Rechentrick Neue Messmethode – so trickst die SBB bei der Pünktlichkeit

tafi/SDA

8.7.2020

Die SBB wollen pünktlicher werden: Eine neue Messmethode soll dabei helfen. (Symbolbild)
Die SBB wollen pünktlicher werden: Eine neue Messmethode soll dabei helfen. (Symbolbild)
Keystone/MARTIAL TREZZINI

Das SBB-Markenzeichen Pünktlichkeit hat jüngst stark gelitten. Nun verbessert ein Rechentrick die Statistik. Von Kosmetik will man bei der Bahn aber nichts wissen.

Ob sie pünktlich ist, das entscheiden die SBB dann doch lieber selbst: Der neue Bahnchef Vincent Ducrot verbessert die Pünktlichkeitswerte mit einer neuen Messmethode. Stand beim Bahnkonzern bisher die Kundenpünktlichkeit im Fokus, gilt neu die Zugpünktlichkeit als Massstab. Darüber haben zuerst die Zeitungen der Tamedia-Gruppe berichtet.

Zwar kommen weder Passagiere noch Züge dadurch pünktlicher ins Ziel, aber die Zahlen sehen mit der neuen Messmethode besser aus, schreibt der «Tages-Anzeiger» und rechnet vor, dass die kundengewichtete Pünktlichkeit im vergangenen Jahr nur bei 89,5 Prozent gelegen hat, die Zugpünktlichkeit hingegen bei 92,9 Prozent. Die Statistik wirkt dadurch freundlicher, ohne dass sich irgendetwas geändert hat.



Wie heikel das Thema ist, beweist die umgehende Stellungnahme der SBB. Deren Sprecher Raffaell Hirt bestätigte gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA zwar den Paradigmenwechsel, betritt aber den Vorwurf, die Bahn würde Pünktlichkeitskosmetik betreiben. Es gebe mehrere Gründe für die Änderung, «die dadurch entstehenden besseren Werte sind keiner davon», schrieb er in einer Stellungnahme.

Transparenter und einfacher

Die Fahrgäste würden nicht getäuscht. Für sie sei es relevant, ob ihr Zug fahre oder nicht, und nicht, wie viele Kunden gleichzeitig im Zug seien, so Hirt. Die Umstellung auf die neuen Parameter habe verschiedene Vorteile. Zum einen sei die neue Messung verständlicher und deshalb transparenter und einfacher zu vermitteln, denn sie zeige das an, was für den Kunden relevant sei: Wie pünktlich ein Zug unterwegs sei, unabhängig davon, wie viele Reisende mitfahren.



Bisher hatten die SBB das Ziel, möglichst viele Kunden pünktlich ans Ziel zu bringen. Eingeführt wurde diese sogenannte Kundenpünktlichkeit 2009 unter dem früheren SBB-Konzernchef Andreas Meyer. Sie gibt an, wie viele Bahnreisende mit einer Verspätung von höchstens drei Minuten am Bestimmungsort angekommen sind. Volle Züge werden so also mehr gewichtet als leere.

Die so berechnete Quote geriet dem Konzern aber in letzter Zeit immer weniger zur Ehre und fiel für das ganze Jahr 2019 unter 90 Prozent. Die Zugpünktlichkeit lag im Vergleich dazu bei fast 93 Prozent. Sie gibt an, wie viele Züge verspätet fahren.

SBB räumen Fehler ein

«Die Zugpünktlichkeit ist ein bekannter und bewährter Wert, auf den die Transportunternehmen bauen können. Wir müssen dasselbe Bezugssystem wie die anderen Unternehmen haben», zitiert der «Tages-Anzeiger» aus einem Interview Vincent Ducrots. Dass diese Aussage wie eine Rechtfertigung klingt, will SBB-Sprecher Hirt nicht gelten lassen.

Vielmehr würde mit dem neuen Berechnungsmodell stärker gewichtet, wenn Bahnreisende Anschlüsse verpassten, was die Reise bis zu 60 Minuten verlängern könne und sehr umständlich sei. Überdies sei die neue Messung genauer. Sie erlaube es den SBB, Analysen zu einzelnen Strecken, Streckenabschnitten und Bahnhöfen zu machen.

Probleme mit der Pünktlichkeit räumen die SBB generell ein. Schon Ende Oktober letzten Jahres wurde ein Massnahmenpaket präsentiert, um die Zuverlässigkeit zu erhöhen. Eine schnelle Besserung hatte der damalige Chef Andreas Meyer aber ausgeschlossen. Und auch sein Nachfolger hat neulich erklärt, es werde bis zu zwei Jahre dauern, ehe die SBB das Problem gelöst hätten.



Erschwerend kommt hinzu, dass das Massnahmenpaket derzeit wegen der Corona-Krise weitgehend auf Eis liegt. Die SBB würden den Ball wieder aufnehmen, sobald sich der Bahnbetrieb und die Anzahl Reisender wieder eingependelt hätten, so Hirt. Er führte weiter aus, dass die SBB eine Expertengruppe eingesetzt haben, die die Fahrpläne der Jahre 2022 und 2025 «kritisch prüfen» soll. Darüber werde man zum gegebenen Zeitpunkt informieren.

Umsteigezeiten und Fahrzeitreserven

Als erste Massnahmen zur Verbesserung der Pünktlichkeit hatten die SBB im letzten Herbst die Anpassung der Umsteigezeiten, den Einbau von mehr Fahrzeitreserven und nötigenfalls das Auslassen von Haltestellen angekündigt.

Gelitten hat die Pünktlichkeit bei den SBB insbesondere, weil die Fahrpläne zu optimistisch geplant wurden, aber auch, weil es Fehler gab bei der Planung der Baustellen und weil es an Lokführern und Fahrzeugen fehlte.

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