Fragen und Antworten zu Omikron«Macht alles. Macht es konsequent. Macht es gut»
Von Gisela Gross, dpa
17.12.2021 - 06:01
Die Welle der Neuinfektionen hat womöglich den Höhepunkt überschritten, bewegt sich aber immer noch auf sehr hohem Niveau. Nun kommt noch die Omikron-Variante dazu. Frage und Antworten.
DPA, Von Gisela Gross, dpa
17.12.2021, 06:01
17.12.2021, 09:18
dpa/sob
Mit Omikron breitet sich eine Corona-Variante international aus, vor der selbst Geimpfte und Genesene keinen optimalen Schutz haben.
Der für das Virus empfängliche Teil der Bevölkerung dürfte sich damit im Vergleich zur Lage mit der Delta-Variante erheblich vergrössern, schätzen Experten. Da Omikron relativ neu ist, lassen sich viele Eigenschaften aber noch nicht mit Sicherheit beschreiben. «Es sind noch mehr Fragen über Omikron offen als beantwortet», sagte die Infektiologin Jana Schroeder von der Stiftung Mathias-Spital in Rheine. Im Prinzip täglich erscheinen neue Erkenntnisse – meist noch nicht von externen Fachleuten überprüft. Dazu Fragen und Antworten:
Was macht Omikron so besonders?
Die Variante hat auffällig viele Erbgutveränderungen an Schlüsselstellen. Mehr als 30 Mutationen betreffen das sogenannte Spike-Protein, mit dem das Virus menschliche Zellen entert. Das Problem: Die bisherigen Impfstoffe sind auf das Spike-Protein des Coronavirus vom Pandemiebeginn ausgerichtet. Verändert sich ein Virus so, dass Antikörper von Genesenen und Geimpften weniger gut ansprechen, nennen Fachleute dies Immunflucht. Daneben gebe es Hinweise unter anderem aus genetischen Analysen, dass Omikron per se ansteckender sei als Delta, sagte Modellierer Dirk Brockmann von der Humboldt-Universität Berlin. Allein die Immunflucht könne die Wachstumsraten nicht erklären.
Mit welchem Schutz können Geimpfte noch rechnen?
Der Schutz vor schwerer Erkrankung dürfte vielen Experten zufolge auch bei Omikron erhalten bleiben. «Daten, die das sicher belegen, fehlen aber noch», sagte Schroeder. Bisherige Labortests deuten darauf hin, dass mit der Variante Infektionen bei Geimpften drohen. Omikron dürfte eher die erste Abwehrlinie, die Antikörper, überwinden können. Das Immunsystem Geimpfter hat aber noch weitere Mittel, sich zur Wehr zu setzen.
Der Schutz vor einer Weitergabe des Virus durch Geimpfte dürfte bei Omikron erheblich beeinträchtigt sein, erwartet Schroeder. Insbesondere Menschen, die erst zweifach geimpft sind, dürften sich nicht in zu grosser Sicherheit wiegen und das Testen vernachlässigen. «Am besten wäre es, wenn sich die Menschen so vorsichtig verhalten würden wie zu Pandemiebeginn, als es noch keinen Impfstoff gab.»
Wie sehen die Ergebnisse zu Omikron konkret aus?
Die Hersteller Biontech/Pfizer werteten zwei Impfstoff-Dosen als nicht ausreichenden Schutz vor einer Infektion. Eine Bevölkerungsstudie aus Grossbritannien ergab, dass die Wirksamkeit gegen eine symptomatische Infektion mit Omikron 15 Wochen nach der zweiten Dosis Biontech auf 34 Prozent sinkt. Menschen, die mit zwei Dosen des Astrazeneca-Präparats geimpft worden waren, hatten keinen Schutz mehr vor symptomatischer Infektion. Zwei Wochen nach einer Booster-Impfung stieg die Effektivität bei beiden Präparaten auf über 70 Prozent.
Was bringt ein Booster?
Mit der Auffrischimpfung können Antikörperspiegel zum Schutz vor Ansteckung zwar wieder angehoben werden, er ist nach bisherigen Erkenntnissen aber nicht perfekt. Es sind bereits Omikron-Fälle bei dreifach Geimpften bekannt. Die Virologin Sandra Ciesek von der Uniklinik Frankfurt warnte daher, dass eine Konzentration auf die Booster-Kampagne nicht reichen werde, auch weil der Schutz wieder nachlasse. Eine an Omikron angepasste vierte Dosis könnte später womöglich nötig werden. Ob und wann ist noch unklar.
Wie sehr ist Omikron schon verbreitet?
«Omikron breitet sich mit einer Geschwindigkeit aus, die wir bei keiner vorherigen Variante gesehen haben», sagte der Chef der Weltgesundheitsorganisation Tedros Adhanom Ghebreyesus am Dienstag in Genf. Laut WHO haben 77 Länder Nachweise gemeldet. Vermutlich sei Omikron jedoch bereits in den meisten Ländern, nur noch unerkannt. Zum Beispiel in Südafrika und Grossbritannien werden deutliche Fallzahlenanstiege auf Omikron zurückgeführt.
Welche Entwicklung wird angenommen?
In Grossbritannien nahmen Experten eine Verdopplung der Fallzahl alle zwei bis drei Tage an, womöglich sogar noch schneller – und das trotz hoher Impfquoten. Nach Einschätzung der EU-Gesundheitsbehörde ECDC dürfte Omikron schon in den ersten beiden Monaten 2022 zur dominierenden Variante in Europa werden.
Beim geboosterten Teil der Bevölkerung ist die Übertragungswahrscheinlichkeit wohl verringert, allerdings nicht dauerhaft. Bei den übrigen Menschen könne der Erreger übertragen werden, auch «weil die erste und zweite Impfung praktisch nicht wirksam sind, was die Ausbreitungsdynamik angeht», sagte Brockmann.
Wie schwer verlaufen Omikron-Infektionen?
Das lässt sich noch nicht sicher beantworten. Es gibt erste Beobachtungen über relativ milde Verläufe in Südafrika. Aber Experten gehen eher nicht davon aus, dass es sich dabei um eine Eigenschaft des Virus handelt. Denn die Angaben stützen sich auf relativ geringe Fallzahlen bei eher jungen Betroffenen. Hinzu kommt, dass die meisten Menschen in Südafrika bereits als von Corona genesen gelten. Die WHO hielt kürzlich fest: «Wenn sich das klinische Profil der Patienten ändert, kann sich die Wirkung von Omikron ändern.»
Für eine relativ alte Gesellschaft mit vielen Ungeimpften wie in der Schweiz kann das Bild somit anders ausfallen als in Südafrika. Britische Experten betonten zudem, dass viele Infektionen erst vor recht kurzer Zeit geschahen, aber es brauche ja einige Zeit bis zur Krankenhauseinweisung oder dem Tod. Selbst falls Omikron weniger schwer krank machen sollte, so könnte doch die schiere Zahl der Fälle unvorbereitete Gesundheitssysteme überfordern, mahnte die WHO.
Wie steht es um Kinder, wenn sie sich mit Omikron infizieren?
Auch hierzu kann man noch nichts Gesichertes sagen, erste Berichte über schwere Verläufe bei kleinen Kindern sind deutschen Fachleuten zufolge noch als vorläufig zu betrachten. Auch bei früheren Varianten habe es anfangs ähnliche Berichte gegeben, die sich dann nicht bewahrheiteten. Der Virologe Christian Drosten sagte kürzlich, er erwarte nicht, dass Omikron harmlos sei für Menschen, deren Immunsystem weder durch Impfung noch durch Infektion auf Sars-CoV-2 vorbereitet ist.
Wie ist die Situation in Südafrika, wo Omikron entdeckt wurde?
Die vierte Infektionswelle hat Südafrika im Griff. Die Regierung hat nun Booster-Impfungen erlaubt. Epizentrum des Infektionsgeschehens ist die Gauteng-Provinz – der Grossraum um die Millionenmetropole Johannesburg sowie die Hauptstadt Pretoria. Mit den Sommerferien, die viele Bewohner der ökonomisch und politisch wichtigsten Region nun an den Stränden des Landes verbringen, steigen dort die Fallzahlen auch deutlich. Betroffen sind vor allem die Provinz KwaZulu-Natal um die Hafenstadt Durban sowie das Westkap um Kapstadt.
Was raten Experten gegen Omikron?
Die Welle flachhalten: Das ist das Motto, das viele Wissenschaftler und die WHO ausgeben. Auf die Kombination von Massnahmen komme es an: «Do it all. Do it consistently. Do it well (Macht alles. Macht es konsequent. Macht es gut)», sagte WHO-Chef Ghebreyesus. Das Impfen allein werde kein Land aus dieser Krise bringen. Es brauche zusätzlich etwa Masken, Abstand, Lüften, Handhygiene.