Kiental-«Schubser»-Prozess Lange Freiheitsstrafe gefordert – vorsätzliche Tötung

hn, sda

22.9.2022 - 19:32

Tobel im Kiental (Symbolbild). Das Opfer sagt vor Gericht aus, absichtlich in eine Schlucht im Kiental gestossen worden zu sein.
Tobel im Kiental (Symbolbild). Das Opfer sagt vor Gericht aus, absichtlich in eine Schlucht im Kiental gestossen worden zu sein.
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Ein Mann, der beschuldigt wird, zwei Liebhaber in eine Schlucht im Berner Oberland gestossen zu haben, soll 19 Jahre ins Gefängnis. Das hat am Donnerstag die Staatsanwaltschaft vor dem Regionalgericht in Thun gefordert.

Keystone-SDA, hn, sda

Vor den erstinstanzlichen Richtern stand ein heute 65-jähriger Mann aus dem Berner Oberland. Ihm wurden vorsätzliche Tötung, versuchte vorsätzliche Tötung sowie diverse Sexualdelikte zur Last gelegt.

Auf die Spur kam man dem mutmasslichen Täter, nachdem ein Autofahrer im November 2019 in der Griesschlucht im Kiental einen völlig durchnässten, frierenden und verletzten Afghanen an der Strasse aufgefunden hatte.

Der junge Mann berichtete Unerhörtes: er sei von einem Bekannten, einem Schweizer aus der Gegend, absichtlich in die Schlucht gestossen worden. Er habe sich zunächst an einem Baum festkrallen können, doch der Schweizer habe seinen Griff gelöst, worauf er in den Wildbach abgestürzt sei.

Es sei ihm gelungen, sich auf einen abschüssigen Vorsprung zu retten, wo er in Todesangst die Nacht verbracht habe. Gleiches berichtete der Afghane der Polizei. Diese nahm den verdächtigen Schweizer umgehend fest.

Parallelen zu anderem Fall

Bald stiess die Polizei auf Parallelen zu einem Fall, der sich nur wenige Monate vorher in der Schlucht zugetragen hatte. Damals wurde ebenfalls ein junger Afghane tot unterhalb der Griesschlucht aufgefunden.

Seinerzeit ging man mangels anderer Hinweise noch von einem Unfall aus. Doch nun nahmen die Ermittler diesen Fall nochmals unter die Lupe.

Wie die Staatsanwältin am Donnerstag ausführte, fanden sich Mobiltelefondaten, die zeigten, dass der mutmassliche Täter auch das nachmalige Todesopfer kannte und mit ihm in Kontakt gestanden war.

Angeklagter bestreitet Tötungsdelikt

Der Angeklagte bestritt, etwas mit dem Todesfall zu tun zu haben. Er verweigerte am Donnerstag jegliche Aussagen dazu. Hingegen räumte der Mann ein, jenen Afghanen zu kennen, der den Sturz in die Schlucht überlebte.

Er habe mit dem Mann eine sexuelle Beziehung gegen Geld gehabt, sagte der Angeklagte. Der junge Afghane sei bei Vermessungsarbeiten in der Schlucht gestolpert und ins Tobel gestürzt. Er habe ihn nach dem Sturz nicht mehr gesehen und sei nach Hause gegangen, in der Annahme, dass jede Hilfe zu spät komme.

Staatsanwältin glaubt Aussagen des Opfers

Die Staatsanwältin stellte in ihrem Plädoyer vollständig auf die Aussagen des Opfers ab. Der Afghane habe von Anfang an konsistent, detailliert und glaubhaft ausgesagt. Fussspuren in der Schlucht und eine schwache DNA-Spur beim Bach an einem Baum belegten seine Aussagen.

Ganz anders habe sich der Angeklagte geäussert. Er habe Aussagen verweigert und sei zum Kerngeschehen vage geblieben. Ausserdem habe sich der Mann in Widersprüche verwickelt und sein Aussageverhalten immer wieder geändert.

Für die Staatsanwältin ergaben sich genügend Indizien, die auf eine Täterschaft des Angeklagten schliessen lassen. Allein für die beiden mutmasslichen Tötungsdelikte, eines davon versucht, verlangte die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von 16 Jahren. Dazu kommen noch diverse mutmassliche Sexualdelikte mit Kindern und Minderjährigen gegen Entgelt. Insgesamt erhöhte sich so das geforderte Strafmass auf 19 Jahre.

Opferanwalt: Herzloses Verhalten

Der Anwalt des überlebenden Afghanen betonte die grosse Lebensgefahr, in der sich sein Klient an jenem Abend und in der Nacht in der Schlucht befunden habe. Demgegenüber sei der Angeklagte einfach nach Hause gefahren, ohne Hilfe zu holen, habe Abendbrot gegessen und Büroarbeiten erledigt.

Das sei doch kein Verhalten, das jemand an den Tag lege, der gerade einen ihm lieben Menschen habe spurlos im Abgrund verschwinden sehen, sagte der Anwalt des mutmasslichen Opfers.

Er forderte für seinen Klienten eine angemessene Verurteilung sowie eine Genugtuung von 30'000 Franken. Die Verteidigung wird am Freitag ihr Plädoyer halten. Das Urteil wird am 17. Oktober eröffnet.