Prognose unmöglich Warum machen Gewitter eigentlich, was sie wollen?

Von Andreas Fischer

20.6.2021

Wann und wo Gewitter entstehen, wissen selbst Meteorologen nicht genau. Aber sie können erklären, wie Bauern Gewitter auslösen und warum du dich auf Wetter-Apps auf keinen Fall verlassen solltest.

Von Andreas Fischer

20.6.2021

Wirklich kalt wird es in den nächsten Tagen nirgendwo in der Schweiz. Bis Sonntag ist es meistens heiss, danach wird es schwül-warm. Abkühlung gibt es nur punktuell durch einzelne Gewitter. Sie können in den nächsten Tagen vermehrt auftreten, sagen die Meteorologen voraus.

Wo, wann und wie es blitzt und donnert – das wissen sie allerdings nicht. Gewitterprognosen, so scheint es, sind auch für Wetterfachleute schwierig. Warum ist das so? Warum machen Gewitter scheinbar, was sie wollen? Warum kann man sich nur bedingt auf Wetter-Apps verlassen? «blue News» hat bei Klaus Marquardt nachgefragt.

«Ein Gewitter ist ein kleinräumiger Prozess», stellt der Meteorologe von Meteonews seinen Erläuterungen voran. «Speziell Wärmegewitter sind von vielen lokalen Faktoren abhängig.» Das ist anders als etwa bei einer Kaltfront, die sich über weite Teile des Kontinents erstreckt und bei der es eine klare Luftmassen-Grenze gibt.

Gewitter melden sich nicht im Voraus an: Die Prognose, wo und wann sie auftreten, ist auch für Meteorologen nahezu unmöglich. (Archivbild)
Gewitter melden sich nicht im Voraus an: Die Prognose, wo und wann sie auftreten, ist auch für Meteorologen nahezu unmöglich. (Archivbild)
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Mäht der Bauer seine Wiese ...

Gewitter hingegen entstehen immer lokal. Zunächst einmal müsse das Set-up stimmen: Geben die Luftmassen überhaupt ein Gewitter her? «Sind die Luftmassen labil, ist es warm genug? Passt es von der Feuchtigkeit her?», zählt Klaus Marquardt die Fragen auf, die sich seine Zunft stellt.

«Dann muss es einen Aufwind geben, eine Art Initialzündung, die bewirkt, dass die warme Luftmasse aufsteigt.» Mitunter könne es etwas ausmachen, ob ein Bauer seine Heuwiese mäht, sagt Marquardt und erklärt den Effekt anhand von Paraglidern und Segelfliegern.

«Insbesondere Thermikflieger im Flachland fliegen bewusst Mähdrescher an, weil dort die warme Luft, die sich in Bodennähe festhält, abgelöst wird. Es entsteht Thermik, dann gibt es einen Aufwind, der die warme Luft nach oben transportiert, und irgendwo bildet sich eine Quellwolke.» Aus dieser könne dann bei entsprechender Ausgangslage ein Gewitter entstehen.

Gewitter sind wie Tischtennisbälle

So weit, so verständlich. Doch warum genau wissen Meteorologen nicht, wo die Gewitter auftauchen? «Gewitter entwickeln eine gewisse Eigendynamik», weiss der Wetterexperte. Zunächst werde die Entstehung einer Gewitterzelle «angeschubst», und dann laufe alles von allein – abhängig von gegebenen Bedingungen und der Tatsache, dass sich Gewitterzellen auch gegenseitig beeinflussen.

Klaus Marquardt illustriert: «Das kann man sich in etwa so vorstellen: Wenn man oben in einem Treppenhaus einen Tischtennisball hinunterwirft, dann ist zwar klar, dass der Ball irgendwann unten ankommt. Der konkrete Weg des Balles bleibt jedoch unberechenbar: Man weiss einfach nicht, wie er hüpft und wo er gegen stösst.»

Meteorologen arbeiten bei Gewittern deswegen mit Wahrscheinlichkeiten und sagen nur, dass das Gewitterrisiko steigt. «In den Köpfen der Menschen herrscht allerdings die Vorstellung, dass wir alles von A bis Z durchsimulieren können», sagt Marquardt. Was gerade bei Gewittern einfach nicht stimme. «Alles beeinflusst irgendwie das Geschehen: Relief, Seen, Wälder. Darum ist es halt auch spannend. Und Gott sei Dank lässt sich nicht alles bis auf die Hausnummer runter berechnen.»

Hotspots im Jura und in den Alpen

«In den Bergen kommt es zum Beispiel darauf an, wie besonnt ein Hang ist», führt der Meteorologe aus. Typischerweise habe der Jura eine gute Ausrichtung zur Sonne, auch in den Alpen gebe es ein paar klassische Hotspots, wo Gewitter entstehen. Es komme dann auf den Höhenwind an, in welche Richtung die Gewitterzellen weiterziehen, auf die Windgeschwindigkeit und auf die Windrichtung in beispielsweise 5500 Meter Höhe.



Gibt es keinen Höhenwind, dann bleiben die Gewitterzellen stehen, sind ortsfest. «Das ist dann problematisch für alle jene, die dort sind: weil es bei ihnen die ganze Zeit Vollgas runterläuft. Einen Kilometer weiter hört man nur ein Donnerrollen und bekommt höchstens ein paar Tropfen ab.»

Im Moment gebe es aber Höhenwind, vor allem aus südwestlicher Richtung, so Marquardt. «Es wird auch eher mehr als weniger. Das heisst, die Gewitter ziehen: Sie entstehen am Nachmittag im Jura, im Schwarzwald und in den Alpen – und können von dort das Mittelland erreichen.» Ob sie aber Solothurn erwischen, Baden, Zürich oder Schaffhausen, das könne man unmöglich vorhersagen. 

«Lieber mal den Hausverstand einschalten»

«Keine Gewitterlage ist wie die andere», sagt Marquardt und ist zurück bei den Wetter-Apps. «Die Leute schauen trotzdem auf ihr Smartphone und denken dann: Um 17.30 Uhr geht’s los, und es schlägt der erste Blitz ein. Das ist völliger Quatsch, das hat mit der Natur nichts zu tun.»

Zumal viele kostenlose Apps als Basis Wettermodelle mit einer «groben Maschenweite von zehn bis 15 Kilometern» haben. Alles, was dazwischen passiert, werde interpoliert – also mathematisch hochgerechnet. «Das führt dann dazu, dass in der App die Gewitterwahrscheinlichkeit in Cham die gleiche ist wie in Luzern oder Altdorf.»

Freilich gebe es auch Apps mit hochauflösenderen Wettermodellen – aber auch auf die sollte man sich nicht zu sehr versteifen. «Lieber mal den Hausverstand einschalten», rät Klaus Marquardt. «Wenn man am Himmel sieht, dass es bei Südwestwind von Südwesten her schwarz wird, dann kann man sich den Blick auf die App gleich sparen.» Egal, was sie vorhergesagt hat: In der Realität ist dann nämlich ein Gewitter im Anzug.