Nachgerechnet Impf-Folgen oder Covid-Fälle – was kostet die Wirtschaft mehr?

uri

21.7.2021

Ein Mann wird Mitte Mai in Genf gegen das Coronavirus geimpft. (Symbolbild)
Ein Mann wird Mitte Mai in Genf gegen das Coronavirus geimpft. (Symbolbild)
Bild: Keystone

Welche Kosten entstehen der Volkswirtschaft, wenn sich Arbeitnehmende nach der Corona-Impfung krank melden müssen? Und wie teuer sind im Vergleich dazu Corona-Erkankungen? Die Taskforce hat nachgerechnet.

uri

21.7.2021

Die Teamsitzung beginnt ohne den Lieblingskollegen. «Der hatte gestern die zweite Corona-Impfung», heisst es. Solche Absenzen sind derzeit in vielen Schweizer Unternehmen Alltag. 

Laut dem BAG sind derzeit knapp 45 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft, mehr als 3,7 Millionen Menschen insgesamt. Und viele haben offenbar vor allem nach der zweiten Impfung immerhin mit so starken Nachwirkungen zu kämpfen, dass sie einen oder sogar mehrere Tage der Arbeit fernbleiben müssen.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie gross der wirtschaftliche Schaden durch die Impfungen eigentlich ist – und wie er im Vergleich ausfallen würde, wenn sich die Leute nicht impfen liessen und danach an Covid-19 erkranken. 

Zwar existieren vonseiten des Schweizerischen Heilmittelinstituts Swissmedic Zahlen zu unerwünschten Nebenwirkungen nach den Impfungen. Allerdings sind diese nicht repräsentativ – und auch wird aus ihnen nicht ersichtlich, wer nach solchen Nebenwirkungen zu Hause bleibt oder sich trotzdem zur Arbeit schleppt. Auch das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco konnte auf Nachfrage von «blue News» keinen Effekt zu den wirtschaftlichen Folgen durch die Covid-Impfungen benennen. Dort hiess es: «Leider verfügen wir nicht über diese Zahlen.»

Pro Person und Tag wird das BIP um 390 Franken reduziert

Etwas mehr Licht ins Dunkel bringt nun die wissenschaftliche Covid-19-Taskforce mit ihrem neuesten wissenschaftlichen Update vom 20. Juli. Hier stellt man zwar ebenfalls fest, dass es «sehr genaue Informationen» zur Problematik nicht gebe. Man müsse für eine präzise Berechnung etwa wissen, «wie viele Menschen tatsächlich Impf-Nebenwirkungen haben, wie lange, und ob sie überhaupt nicht arbeiten können oder ‹nur› teilweise betroffen» seien. Dennoch seien einige «Rückrechnungen und Überlegungen» in der Sache möglich, halten die Expert*innen fest.

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Die Taskforce geht bei ihrer Berechnung aus vom nominalen Bruttoinlandsprodukt des Jahres 2019 von 727 Milliarden Franken, das von 5,1 Millionen Erwerbstätigen erwirtschaftet wurde. Pro Person und fehlendem Arbeitstag werde das BIP entsprechend im Schnitt um 390 Franken reduziert. Die Fachleute merken in diesem Zusammenhang auch an, dass es in der Praxis zudem häufig möglich sein dürfte, einen versäumten Arbeitstag anschliessend wieder aufzuholen. Deshalb sei der «durchschnittliche Effekt wahrscheinlich (deutlich) kleiner».

«Zwei extreme Szenarien»

Momentan sei davon auszugehen, dass rund 2,7 Millionen der Erwerbstätigen noch nicht gegen das Coronavirus immun seien. Man könne auf dieser Zahlenbasis «zwei extreme Szenarien durchspielen». Im ersten würden alle diese Personen geimpft und aufgrund der Nebenwirkungen im Schnitt einen Tag mit einem Wert von 390 Franken bei der Arbeit fehlen. Man kommt dann rechnerisch auf eine verlorene Wertschöpfung von etwas mehr als 1 Milliarde Franken.

Im zweiten Fallbeispiel wird keine der 2,7 Millionen Personen geimpft und in der Folge werden alle durch eine Infektion immunisiert. Eine Meta-Analyse zeigt laut der Taskforce, dass dann etwa 30 Prozent der Ansteckungen asymptomatisch verlaufen würden – man also gar nicht unbedingt bemerkt, dass man erkrankt ist und entsprechend weiter arbeitet. Für die restlichen 70 Prozent der symptomatischen Fälle müsse man indes im Schnitt eine Genesungszeit von sieben Tagen annehmen, oder davon ausgehen, dass sie sieben Tage in Isolation verbringen müssen.

Rechnerisch bedeute das dann einen Verlust an Wertschöpfung von 5,2 Milliarden Franken – das sei also bedeutend höher als der mögliche Verlust im Zuge von Impfungen, hält die Taskforce fest. 

«Umfassende Durchimpfung ist wirtschaftlich vorteilhaft»

Die Rechnungen würden dabei nicht einmal die weiteren sozialen Kosten oder auch die im Gesundheitssektor oder durch das Impfen berücksichtigen. Es sei davon auszugehen, dass etwa Kosten durch Long Covid, notwendige Quarantäne nach Infektionen in Betrieben oder auch die ungeplanten Abwesenheiten in Folge einer Krankheit höher ausfallen werden als «kürzere und planbare Abwesenheiten», die mit Impfungen verbunden seien.

Für die Taskforce bedeutet das: «Es liegt daher nahe, dass eine rasche und umfassende Durchimpfung nach wie vor auch wirtschaftlich sehr vorteilhaft ist.»

Arbeitnehmer, die nach einer Impfung nicht zur Arbeit kommen können, müssen sich obendrein auch kein schlechtes Gewissen machen (lassen): «Falls ein Arbeitnehmer respektive eine Arbeitnehmerin nach einer Impfung krank wird, ist das eine ganz normale unverschuldete Verhinderung der Arbeitsleistung», bestätigt das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) auf Anfrage. Der Arbeitgeber könne auch nicht darauf beharren, dass man die Impfung in der Freizeit vornehme.