Komplexe Thematik Weshalb Sicherheitsrankings für Airlines problematisch sind

Von Gil Bieler

22.7.2019

Alles in Ordnung? Sicherheitscheck einer Swiss-Maschine vor dem Start in Zürich. 
Alles in Ordnung? Sicherheitscheck einer Swiss-Maschine vor dem Start in Zürich. 
Bild:  Keystone/Christian Beutler

Nicht nur wenn es in die Ferien geht, checken viele Passagiere das Sicherheitsrating einer Fluggesellschaft. Wie es zustandekommt – und warum es mit Vorsicht zu geniessen ist. 

Mit welcher Airline soll es ins Ausland gehen? Darüber entscheiden bei vielen nicht nur die Kosten, sondern auch Sicherheitsbedenken. Man will sein Ziel schliesslich wohlauf und ohne Zwischenfälle erreichen. Zur Frage, wie sicher eine Fluggesellschaft ist, bieten Vergleichsdienste und jährliche Bestenlisten Orientierung.

Dabei ergibt sich jedoch kein stimmiges Bild: So wird die Swiss beim australischen Dienst Airlineratings.com etwa mit der Bestnote bewertet. Im Jahresranking 2019 zählt sie sogar zu den 20 sichersten Gesellschaften der Welt. Ganz anders sieht das beim Sicherheitsindex von Jacdec aus, einer 1989 in Hamburg gegründeten Firma: Im Jahresranking belegt die Swiss dort heuer nur den 60. Platz – von 100 untersuchten Fluggesellschaften

Wie werden diese Ratings überhaupt erstellt? Beginnen wir mit Airlineratings.com. Die 2013 gegründete Site berücksichtigt für ihre Bewertung verschiedene Kriterien, und vergibt maximal sieben Sterne; je mehr Sterne eine Airline hat, als umso sicherer gilt sie.



Als Kernkriterium gilt unter anderem die Frage, ob die Airline IOSA-zertifiziert ist. Fluggesellschaften können sich von der International Air Transport Association (IATA) durchleuchten lassen. Das Verfahren gilt als internationaler Richtwert bei der Sicherung einheitlicher Qualitäts- und Sicherheitsstandards.

Schwarze Listen und Todesfälle

Zudem wirkt sich auf die Bewertung aus, ob eine Airline auf einer schwarzen Liste der EU oder der USA steht. Wobei ergänzt werden muss, dass die zuständige amerikanische Behörde Federal Aviation Authority (FAA) den Luftraum jeweils für ganze Länder sperrt – was folglich auch Airlines betreffen kann, bei denen alles seine Richtigkeit hat.

Iraqi Airways ist eine der Fluggesellschaften, die auf der Sperrliste der EU stehen. 
Iraqi Airways ist eine der Fluggesellschaften, die auf der Sperrliste der EU stehen. 
Archivbild: Keystone

Gab es bei der Airline in den letzten zehn Jahren einen tödlichen Vorfall? Auch das fliesst in das Rating ein. Dabei zählen nur jene Todesfälle, die sich an Bord der Maschine ereignen und auf ein Unglück zurückgehen. Fälle, die sich in aussergewöhnlichen Situationen – wie Terrorismus, Entführungen und Piloten-Suizid – ereignen, auf welche die Airline nur bedingt Einfluss hat, zählt die Website nicht dazu.

Ebenfalls wichtig: Erfüllt das Heimatland der Airline die Sicherheitsvorschriften der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (ICAO)? Die Behörde analysiert die Flugsicherheit einzelner Länder anhand von acht Kriterien. Sind genügend erfüllt, schlägt sich das positiv auf die Bewertung von Airlineratings.com nieder. Zu guter Letzt wird berücksichtigt, ob die Flugzeugflotte älter als 1990 ist und ob die Airline in ihrem Heimatland schon wegen Sicherheitsbedenken gegroundet wurde.

Jacdec: Nur gegen Bezahlung

Nun zum Jacdec-Sicherheitsindex. Dessen grosser Nachteil: Für Passagiere ist er nicht gratis einsehbar. Zwar veröffentlicht das deutsche Unternehmen jährlich eine Liste mit den sichersten Airlines, doch detaillierte Einsicht gibt es nur gegen Geld.

Wie die Bewertung zustande kommt, ist dagegen ausführlich beschrieben. So hatte man sich bei Jacdec lange Zeit fast nur auf die Unfälle fokussiert, wogegen andere Parameter vernachlässigt wurden. Das räumt der Dienst auf seiner Website selber ein und erklärt: «Es sind Dutzende Faktoren im Spiel, wenn es darum geht, ein Flugzeug sicher von A nach B zu bringen.»



Aufgrund dieses Mankos wurde 2017 das Bewertungssystem angepasst. Das neue ähnelt stärker jenem von Airlineratings.com, denn neu werden auch Faktoren der Airline sowie deren Umfeld berücksichtigt

Unfälle mit geflogenen Kilometern verrechnet

Die Zahl der Unfälle/Zwischenfälle stellt Jacdec in Bezug zu den geflogenen Personenkilometern. Diese werden – je nach Alter der Airline – bis zu 30 Jahre in die Vergangenheit kumuliert. Die Frage, ob ein Zwischenfall von der Airline verschuldet wurde oder nicht, spielt dabei keine Rolle.

Die Faktoren der Airline umfassen etwa das renommierte IOSA-Zertifikat, das Alter der Maschinenflotte und andere Betriebsrisiken. Zusätzlich betrachtet Jacdec das Streckennetz: Weil Start und Landung die gefährlichsten Flugphasen seien, sei das Risiko eines Unfalls bei Fluggesellschaften mit tendenziell längeren Flügen geringer als bei Airlines mit Kurzstreckenflügen (und entsprechend mehr Starts und Landungen).

Absturz einer Afriqiyah-Airways-Maschine in Tripolis 2010: Die libysche Airline hat in der EU ebenfalls Landeverbot. 
Absturz einer Afriqiyah-Airways-Maschine in Tripolis 2010: Die libysche Airline hat in der EU ebenfalls Landeverbot. 
Bild: Keystone

Zum Umfeld der Airline zählt unter anderem, welche Sicherheitsstandards deren Heimatland erfüllt, sowie Wetter- und topographische Risiken. Damit sind etwa Tropenstürme, Schneefall und hochgelegenes Terrain gemeint.

Statt mit einem Sternesystem berechnet Jacdec sein Ranking anhand einer Prozentangabe. Der theoretisch mögliche Bestwert sind 100 Prozent. Für jeden Mangel gibt es einen Abzug. Am Ende entsteht so ein Ranking der sichersten Airlines.

Swiss hält wenig von Rankings

Weshalb genau die Swiss im 2019er-Ranking nur auf Platz 60 landete, war bei Jacdec nicht in Erfahrung zu bringen. Auch der Airline selbst ist das nicht bekannt, wie Sprecherin Karin Müller «Bluewin» mitteilt. Generell hält sie aber fest: «Rankings wie jenes von Jacdec vermögen die Komplexität des Themas Flugsicherheit leider nicht zu spiegeln und müssen kritisch betrachtet werden.»

Galerie: Die Königin Lüfte wird 50 

Müller bemängelt, dass eine solche Bewertung «keinen für Fluggäste relevanten Ausblick» geben könne. «Hinzu kommt, dass die Statistik nichts über den Grund von Totalverlusten – ob selbst- oder fremdverschuldet – und folglich auch nichts über die firmeninterne Sicherheitspolitik aussagt.»

Dem Bewertungssystem von Airlineratings.com kann die Swiss-Sprecherin etwas mehr abgewinnen. «Die Kategorisierung mit Sternen ist vernünftiger als eine auf kleinste – zufällige – Abweichungen bestehende Rangliste.»

Aviatik-Experte Patrick Huber betrachtet Sicherheitsrankings ebenfalls mit Skepsis: «Ich bin da sehr vorsichtig.» Man sehe ja nicht auf den ersten Blick, wie diese zustande kämen und wer dahinterstehe. Wobei er zu bedenken gibt, dass jede Airline der Sicherheit möglichst hohen Stellenwert einräume. «Alles, was in Europa, Amerika, und dem arabischen Raum fliegt, ist daher sicher.» Dasselbe gelte für die meisten Airlines in Asien. «Heute wird ja alles kontrolliert.» Wenn überhaupt, dann bereite ihm eher schlechte Infrastruktur und die Flugverkehrskontrolle an gewissen Flughäfen in Afrika, Asien und Südamerika Sorgen.

Eine Orientierungshilfe – mehr nicht

Wann würde Huber eine Fluggesellschaft denn meiden? Wenn sie wegen dauernder Pannen oder Unfälle in den Medien wäre. «Aber auch da kann die Airline nicht immer etwas dafür», macht er klar und erinnert an die beiden schwere Vorfälle der Malaysia Airlines: Im März 2014 stürzte eine Boeing 777 nach dem Start in Kuala Lumpur unter noch immer ungeklärten Umständen ab, nur drei Monate später wurde Flug MH17 über der umkämpften Ostukraine abgeschossen. Ob und wie solche Faktoren in die Ratings mit einfliessen, sei auf den ersten Blick ja nicht ersichtlich.

Dass das Thema Flugsicherheit keine exakte Wissenschaft ist, räumen nicht zuletzt die Verantwortlichen von Jacdec auf ihrer Website ein: «Sogar die beste Art von Airline-Sicherheitsindex muss als imperfekt betrachtet werden.» Das liege an der Komplexität der Sicherheitsthematik. Trotzdem biete der Jacdec-Index eine Orientierungshilfe und ermögliche es, verschiedene Airlines miteinander zu vergleichen.

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