelas. Wenn Wasser fliesse, sei das ein Grund zum Feiern, und wenn nicht, löse es Zorn aus - und letzteres sei meistens der Fall, berichtet die Frau. Unlängst seien die Wasserhähne in ihrer Gegend drei Monate lang trocken geblieben, davor sogar schon einmal volle acht Monate. Die Einwohner behelfen sich mühsam, indem sie Behälter mit Wasser aus einer Quelle oder von einem städtischen Tanklaster füllen.

Als kürzlich plötzlich einmal Wasser aus den Hähnen floss, habe jeder gejubelt, erzählt Rivero. Sie selbst füllte eine blaue Wanne, so gross wie ein aufblasbarer Swimmingpool für Kinder, der in einer Ecke ihrer kleinen Hütte aus Zement und Ziegeln steht. Umgekehrt kochten unlängst Zorn und Frust über den Wassermangel in ihrer Gegend derart hoch, dass es zu Strassenprotesten kam.

Schwer bewaffnete Nationalgardisten seien aufmarschiert und hätten mit Festnahmen gedroht, sagt Rivero. «Du bist ein menschliches Wesen, und du weisst, wir können ohne Wasser nichts tun», habe sie einem der Uniformierten gesagt. Er habe geantwortet, dass seine Familie nicht anders sei als die ihrige - aber er müsse Befehlen folgen.

Bilder des Tages
Zurück zur Startseite