Kriegsschiff mit Schweizer NamenDarum diente eine HMS Engadine in der britischen Royal Navy
Philipp Dahm
10.3.2024
Warum hat in den Weltkriegen eine HMS Engadine für die Royal Navy gekämpft? Gibt es in Grossbritannien einen Ort, der auch so heisst? Nein, gemeint ist wirklich das Engadin der Schweiz. Wie es dazu kam, erfährst du hier.
Philipp Dahm
10.03.2024, 00:00
Philipp Dahm
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Die HMS Engadine ist nach einer der schönsten Landschaften der Schweiz benannt. Wie kann ein britisches Kriegsschiff einen Schweizer Namen tragen?
Dahinter steckt die Beschlagnahmung des schnellen Postdampfers SS Engadine nach dem Kriegsaubruch 1914.
Das Flugzeugmutterschiff HMS Engadine war beim Weihnachtsangriff auf Cuxhaven und der Skagerakschlacht dabei.
Das Schiff hat den Krieg überlebt, landete in den Philippinen und sank 1941 durch eine Mine.
Zwei weitere Schiffe der Royal Navy trugen danach noch den Namen HMS Engadine.
Es ist der 31. Mai 1916. Vor der Küste Jütlands erspäht die HMS Galatea Schiffe und signalisiert «Feind gesichtet». Der leichte Kreuzer der Royal Navy feuert um 14.28 Uhr den ersten Schuss der Skagerakschlacht ab, die nicht nur das grösste Seegefecht des Ersten Weltkriegs, sondern auch die letzte reine Artillerieschlacht grosser Schiffe ist.
Der britische Admiral David Beatty ordnet nach der Sichtung den ersten Aufklärungsflug von See an: Die HMS Engadine lässt Lieutenant Frederick Rutland aufsteigen, der fünf Zerstörer und drei Kreuzer der kaiserlichen Marine ausmacht. Die Skagerakschlacht endet nach einem Tag mit einem Unentschieden.
Da stellt sich die Frage, warum die Royal Navy ein Kriegsschiff in ihren Reihen hat, das Engadine heisst: Wie passt das zur damals schon neutralen Schweiz? Gibt es etwa auf der Insel auch einen Ort, der so heisst? Gegründet gar von britischen Touristen, die Graubünden so lieben?
Postdampfer wird Teil der britischen Grand Fleet
Des Rätsels Lösung ist noch banaler: Besagtes Schiff ist 1911 in Dumbarton in Schottland als SS Engadine vom Stapel gelaufen. Bestellt hat es die Firma South Eastern and Chatham Railway, die es als Postdampfer im Süden Englands einsetzte. Nach Ausbruch des Krieges konfisziert die Royal Navy im August 1914 den Dampfer und baut ihn zum Flugzeugmutterschiff um.
Ein Flugzeugmutterschiff ist die frühe Form des Flugzeugträgers – und eigentlich hat die Royal Navy mit der HMS Ark Royal das erste dafür gebaute Schiff dieser Art in den eigenen Reihen. Das Problem: Die Ark Royal ist mit ihren elf Knoten zu langsam, um mit der Grand Fleet mitzuhalten.
Die HMS Engadine mit ihren sechs Dampfkesseln ist doppelt so schnell und macht dagegen bis zu 21,5 Knoten – und kann auch noch genug Kohle mitführen, um – bei 15 Knoten Fahrt – 2300 Kilometer weit zu reisen. Auf dem Dampfer werden drei Hangare aus Segeltuch platziert: Die Flugzeuge werden mit Kränen zu Wasser gelassen und wieder eingeholt.
Angriff auf Cuxhaven
Den ersten Kampfeinsatz erlebt die Engadine am ersten Weihnachtstag 1914, als sie mit zwei weiteren umgebauten Flugzeugmutterschiffen, der HMS Riviera und der HMS Empress, einen Zeppelin-Hangar in Cuxhaven angreift. Die Technik steckt aber noch in den Kinderschuhen: Neun Flugzeuge werden zu Wasser gelassen, sieben können starten.
Sie richten aber nur kleine Schäden an – und nur drei Flieger kehren zurück. Die anderen müssen notlanden. Im Ferbuar 1915 kauft die Royal Navy den Besitzern die Engadin ab. Sie ist bis 1918 Teil der Grand Fleet, bevor sie nach Malta abkommandiert wird, um U-Boote zu jagen. Nach dem Krieg wird das Schiff ausgemustert und im Dezember 1919 wieder an die South Eastern and Chatham Railway zurückverkauft.
1933 erwirbt eine philippinische Firma die Engadine und tauft sie um in SS Corregidor. Nach dem Überfall auf Pearl Harbour am 7. Dezember 1941 nimmt Japan auch die Philippinen ins Visier. Zehn Tage später läuft die Corregidor abends aus Manila auf.
Zwei weitere Navy-Schiffe trugen den Namen Engadine
Sie ist überladen mit Zivilisten, die vor der nahenden Attacke fliehen. Sie läuft auf eine Mine auf und sinkt: Von den 1200 bis 1500 Menschen an Bord werden nur 282 gerettet.
Es soll aber nicht die letzte HMS Engadine im Dienst der Royal Navy gewesen sein. Am 26. Mai 1941 läuft im schottischen Greenock die Clan Buchanan vom Stapel. Die Royal Navy übernimmt das Frachtschiff, nennt es zu Ehren seines Vorgängers HMS Engadine und nutzt es als Depot-Schiff für Flugzeuge. 1946 wird sie an den ersten Eigner zurückverkauft und erhält wieder ihren alten Namen.
In den 60er-Jahren ordert die Royal Navy selbst eine Engadine. Das Helicopter Support Ship wird Mitte Dezember 1967 in Dienst der Royal Fleet Auxiliary gestellt – daher der Name RFA Engadine. Das Schiff der Königlichen Hilfsflotte nimmt am Falkland-Krieg teil, bevor es 1989 nach Griechenland verkauft und 1996 unter dem Namen Engadine verschrottet wird.