BBC-Doku über illegale AdoptionenWie sich geraubte Zwillinge auf TikTok und im TV wiederfinden
phi
26.1.2024
Sie wurden getrennt und illegal adoptiert, doch durch das Fernsehen und Social Media finden die georgischen Zwillinge Amy und Ano im Alter von 19 Jahren wieder zusammen. Die beiden sind kein Einzelfall, zeigt die BBC.
phi
26.01.2024, 19:04
phi
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Die BBC-Dokumentation «Betrug bei Geburt – Georgiens gestohlene Kinder» beleuchtet illegale Adoptionen in Georgien, die es dort bis 2005 gab.
Das Vorgehen wird anhand der Zwillinge Amy und Ano erzählt, die sich erst mit 19 Jahren über Social Media kennenlernen.
Sie finden heraus, dass sie 2002 als scheinbar ungewollte Kinder adoptiert worden sind und schliessen sich einer speziellen Facebook-Gruppe an.
Dort findet sie eine junge Frau aus Deutschland, deren Zwillinge 2002 bei der Geburt gestorben sein sollen. DNA-Test zeigen, dass sie Verwandte sind.
Eine Jounralistin und eine Anwältin sprechen von systematischem Baby-Raub und bis zu 100'000 Opfern.
Es ist das Jahr 2014, als Amy Khvitia eine Talentshow im georgischen Fernsehen schaut. Dort sieht die Zwölfjährige den Auftritt eines Mädchens namens Ano Sartania. Die Mädchen gleichen sich wie ein Ei dem anderen. «Was zur Hölle passiert hier? Wer ist das Mädchen», denkt sich Amy. Sie ruft ihre Mutter an, doch die spricht von einem Zufall.
Es vergehen Jahre, bis sich die Mädchen persönlich kennenlernen. Im November 2021 lässt sich Amy die Augenbrauen piercen. Ein Video vom Ergebnis stellt sie auf TikTok – und das fällt jemandem auf, der Ano kennt und ihr den Clip schickt. «Als ich sie sah, dachte ich, ich schaue mich selbst an», erinnert sich Ano in einer BBC-Dokumentation «Betrug bei Geburt – Georgiens gestohlene Kinder» an den Moment.
Ano beschliesst, Amy ausfindig zu machen. Sie ist arm, aber glücklich aufgewachsen, sagt Ano. Aber auch: «Die ganze Kindheit hatte ich das Gefühl, dass mir jemand fehlt.» Im Internet finden sich die Zwei. Sie verabreden sich in Georgiens Hauptstadt Tiflis. Sie sind schockiert, als sich begegnen. «Exakt dieselbe Person, exakt dasselbe Gesicht, dieselbe Stimme, dieselben Gedanken», beschreibt es Amy.
Ungewollte Babys gegen Bezahlung
Die beiden machen Fotos und stellen sie auf Facebook. Das sieht ein Freund von Amys Mutter, der sie anschreibt: Hat sie nun ihre Schwester gefunden? Amy fällt aus allen Wolken – und fängt wie auch Ano an, den Eltern Fragen zu stellen. Beide Familien räumen schliesslich dieselbe Geschichte ein.
Im Jahr 2002 erfahren sie, dass ein ungewolltes Kind im Kirtskhi-Spital in West-Gorgien geboren worden sei, dass sie gegen Bezahlung mitnehmen könnten. Das sei im Abstand einiger Wochen passiert: Etwas Illegales hätten die Adoptiveltern dahinter nicht vermutet, versichern sie. Und dass es einen Zwilling gab, sei auch nie thematisiert worden.
Dass Amy und Ano keine Einzelfälle sind, macht die Journalistin Tamuna Museridze öffentlich: Als Betroffene gründet sie 2021 eine Facebook-Gruppe, die Opfer illegaler Adoptionen in Georgien geworden sind. Sie hat mittlerweile über 230'000 Mitglieder. Auch Amy und Ano machen mit und erzählen ihre Geschichte.
Schwester und Mutter via Facebook kontaktiert
Die beiden werden daraufhin von Anna aus Deutschland angeschrieben, deren Mutter 2002 im Kirtskhi-Spital Zwillingsmädchen zur Welt gebracht hat, die laut den Ärzten aber gestorben seien. Ein DNA-Test zeigt: Amy und Ano haben ihre Schwester und ihre Mutter gefunden.
Bei einem Treffen in Leipzig berichtet Mutter Aza, sie sei nach der Geburt ins Koma gefallen. Als sie erwachte, wurde ihr gesagt, die Babys seien schon beerdigt. Für die Betroffenen brechen alte Welten zusammen. «Mein ganzes Leben war eine Lüge«, schimpt Amy. «Natürlich war ich wütend», gesteht Ano. «Wütend auf die Leute, die uns getrennt haben – und auch sauer auf meine Familie.»
Der Handel mit Babys hat in den 70ern begonnen und sei bis 2005 akut gewesen, als Adoptionsregeln geändert wurden, heisst es bei der BBC. «Diese illgealen Adoptionen waren systematisch», sagt die Anwältin Lia Mukhashavria. «Es gab sie im ganzen Land.» Seit 2003 hat es zwei offizielle Untersuchungen in der Sache gegeben, doch es gibt Zweifel, dass die Vorfälle sauber aufgearbeitet worden sind. Seit 2022 wird wieder ermittelt.
Ergebnisse gibt es aber weiter nicht, obwohl Journalistin Museridze schätzt, dass bis zu 100'00 Babys geraubt worden sein könnten, die neben Georgien auch in Kanada, Russland, Zypern, den USA und der Ukraine vermittelt worden sein sollen.