MassenhysterienDie unheimliche Lachepidemie und andere bizarre Plagen
Von Philipp Dahm
30.1.2022
Bekannte Ausbrüche von Massenhysterie
Die wohl älteste bekannte Massenhysterie hat anscheinend 1518 in Strassburg ihren Lauf genommen: Zwischen Juli und September wurden Bürger*innen von einer krankhaften Tanzwut gepackt. Angeblich begann alles mit einer tanzenden Frau, der sich weitere Damen anschlossen. Im Bild: Das Strassburger Münster von 1439.
Bild: Bild: Commons/Jonathan Martz
Eine künstlerische Darstellung der Tanzepidemie von Strassburg von Hendrik Hondius: Berichte von Menschen, die sich zu Tode getanzt hätten, dürften Märchen sein. Doch die Plage soll zwischen 50 und 400 Leute befallen haben, die tagelang tanzten. Die Stadt verbot schliesslich öffentliches Tanzen. Verfehlungen wurde mit kirchlichen Ritualen bestraft. Die Exorzismen halfen – wohl weil die Menschen daran glaubten.
Bild: Bild: Gemeinfrei
Nonnen in Frankreich: Das zweite Beispiel wird vom deutschen Medizinhistoriker Justus Hecker beschrieben: 1844 beginnt demnach eine Nonne in einem grossen Konvent plötzlich zu miauen, bald fallen andere in die Laute ein und schliesslich miauten alle Nonnen jeden Tag zu einer bestimmten Zeit über mehrer Stunden miteinander.
Bild: Symbolbild: KEYSTONE
Angeblich geschah nichts, bis die Nachbarn, die sets zur selben Zeit einen Miau-Chor hörten, die Polizei verständigten. Die rückte wiederum mit Militär an, und soll das Konzert unter Androhung von Prügel beendet haben. Die Krux an der Geschichte: Auch Justus Hecker hat nur davon gelesen, ist also kein Zeuge.
Bild: Symbolbild: KEYSTONE
Juni 1962 in den USA: In einer Textilfabrik berichten Mitarbeitende, sie fühlen sich benommen und übel, bis sie erbrechen. Als das Gerücht die Runde macht, Junikäfer hätten Angestellte gebissen, melden sich weitere Menschen. 62 Personen sind betroffen, doch Experten finden keine klinischen Gründe für den Vorfall.
Bild: Symbolbild: KEYSTONE
Ebenfalls 1962 sucht eine Lachepidemie Tansania heim. Erst sind es nur wenige Mädchen im Dorf Kashasha, dann sind 95 von 150 Schüler*innen betroffen. Sie tragen die Tanganjika-Lachepidemie in die Dörfer – für Monate sind bis zu 1000 Menschen von der Massenhysterie befallen.
Bild: Getty Images
Es beginnt im August 2016 mit Sichtungen in Green Bay, Wisconsin: Um Werbung für einen Horrorfilm zu machen, wird ein Böser Clown auf die Strasse geschickt. Das führt bald zu Meldungen in fast allen US-Bundesstaaten und in 9 von den 13 kanadischen Provinzen. Die Massenhysterie führt dazu, dass Studenten der Pennsylvania State University und der Michigan State University in Gruppen durch die Strassen ziehen, um Clowns zu jagen.
Bild: Symbolbild: KEYSTONE
Bekannte Ausbrüche von Massenhysterie
Die wohl älteste bekannte Massenhysterie hat anscheinend 1518 in Strassburg ihren Lauf genommen: Zwischen Juli und September wurden Bürger*innen von einer krankhaften Tanzwut gepackt. Angeblich begann alles mit einer tanzenden Frau, der sich weitere Damen anschlossen. Im Bild: Das Strassburger Münster von 1439.
Bild: Bild: Commons/Jonathan Martz
Eine künstlerische Darstellung der Tanzepidemie von Strassburg von Hendrik Hondius: Berichte von Menschen, die sich zu Tode getanzt hätten, dürften Märchen sein. Doch die Plage soll zwischen 50 und 400 Leute befallen haben, die tagelang tanzten. Die Stadt verbot schliesslich öffentliches Tanzen. Verfehlungen wurde mit kirchlichen Ritualen bestraft. Die Exorzismen halfen – wohl weil die Menschen daran glaubten.
Bild: Bild: Gemeinfrei
Nonnen in Frankreich: Das zweite Beispiel wird vom deutschen Medizinhistoriker Justus Hecker beschrieben: 1844 beginnt demnach eine Nonne in einem grossen Konvent plötzlich zu miauen, bald fallen andere in die Laute ein und schliesslich miauten alle Nonnen jeden Tag zu einer bestimmten Zeit über mehrer Stunden miteinander.
Bild: Symbolbild: KEYSTONE
Angeblich geschah nichts, bis die Nachbarn, die sets zur selben Zeit einen Miau-Chor hörten, die Polizei verständigten. Die rückte wiederum mit Militär an, und soll das Konzert unter Androhung von Prügel beendet haben. Die Krux an der Geschichte: Auch Justus Hecker hat nur davon gelesen, ist also kein Zeuge.
Bild: Symbolbild: KEYSTONE
Juni 1962 in den USA: In einer Textilfabrik berichten Mitarbeitende, sie fühlen sich benommen und übel, bis sie erbrechen. Als das Gerücht die Runde macht, Junikäfer hätten Angestellte gebissen, melden sich weitere Menschen. 62 Personen sind betroffen, doch Experten finden keine klinischen Gründe für den Vorfall.
Bild: Symbolbild: KEYSTONE
Ebenfalls 1962 sucht eine Lachepidemie Tansania heim. Erst sind es nur wenige Mädchen im Dorf Kashasha, dann sind 95 von 150 Schüler*innen betroffen. Sie tragen die Tanganjika-Lachepidemie in die Dörfer – für Monate sind bis zu 1000 Menschen von der Massenhysterie befallen.
Bild: Getty Images
Es beginnt im August 2016 mit Sichtungen in Green Bay, Wisconsin: Um Werbung für einen Horrorfilm zu machen, wird ein Böser Clown auf die Strasse geschickt. Das führt bald zu Meldungen in fast allen US-Bundesstaaten und in 9 von den 13 kanadischen Provinzen. Die Massenhysterie führt dazu, dass Studenten der Pennsylvania State University und der Michigan State University in Gruppen durch die Strassen ziehen, um Clowns zu jagen.
Bild: Symbolbild: KEYSTONE
In Tansania fangen heute vor 60 Jahren drei Schülerinnen an zu lachen. Und hören nicht mehr auf. Das Phänomen greift um sich, Schulen schliessen. Der Grund für die Lachepidemie: Massenhysterie.
Von Philipp Dahm
30.01.2022, 13:37
30.01.2022, 13:55
Philipp Dahm
Wenn drei Mädchen in einer Schule blödeln und lachen, ist das keine Zeile wert. Doch am 30. Januar 1962 geschieht in einer Schule in Tanganyika etwas Ungeheuerliches. So heisst Tansania zwischen 1961 und 1964 nach seiner Unabhängigkeit.
Die Mädchen eines christlichen Internats stecken ihre Mitschüler*innen an: Bald leiden 95 von 159 Schüler*innen unter den unkontrollierbaren Lachanfällen. Die Kinder tragen die Symptome weiter, als ihre Eltern sie abholen und in ihre Dörfer bringen.
Das Phänomen breitet sich aus: Bis zu 1000 Personen sollen betroffen sein. Die Zustände sind alles andere als lustig – und von anderen emotionalen Äusserungen begleitet: weinen, schreien oder auch der Anwendung von Gewalt. Die Leute haben Atemprobleme. Manchmal aber auch extreme Blähungen.
Die Betroffenen leiden, während sie lachen.
Nach dem christlichen Internat müssen weitere Schulen wegen der Lachepidemie schliessen. Dabei lachen die Betroffenen natürlich nicht durch: Die wiederkehrenden Schübe dauern Stunden oder Tage. Es dauert Monate, bis das Phänomen langsam «einschläft» und verschwindet.
Berichte über Todesopfer oder eine längere Dauer der Epidemie dürften allerdings übertrieben sein.
Natürlich machen sie jede Menge Untersuchungen. Und sie finden: nichts. Keine Viren oder Bakterien, die erklären können, wie es so weit kommen konnte. Am Ende kommt die Psychologie mit einem Erklärungsversuch daher, der heute als beste Erklärung des Phänomens gilt: Es geht um das Phänomen der Massenhysterie.
Unbewusst traumatisiert
Hysterie, war da nicht was? Unter dieser «Diagnose« wurde in unaufgeklärten Zeiten alles das verbucht, was sich im Zusammenhang mit Körper und Psyche der Frau für Männer nicht erklären liess.
Die Massenhysterie ist dagegen eine kollektive Antwort von emotionalisierten Gruppen auf traumatische Ereignisse.
Tatsächlich sind solche Phänomene nicht unbekannt, wie die Bildergalerie zeigt: Von der Tanzepidemie 1518 in Strassburg über miauende Nonnen 1844 in Frankreich bis hin zur «Grossen Clown-Panik» 2016 in den USA und Kanada hat es ähnliche Fälle gegeben.
Bleibt die Frage: Was für ein Ereignis ist so traumatisierend, dass es solche Folgen hat, die notabene nicht auf der bewussten Ebene ablaufen und daher nicht kontrolliert werden können?
Diese Erklärungen sind nicht immer einfach, wie der Fall aus Tansania zeigt. Es gibt verschiedene Ansätze für die Tanganjika-Lachepidemie. Die einen sagen, es sei die ungewisse Zukunft gewesen, die im Land einen Monat nach seiner Unabhängigkeitserklärung von Grossbritannien geherrscht hat.
«Spasmen der Seele»
Die anderen sehen den Grund im Internat: Die Schüler*innen könnten einen Kulturschock erlitten haben, nachdem sie aus ihren Dörfern kommend auf das Wertesystem strenger Nonnen gestossen sind. Kritiker der Massenhysterie-These halten entgegen, dass Ausbreitung und Dauer der Lach-Plage nicht zu einem psychologischen Phänomen passen.
Im Allgemeinen ist die Theorie der Massenhysterie aber anerkannt: In einer Publikation von 2014 nennt Forscher Latif Nasser diese nun 60 Jahre alten Vorfälle anschaulich «Spasmen der Seele».
Was man dagegen tun kann? Die miauenden Nonnen konnten Waffen überzeugen – und im Fall der Tanzepidemien waren es kirchliche Rituale. Weil die Menschen an ihre Wirkung geglaubt haben.
Oder Schulschliessungen und Schwamm drüber wie in Tansania – so mag die Sache wieder unter Kontrolle gebracht werden.
Doch dass das Phänomen irgendwann irgendwo wiederkommt, dürfte auch klar sein.