Arbeitssoziologie Bei Ameisen spielt das Alter für die Karriere keine Rolle

iw, sda

16.3.2021 - 17:05

In Ameisenkolonien bestimmt nicht das Alter über den Aufstieg auf der Karriereleiter, sondern der Zufall. Das ermöglicht der Gemeinschaft, auch funktionstüchtig zu bleiben, wenn gerade kein Nachwuchs produziert wird. Das haben Forscher der Uni Lausanne herausgefunden.

Keystone-SDA, iw, sda

Sie haben 100 Tage lang die Arbeitsteilung von 500 Ameisen untersucht, deren Geburtsdatum sie ihnen als Farb- und Barcode auf den Rücken appliziert hatten. In der Regel fungieren Jungtiere im Nest als «Kindermädchen» für die Königin und ihre Larven, während die erfahreneren Kolleginnen sich ausser Haus und in Gefahr begeben, um Futter zu beschaffen.

Wann eine «Krankenschwester» zur «Futtersammlerin» aufsteigt, ist freilich wider Erwarten nicht vom Alter abhängig, sagt Laurent Keller, Professor in der Abteilung für Ökologie und Evolution (DEE) an der Fakultät für Biologie und Medizin der Uni Lausanne (UNIL).

Der berufliche Aufstieg beruht dagegen auf einem zufälligen (stochastischen) Prozess. Das legen die Forscher um Keller in einer am Dienstag in der Zeitschrift «Current Biology» veröffentlichten Studie dar.

Ameisen machen ihren Übergang nicht alle im gleichen Alter. Einmal gestartet, folgen sie jedoch einem ähnlichen und relativ schnellen Muster. «Innerhalb von ein bis zwei Wochen verwandeln sie sich von Fressern in Futtersammler», sagt Projektleiter Keller.

Bitte lächeln, sie werden gefilmt!

Überraschenderweise haben Arbeiterinnen an jedem Tag ihres Lebens – ob acht Tage oder acht Monate alt – dieselbe Wahrscheinlichkeit, auf der Karriereleiter aufzusteigen, nämlich etwa drei Prozent. Das wurde festgestellt, indem zig Millionen Interaktionen der kleinen Probanden mit der Kamera aufgenommen und in einer detaillierten Karte notiert wurden.

«Wir sind die ersten, die zeigen, dass Rollenwechsel in einer Tiergesellschaft durch stochastische Prozesse reguliert werden. Diese Entdeckung hat wichtige Konsequenzen für unser Verständnis der Regulierung der Arbeit bei sozialen Insekten», betont Laurent Keller.

Alte als willkommene Manövriermasse

«Dieser auf den ersten Blick überraschende Mechanismus ist ein Vorteil, da er einer Gesellschaft ermöglicht, sich selbst zu regulieren und zwei Arten von Individuen (in diesem Fall Fresser und Futtersucher) das ganze Jahr über in den gleichen Proportionen zu halten.»

Im Frühling beispielsweise mangelt es an Nachwuchs, weil die Fortpflanzung den Winter über geruht hat. Seniorinnen übernehmen dann auch Funktionen, die sonst Jungtiere erfüllen. Dank der flexiblen Karrieregestaltung hat die Kolonie immer die benötigte Anzahl Ammen und Futtersammlerinnen zur Verfügung.

Andere wechseln zur Not sogar Geschlecht

Die dynamische, den Anforderungen angepasste Arbeitsteilung existiert auch anderswo in der Natur. Bei einigen Bakterien, die genetisch identisch sind, können Veränderungen der Genexpression zufällig auftreten und zu Verhaltensänderungen führen, schreibt Kellers Team.

Ein besonders eindrückliches Beispiel liefern Frösche. Ihr Geschlecht wird mitunter nicht durch die Gene bestimmt, sondern durch äussere Erfordernisse, Umweltbedingungen wie beispielsweise die Temperatur. In diesem Fall sorgt ein Zufallsprozess dafür, dass die Geburten von Männchen und Weibchen am Ende gleichwertig sind.

Ob auch bei den Ameisen die Aufgabenänderungen Auswirkung auf ihre genetische Disposition haben, wird derzeit von der UNIL in Zusammenarbeit mit der ETH Lausanne (EPFL) in weiteren Studien untersucht.