ItalienDorf verscherbelt Häuser für 1 Euro – Eigentümer aus Übersee entsetzt
tsha
1.3.2021
Ein Haus für nur einen Euro? Das italienische Städtchen Castropignano sucht auf diesem Weg neue Bürger – und bringt ehemalige Bewohner gegen sich auf.
Für die Kanadierin Josie Faccini ist das kleine Steinhaus in Castropignano mehr als nur eine Erinnerung an unbeschwerte Sommertage. Es ist ein Teil ihrer Familiengeschichte. Denn aus dem kleinen Örtchen im Molise, rund 100 Kilometer nördlich von Neapel entfernt, stammt ihre Grossmutter Consilia Scapillati, die ihre Heimat und damit auch ihr Häuschen in den 50er-Jahren verlassen hatte, um sich in Kanada ein neues Leben aufzubauen.
Nun plagt Josie eine Sorge: Das Haus, das einst ihre Familie bewohnt hat, könnte verkauft werden. Gegen ihren Willen und für den symbolischen Betrag von nur einem Euro.
Castropignano ist einer jener italienischen Orte, die seit vielen Jahren unter massivem Einwohnerschwund leiden. Um dem langsamen Ausbluten entgegenzuwirken, greifen viele Bürgermeister seit einiger Zeit zu unkonventionellen Methoden. So kündigte etwa der Ort Locana im Piemont an, Neubewohnern 9000 Euro im Jahr zahlen zu wollen. Und die sizilianische Gemeinde Cammarata, bekannt als «Stadt der tausend Balkone», machte Schlagzeilen mit dem Vorstoss, leer stehende Häuser zu verschenken.
Castropignano, die alte Heimat von Josie Faccinis Familie, verkauft seit einiger Zeit Häuser, die zu zerfallen drohen, für einen Euro an Interessenten. Als sie davon gehört habe, so Faccini zu CNN, habe sie vergeblich versucht, den Bürgermeister des Ortes zu erreichen. Denn sie habe verhindern wollen, dass das Haus ihrer Grossmutter einen neuen Besitzer bekommt. «Ich bin so wütend und frustriert», sagt Faccini. «Ich möchte die Stadt aufblühen sehen und mithelfen, ein Teil davon zu sein, aber bitte stehlen Sie uns nicht unsere Heimat!»
Undurchsichtige Geschäfte
Nach acht Monaten habe sie der Bürgermeister schliesslich kontaktiert – mit der Aufforderung, sie müsse nachweisen, dass das Haus noch im Besitz der Familie sei. Keine einfache Aufgabe, wie auch Bürgermeister Nicola Scapillati einräumt. Schliesslich sei es möglich, dass ein Haus schon vor Jahren weiterverkauft worden sei, ohne dass es dazu Unterlagen gebe. Derartige inoffizielle Geschäfte kämen in Italien immer wieder vor, um Steuern zu sparen.
Man habe versucht, so die Gemeinde, die möglichen Eigentümer der Häuser zu kontaktieren, dies sei aber nicht immer gelungen. Rund 100 Immobilien stünden in Castropignano zum Verkauf, erklärt der Bürgermeister. Mögliche Käufer müssten nachweisen, was sie mit den Häusern, von denen viele stark verfallen sind, vorhaben. Insgesamt 1000 Interessenten hätten sich bereits gemeldet, rund 20 mögliche Altbesitzer habe man deshalb angeschrieben.
Laut CNN ist die Geschichten von Josie Faccini kein Einzelfall. Nachdem der sizilianische Ort Mussomeli Hunderte Häuser günstig verkauft hatte, habe sich dort eine Familie aus Argentinien gemeldet und ihr einstiges Eigentum zurückgefordert. Auch aus anderen Dörfern werden ähnliche Fälle gemeldet.
«Wir sind froh, dass unser Projekt Begeisterung auslöst»
Derweil versucht Josie Faccini von Kanada aus, sich um das Haus ihrer Vorfahren zu kümmern. Sie wolle alle nötigen Steuern nachzahlen und die Renovierung bezahlen, sagt die Frau aus Niagara Falls. Bis vor zehn Jahren habe sie noch regelmässig in dem Haus in Castropignano übernachtet, später habe es eine Tante übernommen. «Dann ist sie gestorben, aber ich habe keine Ahnung, was mit dem Haus passiert ist und wem es jetzt gehört.»
Für Josie Faccini könnte es dennoch ein Happy End geben. Er glaube nicht, dass das Haus ihrer Grossmutter verkauft worden sei, sagt der Bürgermeister von Castropignano. «Wir schnappen uns kein Grundstück, wir wollen keiner Familie ein Haus wegnehmen, ganz im Gegenteil», sagt er. «Wir sind froh, dass unser Projekt Begeisterung ausgelöst und Castropignano ins Rampenlicht gerückt hat und Menschen anzieht, die sich mit vereinten Kräften für die Wiederherstellung unserer schönen Gemeinde einsetzen wollen.»