StudieDen Feind zum Freund: Ärzte testen Polioviren gegen Hirntumore
Marilynn Marchione, AP
28.6.2018
US-Mediziner haben in einer Studie veränderte Polioviren gegen Hirntumore eingesetzt. Den meisten Patienten half das nicht, doch bei einigen wenigen zeigte die Behandlung Erfolg. Experten empfehlen, dass die Methode weiter untersucht wird.
Eines der am meisten gefürchteten Viren könnte Menschen mit Hirntumoren helfen. In einer kleinen Studie überlebten mehr Patienten als erwartet, nachdem sie ein genetisch verändertes Poliovirus bekommen hatten. Ärzte berichten, der Erreger habe dem Körper dabei geholfen, die Krebszellen anzugreifen.
Die Behandlungsmethode wurde erstmals an Menschen getestet, und weder half sie den meisten Patienten, noch verlängerte sie die mittlere Lebenserwartung. Aber viele, die auf die Behandlung ansprachen, schienen lange davon zu profitieren: Nach drei Jahren waren noch 21 Prozent der Patienten am Leben, während es in einer Vergleichsgruppe mit früheren Hirntumor-Erkrankten nur 4 Prozent waren. Ähnliche Überlebenszahlen haben auch andere Therapien gezeigt, die das Immunsystem im Kampf gegen verschiedene Krebsarten nutzen. Keine von ihnen wird bislang zur Behandlung von Hirntumoren verkauft.
«Das ist wirklich ein erster Schritt», sagt eine der Forscherinnen, Annick Desjardins von der Duke University in North Carolina. Ärzte seien begeistert gewesen, dass es überhaupt Fortschritte bei der Überlebensdauer in einer solchen Studie gegeben habe.
DER FEIND ALS VERBÜNDETER
Hirntumore, auch genannt Glioblastom, treten nach der ersten Behandlung oft wieder auf. Der republikanische US-Senator John McCain etwa leidet an einem solchen Tumor. Immuntherapien wie das Medikament Keytruda helfen bei der Bekämpfung von Krebsarten, die ins Gehirn streuen, funktionieren aber nicht gut, wenn der Krebs im Kopf beginnt.
Polio hat Generationen heimgesucht, bis in den 1950er Jahren ein Impfstoff dagegen auf den Markt kam. Das Virus dringt in das Nervensystem ein und kann Lähmungen verursachen. Die starke Reaktion des Immunsystems, das die Viren hervorrufen, wollten die Ärzte an der Duke University gegen Krebs nutzen. Mit Unterstützung des US-Krebszentrums haben sie das Poliovirus genetisch so verändert, dass es die Nerven nicht schädigt, wohl aber die Tumorzellen angreift. Die Viren werden mithilfe eines dünnen Röhrchens direkt ins Gehirn geträufelt. Sobald sie im Tumor sind, erkennt sie das Immunsystem als fremdartig und beginnt, sie zu attackieren.
Als Michael Niewinski von der Idee hörte, klang sie für ihn «wie einen Mann auf den Mond zu schicken», sagt er. Der 33-Jährige aus Boca Raton in Florida wurde im vergangenen August behandelt. Ein kürzlich gemachter Scan scheine zu zeigen, dass der Tumor geschrumpft sei. «Ich habe keine Schmerzen und keine Symptome», sagt er.
ERGEBNISSE DER STUDIE
In der Studie wurde das veränderte Poliovirus 61 Patienten verabreicht, deren Tumor nach den ersten Behandlungen zurückgekehrt war. Die mittlere Lebenserwartung betrug ein Jahr, etwa ebenso viel wie die einer kleinen Gruppe ähnlicher Patienten, die andere Tumorbehandlungen bekommen hatten. Nach zwei Jahren begann es der Poliovirus-Gruppe besser zu gehen.
Die Auswertung läuft noch, aber nach zwei Jahren überlebten 21 Prozent der Patienten gegenüber 14 Prozent in der Kontrollgruppe. Nach drei Jahren sind es immer noch 21 Prozent verglichen mit 4 Prozent. In konkreten Zahlen: Von den 35 Patienten, die vor mehr als zwei Jahren mit Polioviren behandelt wurden, waren im März noch 8 am Leben, von 22 Patienten, die vor mehr als drei Jahren behandelt wurden, lebten noch 5.
Stephanie Hopper aus Greenville in South Carolina war die erste Patientin, die an der Studie vom Mai 2012 teilnahm. Die Behandlung erlaubte der heute 27-Jährigen, die Schule abzuschliessen und Krankenschwester zu werden. Scans von Anfang Juni zeigten keine Anzeichen, dass der Tumor wachse, sagt sie. «Ich glaube von ganzem Herzen, dass das meine Heilung gewesen ist.» Zwar bekomme sie immer noch Anfälle, die sie aber mit Medikamenten kontrollieren könne. «Die meisten Menschen kämen nicht darauf, dass ich mal einen Hirntumor hatte.»
NEBENWIRKUNGEN
Jedoch verursacht die Behandlung starke Gehirnentzündungen. Zwei Drittel der Patienten zeigten Nebenwirkungen, zumeist Kopfschmerzen, Muskelschwäche, Anfälle, Schluckbeschwerden und verändertes Denkvermögen. Die Ärzte weisen darauf hin, dass dies vom Immunsystem herrühre und keiner der Probanden Polio bekommen habe. Ein Patient hatte direkt nach der Behandlung schwere Hirnblutungen. Zwei Patienten starben bald danach — bei einem hatte sich der Tumor verschlechtert, der andere litt an Komplikationen, nachdem er ein Medikament gegen eine der Nebenwirkungen bekommen hatte. Die geplanten Dosen mussten reduziert werden, da es zu viele Anfälle und andere Probleme gab.
Ein unabhängiger Experte, Howard Fine, zeigte sich enttäuscht darüber, dass sich die mittlere Lebenserwartung nicht verbessert habe. Der Hirntumor-Chefspezialist an der Uniklinik der Cornell University in New York sieht es aber als ermutigend an, dass es eine kleine Gruppe von Patienten gegeben habe, denen es deutlich besser ergangen sei, «als man erwarten würde». Die Zahlen der Studie seien klein, fügt Fine hinzu, aber es sei ungewöhnlich, nach mehreren Jahren noch viele Patienten am Leben zu sehen. Der Ansatz verdiene weitere und grössere Studien.
Sie besiegte den Krebs - und «stirbt trotzdem innerlich»
Sie besiegte den Krebs - und «stirbt trotzdem innerlich»
Becki McGuinness besiegte den Krebs. Doch das eigentliche Martyrium begann für die junge Frau danach.
Bild: Dukas
2008 wurde bei Becki McGuinness Knochenkrebs diagnostiziert.
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Zwischen 2008 und 2009 unterzog sich die junge Frau einer mehrmonatigen Chemo- und Bestrahlungstherapie.
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2009 erhielt sie die erlösende Botschaft: Der Krebs war verschwunden. Doch kurze Zeit später brach für Becki die Welt zusammen.
Bild: Dukas
Beckis Periode blieb aus, dafür bekam die damals 21-Jährige Hitzeschübe: «Ich hatte alle Symptome, die Frauen normalerweise erst haben, wenn sie 30 Jahre älter sind».
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Ihre Frauenärztin bestätigte, was Becki befürchtet hatte: Sie durchlief die Meno-Pause. Noch vor ihrer eigenen Mutter. Die Krebsbehandlung hatte sie unfruchtbar gemacht.
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Dabei wollte die junge Frau unbedingt Mutter werden. Auch eine Adoption ist für Becki ausgeschlossen, da sie immer noch mit den Nachwirkungen ihrer Erkrankung kämpft.
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«Ich sterbe innerlich», sagt die 31-Jährige heute, und beklagt, dass sie vor der Therapie nicht auf die möglichen Folgen hingewiesen wurde.
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Denn in der zweiwöchigen Wartezeit auf die Behandlung hätte Becki ihre Eizellen einfrieren lassen können. Mit ihren Fotos will sie nun andere krebskranke Frauen darauf aufmerksam machen, sich vor ihren Behandlungen entsprechend abzusichern.
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