Emil FreyDer Bundesrat, der im US-Bürgerkrieg kämpfte
Von Philipp Dahm
24.12.2022
Am Heiligabend vor 100 Jahren starb Emil Frey. Der Schweizer Liberale kämpfte im Sezessionskrieg gegen die Sklaverei, kehrte als Held in die Heimat zurück und stieg danach bis zum Bundespräsidenten auf.
Von Philipp Dahm
24.12.2022, 19:57
Philipp Dahm
Er war Regierungsrat in Basel-Landschaft, Nationalrat und Bundesrat: 1891 war er Bundespräsident der neutralen Schweiz, obwohl er am amerikanischen Unabhängigkeitskrieg teilgenommen hatte und auch Amerikaner war.
Er war Schweizer Botschafter in den USA, modernisierte das Militär und führte die Internationale Fernmeldeunion. Wer war Emil Frey, der am 24. Dezember 1922 gestorben ist?
Emil Johann Rudolf Frey kommt am 24. Oktober 1838 in Arlesheim BL zur Welt. Sein Vater Emil Remigius Frey ist damals 35 Jahre alt. Er hat Jus in in Basel, Heidelberg, Göttingen und Paris studiert, setzt sich im Baselbiet für die direkte Demokratie ein («Alles für das Volk und alles durch das Volk»), ist Präsident des Obergerichts und wird später Nationalrat.
Der älteste Sohn von ihm und der Murtenerin Henriette Chatoney scheint am Anfang seines Lebens einen gänzlich anderen Weg als sein Vater einzuschlagen. Er besucht das Pädagogium in Basel, doch weil er dauernd Ärger mit Lehrern und Schulbehörden hat, wird er nach Ulm geschickt, wo er mit 17 die Matura macht.
Bürgerkrieg bringt Freys Soldatenblut in Wallungen
Emil Frey geht anschliessend nach Jena, wo er ab 1855 Verwaltungs- und Agrarwissenschaften studiert und «eine scharfe Klinge führt», wie sein Sohn 1928 schreiben wird. Immer wieder unterbricht er das Lernen, um auf sächsischen Rittergütern oder bei seinem Vater zu arbeiten. Nach fünf Jahren verschlägt es ihn nach Abschluss des Studiums Ende 1860 in die USA, wo er die amerikanische Landwirtschaft in Illinois kennenlernen will.
Doch im April 1861 bricht der Sezessionskrieg aus – und Emil Frey schlägt sich auf die Seite der Nordstaaten. Der Schweizer wird als Fahnenjunker ins 24th Illinois Volunteer Infantry Regiment rekrutiert. Das Regiment besteht vor allem aus Schweizern, Deutschen, Ungarn und Slowaken. Geführt wird es von dem Deutschen Friedrich Hecker.
Viele der Soldaten gehören zu den Forty Fighters. So werden jene Europäer genannt, die nach der gescheiterten liberalen Revolution 1848 den Kontinent verlassen haben. Hecker etwa muss aus dem Deutschen Reich fliehen – und findet Unterschlupf in der Schweiz bei der Familie Frey.
Acht Monate Einzelhaft
Für Emil Freys Karriere im US-Militär ist diese Connection ein Glücksfall. Er steigt unter Hecker bis zum Major auf. Im Oktober 1862 wird diesem die Leitung des 82nd Illinois Infantry Regiment übertragen, das zu zwei Drittel aus Deutschen besteht, und Frey folgt ihm nach.
Zusammen bestreiten sie am 1. Juli 1863 die Schlacht von Gettysburg, bei der Robert E. Lees Südstaaten-Armee zwar geschlagen wird, der Basler jedoch in Gefangenschaft gerät. 18 Monate verbringt Frey im Libby-Gefängnis für Kriegsgefangene in Richmond, Virginia – davon acht in Einzelhaft –, bevor er gegen einen Konföderierten freikommt.
Frey kämpft weiter für die Unionsarmee und erhält zum Ende des Krieges die amerikanische Staatsbürgerschaft. Am 14. Juli 1865 heisst es in seinem Bürgerbrief, der in St. Louis, Missouri ausgestellt wird: «Er verzichtet für immer auf seine Schweizer Bürgerschaft und schwört ihr ab.»
Rund fünf Wochen später reist der frisch gebackene Amerikaner jedoch zurück nach Europa in seine alte Heimat.
Die Frau stirbt früh nach fünf Kindern und sieben Ehejahren
Die Baselbieter empfangen Frey als Kriegshelden: Im Herbst 1865 wird er Landschreiber und 1866 in den Regierungsrat gewählt, wo er sich als Reformer versucht: Er setzt zum Beispiel ein neues Fabrikgesetz durch und engagiert sich im Bildungswesen. 1870 heiratet er Emma Klos aus Liestal, die ihm fünf Kinder schenkt, bevor sie bereits 1877 – mit 28 Jahren – an Tuberkulose stirbt.
1872 wird Frey Freimaurer und wechselt aus der Politik in den Journalismus und wird kurzzeitig Redaktor bei den bei den «Basler Nachrichten». Zuvor war «der Lohn zu spärlich», weiss die «Basler Zeitung». Er wird jedoch noch im selben Jahr Nationalrat und wirbt auf der politischen Bühne für Sozialreformen und ein eine zentralere Organisation der Armee.
Apropos: Obwohl er nie eine Rekrutenschule besucht hat, befördert das Schweizer Militär Frey seiner Erfahrung wegen direkt zum Major. Er wird es bis zum Oberst bringen. 1876 amtet er als Nationalratspräsident, obschon er auf dem Papier theoretisch gar nicht mehr Schweizer ist.
US-Comeback als Botschafter
Wie das geht? «Seine Doppelbürgerschaft war in der damaligen Zeit kein Problem, sie wurde vielmehr als Vorteil betrachtet», erklärt Hans-Ulrich Jost, Historiker und emeritierter Professor der Universität Lausanne zu Swissinfo. Verkehrte Welt: Während Washington damals keine zwei Pässe erlaubt, ist Bern in der Angelegenheit offenbar tolerant.
1882 verschlägt es den Basler wieder in die USA – als erster Schweizer Botschafter in den Vereinigten Staaten. Präsident Chester A. Arthur ist begeistert von dem Diplomaten, den er «als den Repräsentanten beider Staaten» versteht. Zu seinem Empfang in Washington gibt es einen grossen Bahnhof, schreibt die «New York Times» am 20. November.
22 Banner der Schweizer Kantone sind ebenso zu sehen wie Bilder von «William Tell» und dem «Gruetti Schwur». Frey wird von den «Schweizer Einwohnern der Stadt» begrüsst. «Pfarrer Dr. Gruesi hielt eine Rede, in der er sagte, die Schweizer seien froh, einen Repräsentanten ihrer Heimat in der Hauptstadt zu haben.» Lieder wie «Du mein Vaterland» und «My Merry Swiss Boy» ertönen.
Militär-Minister und Bundespräsident
Die Sommer verbringt der neue Botschafter in den USA jeweils in seiner Geburtsstadt Arlesheim, bevor er 1888 endgültig in die Heimat zurückkehrt. Am 11. Dezember 1890 wird Frey in den Bundesrat gewählt: Der Reformierte erhält 94 von 181 Stimmen, sein katholischer Widersacher Alois Kopp kommt auf 77: Für die Konservativen ist Frey ein «Radikaler».
Mit seiner Erfahrung aus dem Sezessionskrieg ist der Witwer natürlich für ein Amt prädestiniert: Er übernimmt 1891 das Militärdepartment, setzt ein Rüstungsprogramm durch, erhöht Vorräte an Nahrungsmitteln und Munition und baut Festungen wie die am Gotthard aus. 1894 ist er für ein Jahr Bundespräsident.
Frey ist kreativ und speditiv, hat sich im Kulturkampf aber auch Feinde im katholischen Lager geschaffen. Seine Gegner stellen ihn als eitel, preussisch und selbstherrlich dar. Und der Basler scheitert tatsächlich erstmals politisch: 1895 lehnt das Volk eine Vorlage ab, die das Militär zentralisiert hätte. 1896 scheitert er auch mit einem Bundesgesetz zur Disziplinierung der Armee.
Drei der fünf Kinder erleben das 20. Lebensjahr nicht
Diese Rückschläge führen zu Freys Rückzug aus dem Bundesrat am 11. März 1897, doch seine Politikerkollegen machen ihn noch am selben Tag zum Direktor der Internationalen Telegraphen-Union in Genf: Nur das Internationale Komitee vom Roten Kreuz ist als supranationale Organisation noch älter.
In dieser Funktion kümmert er sich um den Ausbau des weltweiten Telegrafennetzes und später, als die Organisation «Internationale Fernmeldeunion» heisst, erweitert er das Netz der kabellosen Radiotelegrafie. 1905 veröffentlicht er das Buch «Die Kriegstaten der Schweizer, dem Volk erzählt», für das ihm die Universität Bern 1911 die Ehrendoktorwürde verleiht.
Während sich der Mann beruflich immer wieder durchsetzen kann, muss er privat mehr und mehr Schicksalsschläge verkraften. Schon 1893 stirbt Tochter Anna mit nur 19 Jahren. Die ältesten Söhne Hans und Emil, geboren 1871 und 1872, kommen beide 1913 ums Leben. Nur Carl und Helene leben bis 1934 und 1944 und überleben ihren Vater.
«Unter gewaltiger Beteiligung» begraben
Seinen Job bei der Internationalen Fernmeldeunion meistert er offenbar mit Bravour: Niemand wird der Organisation so lange vorstehen wie er. Erst am 1. August 1921 tritt der Freisinnige zurück. Lange geniessen kann er seine Pension nicht.
Nach gut einem Jahr und vier Monaten stirbt der 84-Jährige an Heiligabend 1922 in seinem Haus in Arlesheim, in dem er auch geboren wurde. «Unter gewaltiger Beteiligung von Bevölkerung und Behördendelegationen wird er in Arlesheim zu Grabe geleitet», heisst es im Basler Stadtbuch.
Der «Basler Vorwärts» schreibt am 26. Dezember: «Von dem menschlichen Standpunkt aus war Emil Frey eine achtungsgebietende mit weltmännischen Umgangsformen, aber auch als Parteipolitiker muss jedermann ihm das Zeugnis geben, dass er sich den Forderungen der Zeit nie ganz verschloss.» Damit endet in Arlesheim eine äusserst bemerkenswerte Schweizer Laufbahn ebendort, wo sie einst auch begonnen hatte.