Virologe zu Omikron«Die Einordnung als ‹mild› halte ich für brandgefährlich»
dpa
22.1.2022 - 16:01
Seit bald zwei Jahren bestimmen die Pandemie und ihre Einschränkungen den Alltag. Der Münchner Virologe Oliver Keppler hält die Prophezeiungen eines baldigen Endes der Pandemie für gefährlich.
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22.01.2022, 16:01
Omikron ist einerseits ansteckender als die vorherigen Varianten, aber Omikron macht auch weniger krank. Das zeigt sich nun in einer Umfrage, die der «Blick» bei Schweizer Spitälern gestartet hat. Das Ergebnis: In hiesigen Intensivbetten liegen vor allem Covid-Patienten, die sich mit der Delta-Mutante angesteckt haben.
In den Zürcher Stadtspitälern Waid und Triemli gibt es demnach keine Omikron-Fälle auf den Intensivstationen. In Genf seien zwei von 19 entsprechenden Patienten mit Omikron infiziert, in St. Gallen habe von acht Intensiv-Patienten «vermutlich» keiner Omikron. Auch das Berner Inselspital geht davon aus, «dass ein wesentlicher Anteil der Patientinnen und Patienten auf der Intensivstation noch von der Delta-Variante betroffen ist».
Muss man sich also generell weniger Sorgen vor den Folgen der Omikron-Variante machen? Genau das Gegenteil sei der Fall, hat nun Oliver Keppler, der Leiter der Virologie an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität der Deutschen Presse-Agentur, gegenüber der Deutschen Presse-Agentur gewarnt: «Eine Verharmlosung von Omikron wäre daher fatal, die häufig zu lesende Einordnung als ‹mild› halte ich für brandgefährlich.»
Deutsche Krankenhäuser steuern nach Einschätzung des Münchner Virologen auf erneut sehr hohe Zahlen von Corona-Patienten zu. Die Ausgangslage in Deutschland sieht Keppler wegen des vergleichsweise hohen Durchschnittsalters der Bevölkerung und vieler Ungeimpfter als schwierig an.
«Monströses Infektionsgeschehen in den USA»
«In den USA sehen wir ein monströses Infektionsgeschehen mit bis zu einer Million neuer Infektionsfälle am Tag», sagte der Vorstand des Max von Pettenkofer-Instituts. «Dort sind mehr Covid-19-Patienten in den Krankenhäusern als jemals zuvor in der Pandemie, und auch die Todesfallzahlen nehmen in den letzten Wochen wieder deutlich zu. Das ist nun alles andere als ‹mild›.»
Vorläufige Untersuchungen aus Grossbritannien und den USA deuteten darauf hin, dass Omikron-Infektionen in der Breite etwa zwei bis dreimal seltener zur Einweisung ins Krankenhaus führten als Delta-Infektionen.
«Aber diese neue Variante erzeugt ja eine viel höhere Infektionsdynamik mit Neuinfektionszahlen, die zehn- bis zwanzigfach höher liegen als in der Delta-Welle zu einem vergleichbaren Zeitpunkt.» Darüber hinaus gab Keppler zu bedenken, dass die langfristigen Auswirkungen von Omikron-Infektionen noch nicht im Kontext von Long Covid untersucht werden konnten.
Länder wie Deutschland würden sich zudem unterscheiden, weil der Altersdurchschnitt ein anderer sei. Das gilt auch für die Schweiz, die eine ähnlich alte Bevölkerung aufweist, die klinisch anfälliger ist.
«Pandemie im Herbst noch nicht vorbei»
Deshalb mache ein Vergleich etwa mit dem Verlauf der Omikron-Welle in Südafrika mache wenig Sinn. Dort sei die Bevölkerung viel jünger. Die Impfquote liege zwar nur bei 30 Prozent, aber man gehe davon aus, dass der grösste Teil der Bevölkerung sich schon zwei- oder dreimal infiziert habe. «Bei uns dagegen trifft Omikron auf Ungeimpfte und Ungenesene, von denen viele im Risiko sind.»
Keppler kritisierte die Vorhersagen eines baldigen Endes der Pandemie: «Die Leute, die teilweise jetzt schon zum dritten Mal lautstark das Ende der Pandemie ausrufen, sollten ein bisschen zurückhaltender sein, weil viele Menschen dann unvorsichtig werden und grössere Risiken eingehen.»
Der Virologe warnte, dass die Pandemie auch im Herbst noch nicht überwunden sein könnte: «Basierend auf den Erkenntnissen der letzten zwei Jahre müssen wir aber davon ausgehen, dass Menschen, die sich jetzt mit Omikron infizieren und eine Impfung ablehnen, im Herbst bereits fast keinen Immunschutz gegen eine neue SARS-CoV-2-Variante mehr haben werden.»