Nach ProtestenMit Maultieren und Mörtel gegen den Verfall der Chinesischen Mauer
Von Leo Ramirez/AFP
28.8.2019
Die Chinesische Mauer bröckelt, doch von Zement will China nichts (mehr) wissen: Das riesige Bauwerk soll mit traditionellen Mitteln authentisch erhalten werden.
Die natürliche Verwitterung und Millionen Besucher haben ihren Tribut gefordert: Die Chinesische Mauer, eines der sieben Weltwunder und Wahrzeichen des Riesenreiches, verfällt über weite Strecken. Ihre Restaurierung ist eine gigantische Aufgabe, die nun noch aufwändiger geworden ist. Seit Jahresbeginn nämlich soll dies nach dem Willen der chinesischen Behörden mit traditionellen Methoden erfolgen – mit Maultieren, Originalsteinen und Mörtel. Auslöser war die öffentliche Empörung in Online-Netzwerken, als 2016 ein 700 Jahre alter Abschnitt der Mauer kurzerhand zementiert worden war.
Li Jingdong ist einer der Arbeiter, die heute den Jiankou-Abschnitt restaurieren. «Das sind alles Backsteine, die von der Originalmauer abgefallen sind», erklärt er. «Diese Steine werden verwendet, um die Stellen zu reparieren.» Um ihn herum hieven Arbeiter mit einem elektrischen Seilzug einen grossen Gesteinsbrocken zurück an seinen Platz. Beladen mit Wasser und Mörtel, mit dem die Steine festgemauert werden, queren Maultiere den steilen Berghang.
Anstrengende Arbeit
Es ist körperlich anstrengende Arbeit – der Einbau eines Mauersteins kann rund 45 Minuten dauern, die mit umgerechnet 20 Franken pro Tag dürftig bezahlt wird. Cheng Yongmao ist Ingenieur und leitet die Restaurierung in Jiankou seit 15 Jahren. Der jüngste Restaurierungsplan der Mauer soll nach seinen Worten «den Menschen das Gefühl geben, dass sie nicht repariert wurde».
Der Bau der Chinesischen Mauer begann im dritten Jahrhundert vor Christus und dauerte mehrere Jahrhunderte. Fast 6'300 Kilometer, darunter der Jiankou-Abschnitt, wurden in der Ming-Dynastie (1368-1644) erbaut. Die gigantische Grenzbefestigung erstreckt sich in verschiedenen Abschnitten über tausende von Kilometern von der Ostküste Chinas bis zum Rand der Wüste Gobi.
Touristenmagnet in Gefahr
Heute zieht die Mauer jährlich rund zehn Millionen Touristen an – doch der Besucherstrom trug dazu bei, dass viele Teile des enormen Bauwerks zerfallen. An manchen Stellen sind nur noch Reste vorhanden, so dass Schätzungen ihrer Gesamtlänge zwischen 9'000 und 21'000 Kilometer variieren, je nachdem, ob fehlende Abschnitte eingerechnet werden.
Song Xinchao von der Kulturerbe-Verwaltung betont, manche hätten «stereotype Ideen», die gesamte Mauer so herzurichten wie den Badaling-Abschnitt bei Peking – ein Touristenmagnet, zu dem auch Seilbahnen gehören. Dort beschlossen die Behörden, die Zahl der Besucher ab 1. Juni auf 65'000 täglich zu beschränken. «Sie verwechseln die Wiederherstellung der Mauer mit der Entwicklung einer Touristenattraktion», sagte Song im Januar der staatlichen Zeitung «China Daily».
Bauarbeiter sind skeptisch
In der Provinz Liaoning im Nordosten wurde 2016 ein Teilstück mit einer dicken Zementschicht befestigt, was den 1381 gebauten, unebenen Damm in einen trottoirähnlichen Weg verwandelte. Bilder davon verbreiteten sich schnell im Internet und sorgten für einen Sturm der Entrüstung mit Kommentaren wie «herzzerreissend» und «arme Chinesische Mauer». Darauf reagierte das Ministerium für Kultur und Tourismus mit dem neuen Konzept – mit minimalen Eingriffen zur Erhaltung der Mauer.
Manche Arbeiter sind skeptisch: «In der Vergangenheit haben wir den ganzen Boden repariert. Jetzt geht es darum, weniger zu reparieren und mehr vom Ursprünglichen intakt zu lassen», sagt Li Jingdong. Er bezweifelt, dass die Reparaturen an der Chinesischen Mauer von Dauer sind: «Die Idee stimmt, doch ich persönlich denke, dass sie nach der Restaurierung noch immer ramponiert aussieht. Besonders am Hang wird sie kaum ein Jahr halten, bevor sie unter den Füssen der Touristen zerfällt.»
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