SBB-Chef: «Der FV-Dosto war kein Fehlkauf»
Die SBB werden mit ihren Fernverkehr-Doppelstockzügen (FV-Dosto) in den Kurven nicht schneller fahren, obwohl dies technisch möglich wäre. Zugunsten des Fahrkomforts werde darauf verzichtet. Im Interview nennt SBB-CEO Vincent Ducrot die Gründe.
01.07.2022
Der FV-Dosto wurde nach etliche Pannen auch als «Schüttelzug» bekannt. Jetzt gab die SBB bekannt, wie es mit dem Zug weitergehen soll, um den Komfort zu steigern: Er wird langsamer unterwegs sein als geplant.
Die Schweizerischen Bundesbahnen SBB werden mit ihren Fernverkehr-Doppelstockzügen (FV-Dosto) in den Kurven nicht schneller fahren, obwohl dies technisch möglich wäre. Zugunsten des Fahrkomforts werde darauf verzichtet, teilten die SBB am Freitag mit.
Eine entsprechende Anpassung des Angebotskonzepts 2035 wurde beim Bundesamt für Verkehr (BAV) beantragt, wie SBB-Chef Vincent Ducrot am Freitag an einer Medienkonferenz in Bern sagte. Die ursprüngliche Idee sei es gewesen, dass die Züge auf Basis der neuen Wankkompensations-Technik hätten schneller fahren können.
Tests zeigten aber, dass dies Einbussen im Fahrtkomfort bringe. «Diese Technologie führt zu Komforteinbussen, die mit den Anforderungen der Kundschaft nicht mehr kompatibel sind», sagte Ducrot dazu. Die vorgesehenen Fahrzeitverkürzungen um fünf Minuten zwischen Lausanne und Bern und um zwei Minuten zwischen Winterthur und St. Margrethen könnten so nicht wie geplant realisiert werden.
Störanfälligkeit wurde verbessert
Die Störanfälligkeit des Zuges sei in der Vergangenheit allerdings verbessert worden und werde das auch weiterhin, sagte der SBB-Chef. Sie liege heute bei 15'000 Kilometern, bevor eine neue Störung auftrete. Vor zwei Jahren habe der Wert bei 2500 Kilometern gelegen. Die Dosto-Züge würden pro Tag 45'000 Kilometer fahren. «Ein Mal um die Erde», so Ducrot.
Die SBB haben bisher 32 Millionen Franken in die Infrastruktur investiert für das kurvenschnelle Fahren, das nun aufgegeben wird. Die Investitionen seien aber nicht verloren, da sie die Lebensdauer der Infrastruktur verlängerten. Insgesamt fielen nun 150 bis 200 Millionen Franken an Investitionen in die Infrastruktur weg, die durch den Verzicht nun nicht mehr getätigt würden, so Ducrot.
Laut Linus Looser, Leiter Produktion Personenverkehr, haben die SBB auch ihre Flottenstrategie angepasst: Hat der FV-Dosto Mitte der 2040er Jahre sein Lebensende erreicht, wird er durch standardisiertes Rollmaterial ersetzt. Die SBB wollen künftig auf Eigenanfertigungen verzichten. Dazu soll auch die Rollmaterialflotte von heute rund 20 verschiedenen Typen auf sechs bis sieben reduziert werden.
Forderungen des Bundesgerichts umgesetzt
Das Bundesgericht hatte in einem im Februar veröffentlichten Urteil die SBB dazu angehalten, den Zustieg für Behinderte in den Dosto-Zügen überprüfen zu lassen. Das sei mittlerweile abgeschlossen, sagte Ducrot.
Die Dosto-Fernverkehrszüge der SBB sind seit rund vier Jahren in Betrieb. Die Einführung des neu entwickelten Zuges war von massiven technischen Pannen und Verzögerungen begleitet. Die SBB sprachen damals von einer «Zangengeburt» und kritisierten teils auch den Hersteller Alstom-Bombardier.
Eine Rückgabe der Züge komme nicht infrage, sagte Ducrot. Es gebe keine Alternativen im Bestand der SBB. «Wir haben keine Wahl als diese Durststrecke zu gehen.» Es werde allerdings weitere Verbesserungen an den Zügen geben.
Mittlerweile wurden 60 der 62 bestellen Dosto-Züge geliefert, wie es weiter hiess. Die letzten beiden folgen in den Monaten Juli und August.
Westschweizer Verkehrskonferenz befürchtet «Abkoppelung»
Gar nicht glücklich über den SBB-Entscheid ist die Westschweizer Verkehrskonferenz (CTSO): Für sie ist die Wankkompensations-Technik eine «unverzichtbares Element» für die Anbindung der Westschweiz an das übrige Schweizer Schienennetz, wie sie am Freitag mitteilte. Sie befürchtet eine verstärkte «Abkoppelung» der Westschweiz vom Rest des Landes.
Die CTSO fordert darum, dass SBB und Bund der Achse Genf-Lausanne-Bern höchste Priorität einräumen. Es soll rasch eine neue, leistungsfähige Infrastruktur realisiert werden. Diese habe schon in früheren Ausbauschritten zurückstehen müssen, was die Klimapolitik und die Wettbewerbsfähigkeit der Westschweiz beeinträchtige.