ETH-Geologe erklärt «Die klassischen Methoden haben bei diesem Ausbruch versagt»

Von Philipp Dahm

9.12.2019

Was ist den Touristen beim Vulkanausbruch auf Neuseeland, bei dem noch immer acht Personen vermisst werden, zum Verhängnis geworden – und warum wurde nicht rechtzeitig gewarnt? Der ETH-Professor Peter Ulmer erklärt «Bluewin» seine Sicht.

Peter Ulmer ist Professor an der ETH Zürich und arbeitet im Institut für Geochemie und Petrologie. «Bluewin» hat den Experten nach dem Vulkanausbruch auf White Island in Neuseeland zu den Hintergründen der Eruption befragt.

Herr Professor Ulmer, der Vulkan auf White Island ist einer der aktivsten in Neuseeland: Konnte man den Ausbruch nicht kommen sehen?

Das hängt davon ab, wie Vorwarnung und Ausbruch verlaufen. Normalerweise entstehen Tremor, kleine Erdbeben, wenn Magma aufsteigt, die mit Seismographen gemessen werden. Ein weiterer Faktor ist das austretende Gas, das auf White Island auch registriert worden ist: Hier wurde die Warnstufe auch von eins auf zwei erhöht.

Was heisst das?

Es geht um die Skala des neuseeländischen «Institute of Geological and Nuclear Sciences», bei der das Risiko eines «volcanic unrest» von «moderate» auf «heightened» erhöht worden ist.

Welche Messinstrumente stehen noch zur Verfügung?

In der Regel kommen noch GPS-Geräte zum Einsatz. Im vorliegenden Fall sind diese aber nur von beschränktem Nutzen, da sich drei Viertel des Vulkans unter dem Meeresspiegel befinden.

Warum konnte trotz dieser Möglichkeiten vor dem aktuellen Ausbruch nicht gewarnt werden?

Weil es ausser dem Gas nicht genug Anzeichen dafür gab, wie der Bericht des [neuseeländischen Geologie-Überwachungsnetzwerks] GeoNet vom 31. Oktober klar kommuniziert: «Erhöhter Gas-Ausfluss von Schwefeldioxid und ein erhöhtes Tremors-Level seit 2016, aber alle anderen Messungen wie bei Bodenluft, Fumarole und Wasserchemie, GPS-Messung zur Boden-Deformation, Magnetfeldmessungen, visuelle Inaugenscheinnahme via Webcams und Erdbeben-Aktivitäten zeigten keinerlei Veränderungen».

Welches Fazit lässt sich daraus ableiten?

Der Vulkan wird sehr gut überwacht, aber die klassischen Methoden haben bei diesem Ausbruch versagt. Das ist allerdings nicht untypisch für diesen Vulkantyp: Es handelt sich um einen Stato- oder Schichtvulkan, bei dem sich explosive Tätigkeit mit «milder», effusiver Tätigkeit, also dem Ausfliessen von Lavaströmen, abwechselt. Und das macht die Vorhersage notorisch schwierig.

Wir sind also heutzutage technisch immer noch nicht in der Lage, bestimmte Eruptionen einigermassen sicher vorherzusagen?

Das ist so. Die Forschung hat die Korrelation zwischen Gas-Ausfluss und zukünftiger Vulkanaktivität noch nicht vollkommen verstanden.

Müssen Touristen, die im Pazifischen Feuerring unterwegs sind, mit so etwas rechnen?

Ja. Ich persönlich würde zwar davon ausgehen, dass die Tourguides Bescheid wissen: Sie verlieren ja ihre Lizenz, wenn etwas passiert. Aber ich rate jedem Touristen dennoch, sich vorher beim GNS oder GeoNet in Neuseeland genau zu informieren.

Hat man als Tourist denn überhaupt eine Chance, wenn so ein Vulkan überraschend ausbricht?

Normalerweise schon. Dass ein Ausbruch von null auf hundert passiert, ist sehr selten. Er fängt in der Regel klein an. Das Problem bei Vulkanen mit grossem Kegel ist eher die fehlende Deckung. Im konkreten Fall befindet sich die einzige Anlegestelle für die Boote genau in einer Rinne, in der die Ascheströme hinunterfliessen.

Am Ende der Vulkankegelöffnung liegt die einzige Anlegestellte von White Island.
Am Ende der Vulkankegelöffnung liegt die einzige Anlegestellte von White Island.
Bild: Keystone

Was ist bei einem Vulkanausbruch am gefährlichsten?

Es sind die Pyroklastischen Ströme, die auf White Island allerdings nicht aufgetreten sind. Ihre heissen Gase verbrennen die Lunge, bevor Sie auch nur merken, was passiert ist.

Was kann Opfern in einem solchen Fall zum Verhängnis werden?

Entweder Verbrennungen oder aber toxische Gase aus dem niedergegangenen Ascheregen.

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