Neandertaler konnten fest zupacken, besondere Fingerfertigkeit trauten ihnen Fachleute bisher nicht zu. Nun zeigt eine neue Studie mit Schweizer Beteiligung, dass unsere ausgestorbenen Vorfahren ihre Hände sehr wohl für präzise Arbeiten einsetzten.
Man stellte sie sich ein bisschen plump vor: Neandertaler waren zwar stark, aber nicht besonders fingerfertig, so die verbreitete Meinung. Nur dem modernen Menschen traute man präzise Handgriffe beim Gebrauch von Werkzeugen zu.
Dem widerspricht eine Studie im Fachblatt "Science Advances": Anhand von anatomischen Spuren konnte das Team um Katerina Harvati von der Universität Tübingen und Gerhard Hotz vom Naturhistorischen Museum Basel nachweisen, dass die Frühmenschen ihre Hände sogar hauptsächlich für präzise Tätigkeiten einsetzten.
Die Wissenschaftler vermassen und analysierten sogenannte Muskelansatzmarken, also Spuren an Neandertaler-Handknochen, wo die Muskeln und Sehnen mit dem Knochen verbunden sind. Diese verglichen sie mit den entsprechenden Spuren an Skeletten, die zu einer Sammlung des Naturhistorischen Museums Basel gehören: der Skelettserie vom Basler Spitalfriedhof.
"Diese einmalige Sammlung aus dem 19. Jahrhundert bietet uns identifizierte Skelette mit Informationen zu den Lebensumständen und Berufen der Verstorbenen", erklärte Hotz gemäss einer Mitteilung des Museums vom Mittwoch.
Abgleich mit verschiedenen Berufen
Der Vergleich zwischen Neandertalerknochen und jenen aus dem 19. Jahrhundert erlaubte den Wissenschaftlern herauszufinden, ob die Frühmenschen im Alltag hauptsächlich Kraftgriffe oder Präzisionsgriffe ausführten - also ob die Muskelansatzmarken an den Neandertalerhänden eher den Spuren an den Handknochen beispielsweise eines Schmieds oder eher jenen einer Näherin entsprachen.
Beim Kraftgriff kommt die ganze Handinnenfläche einschliesslicher aller Finger zum Einsatz, beim Präzisionsgriff hauptsächlich die Fingerkuppen von Daumen und Zeigefinger. Das Ergebnis: Keiner der Handknochen der sechs untersuchten Neandertalerskelette zeigte Spuren, die auf den hauptsächlichen Einsatz von Kraftgriffen schliessen lassen, schrieb das Museum.
Das Bild vom kräftigen, aber grobmotorischen Neandertaler stimme also nicht: "Wie moderne Menschen waren Neandertaler kompetente Werkzeugmacher und -nutzer, die bei ihren täglichen Aktivitäten überwiegend präzise Hand- und Fingerbewegungen vollführten", fasste Harvati die Resultate zusammen.
Hinweise auf die feinmotorischen Fähigkeiten der Frühmenschen hatten bereits Artefakte geliefert: Neandertaler nutzten beispielsweise Knochenwerkzeuge, die mit präzisen Handgriffen verwendet werden mussten. Ob diese ihren Alltag prägten oder nur vereinzelt eingesetzt wurden, war jedoch bisher nicht klar. Neandertaler lebten von vor rund 400'000 bis 40'000 Jahren, parallel zum modernen Menschen (Homo sapiens).
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