Wissen Sie wirklich, wer in ihrem Garten wohnt? Forscher aus München finden bei einem gross angelegten DNA-Projekt immer wieder neue Arten.
Jerome Moriniere (links), Projektkoordinator, und Stefan Schmidt, Insektenforscher an der Zoologischen Staatssammlung München, analysieren einen DNA-Barcode.
«Im Grunde braucht man nur im Garten keschern und hat schon was Neues drin.» – Stefan Schmidt (links) und Jerome Moriniere haben unter anderem 130 neue Gallmücken-Aerten per DNA-Barcoding analysiert.
Stefan Schmidt, Insektenforscher an der Zoologischen Staatssammlung München, hat bereits etliche unbekannte Insektenarten gefunden.
In Insektenfallen finden Forscher immer wieder bislang unbekannte Arten.
Um alle neu entdeckten Arten zu klassifizieren, fehlt es an qualifizierten Experten.
Unbekannte Arten vor der Haustür
Wissen Sie wirklich, wer in ihrem Garten wohnt? Forscher aus München finden bei einem gross angelegten DNA-Projekt immer wieder neue Arten.
Jerome Moriniere (links), Projektkoordinator, und Stefan Schmidt, Insektenforscher an der Zoologischen Staatssammlung München, analysieren einen DNA-Barcode.
«Im Grunde braucht man nur im Garten keschern und hat schon was Neues drin.» – Stefan Schmidt (links) und Jerome Moriniere haben unter anderem 130 neue Gallmücken-Aerten per DNA-Barcoding analysiert.
Stefan Schmidt, Insektenforscher an der Zoologischen Staatssammlung München, hat bereits etliche unbekannte Insektenarten gefunden.
In Insektenfallen finden Forscher immer wieder bislang unbekannte Arten.
Um alle neu entdeckten Arten zu klassifizieren, fehlt es an qualifizierten Experten.
Was kreucht und fleucht vor der eigenen Haustür? Die Zahl unbekannter Arten ist im eigenen Garten grösser als gedacht. Biologen haben damit ein besonderes Problem.
Eigentlich könnten sich die Biologen Jérôme Morinière und Stefan Schmidt freuen. Sie haben in den vergangenen Jahren wahrscheinlich Tausende neue Tierarten entdeckt, vor allem Insekten.
Nur weiss das leider niemand so genau, weil es an Experten für die Einordnung anhand besonderer Körpermerkmale mangelt. «Es fehlt an Leuten, die die Funde bestimmen können», sagt Morinière.
Er und Schmidt arbeiten an der Zoologischen Staatssammlung München mit dem sogenannten DNA-Barcoding. Dabei wird ein Gen aus den Mitochondrien, den «Kraftwerken der Zellen», sequenziert – das heisst: die Reihenfolge der vier Basen, aus denen die DNA besteht, wird entschlüsselt. Damit das am Computer übersichtlicher aussieht, werden die Basen mit verschiedenen Farben angezeigt. Das sieht dann ähnlich aus wie ein Strichcode auf Etiketten – daher der Name der Methode.
Forscher entdecken immer wieder neue Gen-Sequenzen
Das Material dafür bekommen die Forscher unter anderem aus Fallen im Wald. Von den rund 50'000 in Deutschland bekannten Tierarten hätten sie bisher etwa die Hälfte in die weltweite Datenbank des DNA-Barcoding-Projekts gespeist – und zählen damit zu den weltweit grössten Probenlieferanten. Ziel sei es, dass in den nächsten 25 Jahren alle Arten auf der Welt erfasst sind.
Immer wieder finden die Forscher dabei auch Gen-Sequenzen, die zu keiner bekannten Art passen. So seien in Deutschland etwa 800 Gallmücken-Arten beschrieben. «Wir haben aber 930 genetisch nachgewiesen», erzählt Morinière. «Wer hätte gedacht, dass es hier vor der Haustür Tausende neue Arten gibt!», sagt er. «Im Grunde braucht man nur im Garten keschern und hat schon was Neues drin.»
Weltweit seien bisher knapp zwei Millionen Tier- und Pflanzenarten beschrieben, so Birte Strobel von der Zoologischen Gesellschaft für Arten- und Populationsschutz. «Und es wird angenommen, dass noch einmal so viele noch nicht beschrieben sind, geschweige denn, dass ihre Bedeutung für das Ökosystem bekannt ist.» Andere Schätzungen gehen von bis zu zehn Millionen existierenden Arten weltweit aus.
Arten ohne Namen
Sind die Berichte über das Insektensterben also eine Mär? «Die Biomasse ist weniger geworden, das ist Fakt», sagt Morinière. «Aber da wir nicht wissen, was da mit ausstirbt, kennen wir auch den Schaden nicht.»
Die Referenz-Sequenzen der bereits erfassten Tierarten liessen die Analyse von Massenproben mit Tausenden Individuen zu, erklärt er. Somit könne man rasch, billig und effizient umfassende Artenlisten erstellen. Die Technik des Metabarcodings kann in den nächsten Jahren dafür genutzt werden, bei einem Biodiversitätsmonitoring den Gründen des Insektensterbens auf die Schliche zu kommen.
Auch Lebensweise und ökologische Funktion der Arten ohne Namen, «Dark Taxa» genannt, liessen sich mit DNA-Barcoding ermitteln, so Schmidt. Auf eine pflanzenfressende Art kämen im Schnitt fünf sogenannte parasitoide Arten, die den Wirt töten könnten und somit eine regulatorische Funktion hätten. Das sind oft winzig kleine Insekten wie Schlupfwespen, die der Mensch mit blossem Auge kaum sehen kann.
«Wespen und Fliegen haben keine Lobby»
Doch um sie zu bestimmen, braucht es Fachleute, die sich mit Taxonomie – der Einordnung verwandtschaftlicher Beziehungen von Lebewesen in Hierarchien – auskennen. Und hier hapert es: Von den mehr als 30'000 in Deutschland bekannten Insektenarten seien ein Drittel Käfer und Schmetterlinge, sagt Morinière. «Damit befassen sich aber 90 Prozent der Taxonomen.» Auch für Libellen gebe es vergleichsweise viele Experten: «Für die kleinsten Gruppen gibt es die grössten Fans.»
Unscheinbarere Arten kommen da schlechter weg. «Wespen und Fliegen haben nicht so eine Lobby wie Käfer und Schmetterlinge.» Zur Bestimmung mancher Funde seien schon Spezialisten aus Russland nach München geholt worden.
Dabei könnte es mit der neuen Methode viel schneller gehen. Das DNA-Barcoding sei ein riesiger Sprung, sagt Schmidt. «Man braucht sich nicht mehr mit dem Bestimmungsschlüssel abzuquälen.» Experten der morphologischen Bestimmung könnten sich von Routinen befreien, müssten nicht mehr jedes Tier unter die Lupe nehmen, sondern könnten sich gleich auf die Unbekannten konzentrieren.
Forscher schlagen Alarm – 60 Prozent aller Wirbeltiere seit 1970 ausgerottet
Forscher schlagen Alarm – 60 Prozent aller Wirbeltiere seit 1970 ausgerottet
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