Reiseunternehmen Entlassungen bei Globetrotter: Wenn die Kollegen entscheiden, wer gehen muss

tsha

24.8.2020

Eine Filiale von Globetrotter: Mitarbeiter des Unternehmens sollen für sich werben, um ihren Job behalten zu können (Archivbild).
Eine Filiale von Globetrotter: Mitarbeiter des Unternehmens sollen für sich werben, um ihren Job behalten zu können (Archivbild).
Bild: Keystone

Die Coronakrise hat die Reisebranche unter Druck gesetzt. Das Unternehmen Globetrotter reagiert darauf mit einer ungewöhnlichen Massnahme.

Es dürfte für viele Globetrotter-Mitarbeiter eine gänzlich neu Vokabel gewesen sein, die da Ende Juni ganz plötzlich Eingang fand in ihren Wortschatz: Nach Regeln der «Soziokratie» wolle das Schweizer Reiseunternehmen seine Zukunft gestalten, hiess es in einer Pressemitteilung.

Und damit nicht genug der seltsamen Begrifflichkeiten: Man wolle gar eine «Globokratie» einführen, «eine auf das Unternehmen angepasste Form der Soziokratie», so das Unternehmen weiter.

Was das bedeutet – «Soziokratie» und «Globokratie» –, das erfuhren die Mitarbeitenden der Nummer vier auf dem Schweizer Reisemarkt in den vergangenen Wochen: Sie können selbst mitentscheiden, welche ihre Kollegen im Unternehmen bleiben dürfen und wer die Firma verlassen muss.



Grund für die Umstrukturierungen bei Globetrotter ist der Umbruch in der gesamten Branche, der seit Beginn der Corona-Pandemie den Markt vor riesige Herausforderungen gestellt hat. Über mehrere Monate hinweg war das Reisen in andere Länder fast unmöglich, und auch heute noch sind viele Feriendestinationen unerreichbar. Globetrotter-CEO Dany Gehrig erwartet für dieses Jahr denn auch einen Einbruch von 70 bis 80 Prozent beim Umsatz gegenüber 2019; auch im kommenden Jahr sei ein Minus von 40 Prozent wahrscheinlich.

«Schiff durch den schwersten Sturm bringen»

Trotz der düsteren Aussichten gab sich Gehrig in besagter Pressemitteilung optimistisch: «Es ist unser festes Ziel, unser Schiff durch den schwersten Sturm zu bringen, einen Grossteil der Crew an Bord zu halten und die anderen würdevoll an Land zu bringen.» Dennoch wurden Filialschliessungen und Entlassungen nötig.

Wie der «Tages-Anzeiger» berichtet, wurden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deshalb aufgerufen, selbst kundzutun, ob sie denn weiterhin bei Globetrotter arbeiten wollten. Wer bleiben wollte, sollte seinen Namen zunächst auf eine «Nominationsliste» setzen. Einen Monat später begannen dann firmeninterne Wahlen – also Abstimmungen darüber, wer von den bleibewilligen Kolleginnen und Kollegen gehen sollte und wer im Unternehmen verbleiben durfte. Entschieden wird das nicht von der Geschäftsführung, sondern von den Mitarbeitenden selbst. Wer bleiben will, muss – ähnlich einem politischen Wahlkampf – die Werbetrommel für sich rühren, also begründen, warum er oder sie geeignet für die jeweilige Position ist. Abgestimmt wird noch bis Anfang September.



«Hätte ich einfach eine schwarze Liste gemacht mit jenen, die wir entlassen, hätte es eher die Falschen getroffen», glaubt CEO Gehrig, der die Wahlen auch leitet. Es hätte «Monate lang Widerstand an allen Fronten» gegeben, wenn allein die Geschäftsführung entschieden hätte, welche Stellen abgebaut würden, so Gehrig im «Tages-Anzeiger». Dennoch gesteht auch der Globetrotter-Chef ein, dass ein derart basisdemokratisches Verfahren seine Härten habe. «Natürlich gibt es Tränen und schwierige Momente.»

Die «Soziokratie» sei allerdings transparent, so Gehrig. Mitarbeiter, die das Unternehmen verlassen müssten, würden ausserdem aufgefangen und unterstützt, wenn sie sich neu orientieren müssten.

Verkleinerte Geschäftsführung

Von diesem Prozess waren bei Globetrotter nicht nur die Mitarbeiter auf den unteren Ebenen betroffen, sondern auch die Geschäftsführung. Diese wurde nach den Massgaben der «Soziokratie» von zehn auf fünf Mitglieder verkleinert – vier Mitglieder wurden zurückgestuft, eines musste den Betrieb verlassen. Anschliessend traf es die Filialleitungen. Hier, so Gehrig, habe das Prozedere in einem Fall dazu geführt, dass eine kleine Filiale in Brig nicht geschlossen wurde, «obwohl die Geschäftsleitung tendenziell anders entschieden hätte». Denn die Leiterin jener Filiale habe letztendlich doch die Argumente auf ihrer Seite gehabt und damit überzeugt.

Gehrig glaubt, dass durch das Mittel der «Soziokratie» manche Entlassungen vermieden werden könnten. Etwa dann, wenn ein Team entscheide, eine Stelle zu retten, indem beispielsweise auf zusätzliche Urlaubstage oder verzichtet oder Pensen reduziert würden.

Nicht alle Mitarbeiter von Globetrotter sehen die «Soziokratie» aber offenbar so positiv wie CEO Gehrig. Um ihren Kollegen nicht den Job wegnehmen zu müssen, hätten manche Mitarbeiter von sich aus gekündigt, schreibt der «Tages-Anzeiger». Für Gehrig kein Problem, im Gegenteil: Bleiben würden dann eben nur jene Mitarbeiter, die ihren Job auch unbedingt wollten.

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