Studie kritisiert europäische Modelle Weltweit verschiedene Geburtskanäle bergen Gefahren für das Kind

tsch

26.10.2018

Frauen besitzen weltweit unterschiedliche Geburtskanäle. Da Geburtshelfer meist am europäischen Modell geschult werden, kann das für Babys bei der Geburt zur Gefahr werden.
Frauen besitzen weltweit unterschiedliche Geburtskanäle. Da Geburtshelfer meist am europäischen Modell geschult werden, kann das für Babys bei der Geburt zur Gefahr werden.
Archiv 

Der Geburtskanal einer Frau variiert erheblich in Form und Grösse – abhängig von ihrer Herkunft. Dennoch würden auch in Asien, Afrika und Amerika Geburten nach europäischem Massstab durchgeführt, kritisiert eine Studie.

Frauen besitzen weltweit überaus unterschiedliche Geburtskanäle. Je nachdem aus welchem Teil der Welt sie stammen, variieren die Ausmasse in Tiefe, Länge und Breite enorm, wie eine aktuelle Studie nun herausfand. Weil dennoch die meisten medizinischen Lehrbücher auf europäischen Körpertypen basieren, könne dies laut Warnung der Forscher zu gesundheitlichen Risiken führen.

Unterschiede in den Massen des Geburtskanals beeinflussen den Weg des Neugeborenen in die Welt, schreiben die Wissenschaftler in der Zeitschrift «Proceedings of the Royal Society of London B.» Geburten anhand eines gewissen Standards einzuleiten, könne demzufolge dem Kind schaden.

Europäische Modelle bergen Gefahren

«Die Ausbildung eines Geburtshelfers basiert auf dem Modell eines Beckens, das anhand europäischer Frauen entwickelt wurde», so Forschungsleiterin Lia Betti, die an der University of Roehampton in London Evolutionäre Anthropologie lehrt. Jedoch könnten sich «die typischen Beckenformen und Geburts-Modelle verschiedener Populationen unterscheiden»

Laut Betti sei «eine Aktualisierung notwendig, insbesondere mit Blick auf multiethnische Gesellschaften». Demnach hätten beispielsweise Frauen aus dem Sub-Saharischen Afrika einen tieferen Geburtskanal, während er bei Native Americans gemeinhin weiter wäre. Frauen aus Europa und Asien lägen dazwischen, so die Forscher.

Wichtig sei diese Unterscheidung, weil sich das Baby während der Geburt im Geburtskanal dreht und dabei Kopf und Schultern den Konturen des Kanals anpasst. «Unterscheidet sich der Geburtskanal einer Frau substanziell von dem in den Büchern beschriebenen Modell, weicht auch die Bewegung des Kindes von den Mustern ab», sagte Betti.

So schön ist der Körper von Frauen nach der Geburt

300'000 Frauen sterben jährlich bei der Geburt

Anfang des 20. Jahrhunderts hätten falsche Annahmen über die Form des Beckens zu «schrecklichen Konsequenzen» geführt, so die Wissenschaftlerin. Damals nutzte man Zangen, um das Baby während der Geburt zu drehen. Erst mit dem Röntgen von Schwangeren, bis in die 50er-Jahre üblich, hätten sich die anatomischen Unterschiede deutlicher herausgestellt.

Etwa 300'000 Frauen sterben jährlich weltweit durch Geburtskomplikationen. Ein grosses Problem sei der menschliche Kopf, wie Betti erklärte: «Aufgrund der Enge muss das Kind eine Reihe von Rotationen vollführen, um den Geburtskanal zu passieren».

Feststehende Erklärungen für die unterschiedlichen Formen des Beckens gibt es indes nicht. Die Autoren liefern drei mögliche Erklärungen: Erstens könne kaltes Klima dafür verantwortlich sein, dass Hüften breiter und zugleich der Anfang des Geburtskanals länger wurde, um Hitzeverlust zu verringern.

Manche Studien schlagen, zweitens, vor, dass im Laufe der Evolution jene Körpertypen verschwunden sein könnten, die für die Anforderungen für Geburten nicht gut geeignet waren.

40 Jahre künstliche Befruchtung

Verschiedene Wege, verschiedene Geburtskanäle

Die wahrscheinlichste Theorie jedoch hat laut Betti mit menschlicher Migration zu tun. Aus Afrika stammend, breitete sich der Homo sapiens vor 100'000 bis 60'000 Jahren recht schnell in neuen Kontinenten aus. Je weiter die Gruppen sich von Afrika entfernten, desto geringer sei die genetische Diversität gewesen, so die Forscher. 

Das bedeutet: Jene Merkmale, die sie am meisten teilten, dominierten lokal. So etwa blonde Haare und helle Haut in Skandinavien; und eben auch spezielle Formen und Grössen des Geburtskanals. So sei die Vielfalt der Geburtskanäle in Sub-Sahara-Afrika wesentlich ausgeprägter.

Für Forscherin Betti «ein klarer Beweis, dass die Variationen des Geburtskanals sich im Zuge der Populations-Geschichte entwickelt» hätten.

Bilder des Tages
Zurück zur Startseite