Finanzexperte «Wir müssen uns bewusst sein: Gratis gibt es das alles nicht»

Von Anna Kappeler

12.5.2020

Ein Goldbarren und Bündel von 1'000er-Noten in einer Filiale der Zürcher Kantonalbank.
Ein Goldbarren und Bündel von 1'000er-Noten in einer Filiale der Zürcher Kantonalbank.
Bild: Keystone

Mit 57 Milliarden Franken will die Politik die Auswirkungen der Corona-Krise abfedern. Das ist viel Geld, das in kurzer Zeit gesprochen wurde. Und die Folgen? Ein Finanzexperte ordnet ein.

Herr Spieler, in der Sondersession hat das Parlament das 57-Milliarden-Corona-Paket bewilligt. Lassen wir uns das kurz auf der Zunge zergehen: 57 Milliarden Franken. Diese Summe übersteigt doch jede Vorstellungskraft, nicht?

Das ist unglaublich viel Geld, ja. Leider braucht es diese starke Unterstützung als Überbrückungshilfe für unsere Wirtschaft. Wir müssen dieses Geld jetzt investieren, damit es nicht noch schlimmer kommt. Würden wir ganze Bereiche wie etwa die Luftfahrt Konkurs gehen lassen, hätten wir später ein wesentlich grösseres Problem.

Können Sie uns begreifbar machen, wie viel Geld das ist?

1'000 Millionen sind eine Milliarde. Wenn man das vermehrfacht, bekommt man eine Vorstellung davon, von wie viel Geld wir hier sprechen. Aber klar, die Summe bleibt ein Stück weit unfassbar, weil sie so enorm hoch ist. Gerade das zeigt, dass es um richtig viel geht.

Es ist noch fieser: Zwar beinhaltet das Hilfspaket unglaublich viel Geld, damit aber ist das Problem nicht gelöst. Und zwar doppelt nicht. Noch hat sich die Wirtschaft nicht erholt. Und wir alle werden eine saftige Rechnung für dieses Hilfspaket bekommen. Jetzt geht es um die Nothilfe. Wir müssen uns bewusst sein: Gratis gibt es das alles nicht.



Die Schweiz ist reich. Doch reicht der Überschuss der letzten Jahre, um diese 57 Milliarden abzubauen?

Der reicht überhaupt nicht.

Wann sind die Schulden wieder abgebaut – oder sind diese gar nicht so schlimm?

Zur Person
Bild: zVg

Martin Spieler ist unabhängiger Finanzexperte. Er war während über zehn Jahren Chefredaktor der «Sonntagszeitung» und der «Handelszeitung». Heute ist Spieler Wirtschaftskonsulent, Verwaltungsrat und schreibt unter anderem Fachtexte für Publikationen in der Schweiz.

Zum Glück haben unsere Politiker in der Vergangenheit mit der Schuldenbremse gute Arbeit geleistet. Und der Bund hat in den letzten Jahren – dem Finanzminister sei Dank – Reserven angesammelt. Wir stehen verglichen mit anderen Staaten in puncto Schulden ganz anständig da. Und doch steigen diese auch bei uns. Zudem: Weltweit wachsen die Schuldenberge dramatisch und haben eine gefährliche Dimension angenommen. Seien wir ehrlich: Die weltweiten Schuldenberge werden nie mehr abgebaut werden können.
Ohne spätere Inflation wird es nicht gehen.

Wie wird das Geld wieder reingeholt? Über Steuererhöhungen?

Die Steuern werden wohl steigen – auf breiter Front. Obwohl ich dagegen bin und dies für kontraproduktiv halte, denn die Wirtschaft und die Bürgerinnen und Bürger sollten nicht noch durch mehr Steuern belastet werden, sonst konsumieren und investieren sie weniger. Das Geld sollte möglichst beim Bürger bleiben.

Die Steuern steigen auch für die natürlichen Personen?

Ja, der Ruf nach Steuererhöhungen und weiteren staatlichen Abgaben wird kommen. Das wird uns alle schmerzen, da wir alle für die Bezahlung der Steuern viel arbeiten müssen. Eine andere Variante wäre, später wieder zu sparen – und den stark ausgebauten Staat wieder etwas zu reduzieren. Erfahrungsgemäss passiert das aber nicht.

«Das Problem ist doppelt nicht gelöst: Noch hat sich die Wirtschaft nicht erholt. Und wir alle werden eine saftige Rechnung für dieses Hilfspaket bekommen»

Was geschähe ökonomisch betrachtet, wäre das Corona-Paket nicht gesprochen worden?

Dann hätten wir eine dramatische Konkurswelle. Gleichwohl wird es auch jetzt und trotz Finanzspritze Konkurse geben. Unter dem Strich wäre uns ohne Hilfspaket alles noch teurer zu stehen gekommen, weil wir damit die Wirtschaft als Ganzes geschädigt hätten.

Bündel von Banknoten verschiedener Währungen in einer Filiale der Zürcher Kantonalbank.
Bündel von Banknoten verschiedener Währungen in einer Filiale der Zürcher Kantonalbank.
Bild: Keystone

Am 20. Februar hat der Bund für das Jahr 2020 einen Überschuss von 0,6 Milliarden budgetiert. Wie dürfte das Budget Ende Jahr nun wohl ausfallen?

Wir werden rote Zahlen haben, klar rote Zahlen. Das wird allen Ländern so gehen. 2020 ist ein Jahr im Ausnahmezustand. Umso wichtiger ist es, nach der Krise wieder zur Vernunft zu kommen. Wir dürfen nicht in Spendierlaune bleiben. Der Staat kann nicht für alles einstehen.



Ist die Corona-Summe einmalig in der Schweizer Geschichte oder vergleichbar mit der Bankenkrise 2008?

Ich glaube, die Situation jetzt ist schlimmer als die Finanzkrise 2008/09. Zum Glück immerhin ist der Bankensektor heute gut unterwegs. Die Krise kommt dieses Mal von aussen und nicht aus der Wirtschaft selber, die damals Blödsinn gemacht hat.

Damals machte der Bundesrat sechs Milliarden für die UBS locker. Zudem übernahm die Nationalbank sechzig Milliarden für die faulen Kredite der UBS. Relativiert sich jene Hilfe durch die nun gesprochene Summe?

Was wir jetzt gerade erleben, hat historische Ausmasse – ohne hier zu dick auftragen zu wollen. Wir merken ja alle, wie sich das Leben gerade verändert. Bis sich die Wirtschaft erholt hat, wird es dauern. Vielleicht lässt sich das am ehesten mit einer Weltwirtschaftskrise wie 1929 vergleichen.

«Was wir jetzt gerade erleben, hat historische Ausmasse – ohne hier zu dick auftragen zu wollen. Wir merken ja alle, wie sich das Leben gerade verändert»

Wird das Corona-Paket unsere Sichtweise auf Kredite verändern? Im September stimmen wir etwa über Kampfjets für sechs Milliarden ab. Das erscheint im Vergleich zum Corona-Paket schon fast als Klacks …

Wir sollten Dinge nicht vermischen. Beim einen geht es um Sicherheit, hier beurteilt die Stimmbevölkerung, wie viel ihr diese wert ist. Beim anderen geht es um eine Anschubfinanzierung. Wir müssen die Relationen behalten. Der Staat hat in der Corona-Krise eine wichtige Rolle, da es um eine akute Krisenbewältigung geht. Der Staat muss nun aber schnell wieder einen Schritt zurück machen, da es um die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger geht, und auch, damit die Unternehmen wieder frei arbeiten können.

Trotzdem, noch weiter gefasst: Die AHV ist wegen der demografischen Entwicklung in Geldnot. Wenn doch scheinbar so viel Geld vorhanden ist, warum wird die AHV nicht grundsätzlich saniert?

Das Geld ist nicht einfach vorhanden, auch jetzt in der Krise nicht. Jede und jeder von uns muss sich vor Augen halten: Wir zahlen die Rechnung. Ich habe schon auch das Gefühl: Viele blenden diese Tatsache momentan aus. Und wollen hier noch Geld, und da und dort. Aber: Das ist eine Illusion. Denn was ist der Staat? Das sind wir alle. Entsprechend ist staatliches Geld unser aller Geld, von jedem einzelnen Steuerzahler und jeder einzelnen Steuerzahlerin. In der Konsequenz – und das geschieht nicht heute oder morgen, sondern irgendwann später – bleibt jeder Einzelnen und jedem Einzelnen weniger Geld im eigenen Sack. Wir sollten uns also gut überlegen: Wollen wir das wirklich?

«Ich habe schon auch das Gefühl: Viele wollen hier noch Geld, und da und dort»

Die Antwort wird je nach politischer Haltung unterschiedlich ausfallen. Was ist die ökonomische Antwort darauf?

Wir müssen wegkommen von der Haltung, dass der Staat über die reine Krisenbewältigung hinaus zahlen soll. Die Rechnung für die viele Staatshilfe wird kommen – und sie wird uns später noch wehtun.

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