Ablehnung Homosexueller«Schwule sind häufiger betroffen als Lesben»
Von Sven Hauberg
7.11.2021
Heterosexuelle Normen belasten gleichgeschlechtliche Paare, so eine neue Studie. «Die Lage für Schwule und Lesben in der Schweiz wird besser, die Gleichberechtigung ist aber noch nicht erreicht», sagt die Psychologin Nathalie Meuwly von der Universität Freiburg.
Von Sven Hauberg
07.11.2021, 00:00
Von Sven Hauberg
Trotz Ehe für alle werden Homosexuelle in der Schweiz noch immer diskriminiert. Eine neue Studie zeigt, wie sich diese Stigmatisierung auf die Beziehungen von schwulen, lesbischen und bisexuellen Menschen auswirkt. blue News hat mit Studienleiterin Nathalie Meuwly von der Universität Freiburg gesprochen.
Die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer hat unlängst für die Ehe für alle gestimmt. Dennoch sagen Sie in Ihrer Studie, dass sich viele Schwule und Lesben hierzulande stigmatisiert fühlen. Warum ist das so?
Die strukturelle Stigmatisierung von Homosexuellen, also etwa durch Gesetze, wird zwar immer weiter abgebaut. Aber die Diskriminierung von Schwulen, Lesben und bisexuellen Personen in der Gesellschaft besteht weiterhin. Personen, die in gleichgeschlechtlichen Beziehungen leben, werden oft stigmatisiert, etwa durch nahe Bezugspersonen.
Zur Person
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Nathalie Meuwly forscht an der Universität Freiburg zur Rolle von Stress und individuellen Merkmalen für die partnerschaftliche Kommunikation sowie zu Themen rund um die Gesundheit von Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierung.
Wie beeinflusst der Blick, den die Gesellschaft auf Homosexualität hat, die Eigenwahrnehmung von Schwulen und Lesben?
Die Stigmatisierung, die von der Gesellschaft kommt, wird verinnerlicht. Das heisst: Wächst jemand in einem Umfeld auf, wo ihm oder ihr immer wieder gesagt wird, dass es okay ist, wen du liebst, dann ist das etwas anderes, als wenn einem gesagt wird, dass es falsch oder moralisch verwerflich ist, wenn eine Frau eine Frau liebt oder ein Mann einen Mann.
Was macht das mit den Betroffenen?
Trotz Ehe für alle gibt es noch immer Schwule und Lesben in der Schweiz, die mit sich selber hadern oder mit den negativen Reaktionen, die sie erhalten. Stigmatisierung geht quasi unter die Haut und bleibt dort oft sehr lange.
Ihre Studie belegt, dass sich diese Stigmatisierung auch auf schwule und lesbische Beziehungen auswirken kann. Welche Faktoren spielen da eine Rolle?
Die Menschen, die wir befragt haben, sind an sich sehr zufrieden mit ihren Beziehungen. Sie bekommen viel Unterstützung von ihrer Partnerin oder ihrem Partner und leben ihre Homosexualität sehr offen aus. Sind Menschen aber gestresst, dann ändert sich etwas. Stress kann zur Folge haben, dass Homosexuelle, die die heterosexuelle Norm stärker verinnerlicht haben, die Unterstützung durch ihren Partner oder ihre Partnerin kritischer wahrnehmen.
Wie äussert sich das?
Solche Phänomene sind in der Stressforschung nicht unbekannt: Menschen tendieren unter Stress dazu, Dinge negativer zu sehen. Auch andere eher negative Persönlichkeitsaspekte sind unter Stress schwieriger zu kontrollieren. Viele kennen vielleicht von sich, dass sie in Stressphasen egoistischer sind, als sie dies sonst von sich kennen. Wie genau dieser Mechanismus unter Stress für verinnerlichten Heterosexismus abläuft, muss jedoch in weiterer Forschung geklärt werden.
In unserer Studie haben wir keine Geschlechterunterschiede untersucht. Die Forschung zeigt jedoch, dass Schwule stärker betroffen sind als Lesben. Weil männliche Homosexualität noch immer stärker abgelehnt wird als weibliche. Unterstützung durch das soziale Umfeld ist wichtig. Wenn von der eigenen Familie negative Reaktionen kommen, sind Freunde wichtig. Ausserdem sind gute Kompetenzen, mit Stress umzugehen, entscheidend. Auf gesellschaftlicher Ebene müssen gleichgeschlechtliche Beziehungen sichtbarer werden.
Was folgern Sie aus Ihrer Studie?
Unterstützung und Zufriedenheit sind auch für gleichgeschlechtliche Paare zentrale Aspekte der Beziehung. Die Lage für Schwule und Lesben in der Schweiz wird besser, die Gleichberechtigung ist aber noch nicht erreicht, und dies kann sich auf die Partnerschaft auswirken. Mit der Ehe für alle ist ein wichtiger Schritt gemacht, aber wir sind noch nicht am Ziel.