Paketboten Hunderte Stunden Gratisarbeit

tali

10.4.2019

Schnelligkeit ist bei Paketzustellern der Post nun das oberste Gebot. 
Schnelligkeit ist bei Paketzustellern der Post nun das oberste Gebot. 
Bild: Keystone

Ob sie zu schnell oder zu langsam arbeiten, das neue Zeiterfassungssystem der Post straft Paketboten fast unweigerlich ab – und spielt Kollegen gegeneinander aus.

Acht Stunden und 24 Minuten sollen Paketboten der Post laut Gesamtarbeitsvertrag (GAV) pro Tag leisten. Doch Pöstler, die ihre Auslieferungstour tatsächlich in dieser Zeit absolvieren, droht seit einiger Zeit ein böses Erwachen. Denn seit September 2018 zieht die Post das Tempo an – über das Arbeitsstundensystem «mytime», durch das die Boten fast unweigerlich Minusstunden ansammeln. Wie ist das möglich?

Nach «Blick»-Recherchen stellt «mytime» fest, wie lange die einzelnen Pöstler für eine bestimmte Paketroute brauchen und errechnet damit den Durchschnittswert. Wer für seine Tour länger braucht, hat Pech: Angerechnet wird nur die Zeit, die das System berechnet hat. Die darüber hinaus gehende Arbeitszeit wird nicht registriert. «Ausbeutung», schimpft ein betroffener Paketbote: «Das Nachsehen haben am Ende alle Pöstler – die älteren oder nicht topfiten Mitarbeiter, weil sie unter enormen Leistungsdruck geraten. Und die schnellen Pöstler, weil sie damit ihrem Team schaden.»

Ältere haben das Nachsehen

Viele ältere Pöstler müssen mit halb so alten Kollegen mithalten.
Viele ältere Pöstler müssen mit halb so alten Kollegen mithalten.
Keystone

Älteren Mitarbeitern gewährt die Post zwar etwas mehr Zeit – aber nur, wenn sie zwei bestimmte Kriterien erfüllen: Sie müssen über 55 Jahre alt sein und sei 25 Jahren im Dienst der Post. Ist ein Paketbote etwa 62 Jahre alt und seit 23 Jahren angestellt, muss er mit der Arbeitsgeschwindigkeit halb so alter Kollegen konkurrieren. «Ich habe seit Einführung des neuen Systems darum Hunderte Stunden gratis gearbeitet, weil es für mich extrem schwer ist, die Vorgaben des Systems zu erfüllen», klagt ein Betroffener.

Das Perfide: Arbeitet ein Postler seine Route besonders schnell ab, schneidet er sich unter Umständen ins eigene Fleisch. Denn auch, wer die im GAV vereinbarten acht Stunden und 24 Minuten unterschreitet, fährt Minusstunden ein und zieht sich obendrein den Zorn der Kollegen zu, weil er die Durchschnittszeit verkürzt.

Nachbesserungen angekündigt

Die Gewerkschaft sieht das neue System der Post kritisch.
Die Gewerkschaft sieht das neue System der Post kritisch.
Keystone

Syndicom ist das Problem bereits bekannt: «Das neue System hat bei der Transparenz zwar Fortschritte gemacht, doch bei der Berechnung der Soll-Zeiten gibt es systematische Probleme, die für Mitarbeiter grosse Nachteile bringen», kritisiert Gewerkschaftszentralsekretär David Roth in «Blick». «Wir werden uns zudem dafür einsetzen, dass die Stunden rückwirkend gutgeschrieben werden».

Die Post scheint den Ärger ihrer Angestellten nachvollziehen zu können. Zwar verteigt Mediensprecher François Furer die Einführung von «mytime», erklärte aber, «dass eine Justierung zu Gunsten der Mitarbeiter erfolgen wird.»

Bilder aus der Schweiz
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