Erbärmliche Zustände Wenn Schutzkeller zu Gräbern werden: Das ist die Hölle von Ost-Ghuta

Sarah el Deeb / AP

6.3.2018

Mehr als 600 Menschen sind in den vergangenen zwei Wochen bei der syrischen Offensive auf Ost-Ghuta getötet worden. Wer kann, sucht Unterschlupf in Kellern und Schutzräumen. Die Zustände sind erbärmlich. Und sicher sind die Menschen dort auch nicht.

Nahezu pausenlos fliegen die syrischen Kampfflugzeuge Angriffe über Ost-Ghuta, überziehen die von Rebellen kontrollierte Region mit einem Bombenteppich. Tausende Menschen haben vor dem Schrecken des Bürgerkriegs Zuflucht in Kellern und unterirdischen Schutzräumen gesucht, harren dort unter erbärmlichen Bedingungen aus, über Stunden, über Tage und in der ständigen Angst, dass eine Explosion ihren Unterschlupf zerstören könnte.

Als es das erste Mal einen Luftangriff auf ein Ziel über ihrem Schutzraum gegeben habe, sei sie vor Schreck erstarrt, berichtet eine 30 Jahre alte Lehrerin, die mit ihrem 22 Monate alten Kind dort Unterschlupf gefunden hat. «Ich war geschockt, wusste nicht, was ich tun sollte. Wegrennen? Aber wohin? Sitze ich still? Es war unerträglich?», sagt die Frau. Ihren Namen will sie nicht nennen, aus Angst vor Repressalien - sollte sie überhaupt überleben.

«Es war der nächste Platz, der als sicher galt. Aber er ist nicht sicher», sagt sie über ihre Zufluchtsstätte. Manchmal treffe eine Fassbombe einen Schutzraum, entweder am Eingang oder die Explosion dringe sogar nach innen, verletze oder töte viele.

Die Hölle auf Erden

Einst war Ost-Ghuta bekannt für seine grünen Felder und Gemüsegärten. Doch nach jahrelanger Belagerung und der nun eingeleiteten Offensive der Truppen von Präsident Baschar al-Assad mit Unterstützung Russlands, ist es mittlerweile die Hölle auf Erden.

Nach Angaben der Vereinten Nationen sind etwa 15'000 Menschen im Januar aus ihren Häusern geflohen und haben Zuflucht in Kellern und Schutzräumen gesucht. Doch diese Orte stehen im Fokus der massiven Bombardierungen. Rund 600 Menschen kamen allein in den vergangenen zwei Wochen bei der Offensive um.

Die Lehrerin lebt in Duma, mit 120'000 Einwohnern die grösste Stadt in der Region. Sie sagt, sie habe Angst, wenn die Regierung die Stadt zurückerobere. Aber sie habe auch Angst vor den Rebellen, die mit eiserner Hand herrschten. «Leider haben wir Zivilisten hier keine Stimme», sagt sie. Die Lage sei aussichtslos, sie wisse nicht wohin.

Leben wie im Gefängnis

Ihr Unterschlupf sei feucht und überfüllt, zudem völlig verqualmt, denn die Menschen rauchten wegen der extremen Anspannung ständig. Mehr als 70 Frauen lebten dort dauerhaft. Immer wieder müsse sie ihrem Kind hinterher, dass die Treppe hinaufwolle. Sie habe gesehen, wie ein Mädchen von der Wucht eines Luftangriffs die Treppe heruntergeschleudert worden sei. Vor einer nahegelegenen Unterkunft wurde ein Kind, das kurz an der frischen Luft war, bei einem Angriff getötet.

Neemat Mohsen leitete das Frauenbüro in Sakba, einer anderen Stadt in Ost-Ghuta. Sie sagt, dass in den Unterkünften bis zu 350 Menschen ohne Strom und laufendes Wasser lebten. «In unserer Strasse sind auf 500 Metern Länge nur drei Keller. Darin müssen alle Familien unterkommen.» Einige hätten Generatoren gespendet, damit es wenigsten vorübergehend etwas Strom für Licht gebe.

«Wir fühlen das Gefängnis schrumpfen. Erst wurden wir in einem riesigen Gefängnis belagert, das Ost-Ghuta hiess. Jetzt sind wir in Unterkünften gefangen, die wie Gräber sind», sagt sie. Wie die Menschen diese Belastung ertragen, sei enorm. «Sie sind stärker als Berge», sagt sie mit Tränen in den Augen. «Wir erleben den wahren Terror 24 Stunden am Tag. So lange die Flugzeuge in der Luft sind, kann jede Rakete jeden überall treffen.»

Heimlich essen, um keinen Neid zu schüren

Die Lebensmittelpreise sind enorm gestiegen. Die Lehrerin sagt, sie füttere ihren Sohn mit Oliven, manchmal gebe es Brot. Und ganz selten könne sie abgepackte Nudeln kochen. Aber sie isst heimlich. Denn viele in der Unterkunft können sich keine Nahrung leisten oder haben keinen Zugang dazu.

Die 31 Jahre alte Bayan Rehan aus Duma sagt, Tomatenmark sei mittlerweile das am meisten verbreitete Lebensmittel. Vor einer guten Woche wurde ihr Zuhause von einer Granate getroffen. Ihre Familie brachte sie in einem Schutzraum unter. Sie selbst organisiert Hilfe und dokumentiert für die Aussenwelt das Grauen. Wovon sie träumt? «Mein grösster Wunsch ist es zu duschen», sagt sie, und räumt dann mit einem schüchternen Kichern ein, dass sie das seit 20 Tagen nicht mehr habe tun können.

Die Wohnung der Lehrerin befand sich im Erdgeschoss eines Hauses. So oft es ging, versuchte sie, dort mit ihrem Sohn zu schlafen, um der schlechten Luft im Schutzraum zu entkommen. In der Nacht vor einer von Russland vorgeschlagenen Waffenruhe, lud sie andere Menschen aus der unterirdischen Unterkunft ein, auch bei ihr zu schlafen. Sie rechneten mit einem ruhigeren Tag. Doch bei Morgengrauen flog die syrische Luftwaffe zehn Angriffe auf die Gegend, ihr Haus geriet unter Granatbeschuss. So zog sie dauerhaft in den Schutzraum.

Die Bewohner wollen trotzdem bleiben

Am meisten wütend macht sie das Schweigen der Vereinten Nationen und der internationalen Gemeinschaft. Sie spricht von einer Zwangsumsiedelung. «Warum sollen wir aus unseren Häusern vertrieben werden? Warum wird akzeptiert, dass die Regierung dort andere Menschen leben lässt?», sagt sie.

Die Bewohner von Duma wollten nicht nach Idlib gehen, jener Provinz im Nordwesten des Landes, die von er Opposition gehalten wird und wohin andere Menschen aus belagerten Gegenden nach der Evakuierung gebracht wurden. Dort haben Gruppen mit Verbindungen zum Terrornetzwerk Al-Kaida das Sagen. «Wir lehnen die ab. Warum sollten wir mit denen zusammenleben - und dann beginnt die Regierung, uns dort zu bombardieren?», sagt die Lehrerin.

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