Bau-Wunder Panama und der Kanal von Amerikas Gnaden

Von Philipp Dahm

31.1.2021

Vor 140 Jahren wurde mit den Arbeiten am Panamakanal begonnen. Der Bau, der Staaten erschütterte und Tausende Tote forderte, gilt als eines der modernen Weltwunder – und bescherte Panama jedes Jahr Milliarden.

Schon die Spanier haben gehofft, einen Durchgang zwischen Atlantik und Pazifik am Isthmus von Panama zu finden. Doch als sie im 16. Jahhundert feststellen, dass es keinen Seeweg gibt, verbietet Philipp II. unter Androhung der Todesstrafe, einen Kanal zu planen – weil es der göttlichen Ordnung zuwiderlaufe, glaubte der König.

Erst im 19. Jahrhundert wird die Idee wieder aufgegriffen: Die Eröffnung des Suezkanals im Jahr 1869 beflügelt die Ingenieure. Einer, der an der Fertigstellung des ägyptischen Wasserwegs beteiligt war, ist Ferdinand de Lesseps: Der Franzose scheint prädestiniert, auch dem geplanten Kanal in Amerika zum Durchbruch zu verhelfen.

Die weltälteste Vereinigung von Geografen erteilt dem fast 74 Jahre alten Lesseps den Auftrag im Mai 1879: Ein Jahr später veranschlagt der Entrepreneur eine Bauzeit von acht Jahren und je nach Quelle Kosten von 658 Millionen bis 843 Millionen Franc. Das Vorhaben soll der Ruin Lesseps und Tausender Anleger werden, die für 458 Millionen Franc Anteile an der Panamakanal-Gesellschaft kaufen.

Ursprünglich Diplomat, dann Entrepreneur – und am Ende verarmt: Ferdinand de Lesseps auf einem undatierten Gemälde.
Ursprünglich Diplomat, dann Entrepreneur – und am Ende verarmt: Ferdinand de Lesseps auf einem undatierten Gemälde.
Bild: Gemeinfrei

Denn schnell nach dem Baubeginn am 1. Februar 1881 stellt sich heraus, dass sich Panama schwerlich mit Ägypten vergleichen lässt: Der Sueskanal führt durch eine flache Wüste, während in Mittelamerika völlig andere Bedingungen vorherrschen. Es gibt viel mehr Höhen und Tiefen, einen reissenden Fluss und undurchdringlichen Dschungel, die den Arbeitern das Leben erschweren.

Tödliche Baustelle

Erdrutsche, ein Erdbeben und diverse Krankheiten fordern ihren Tribut: 1889 sind erst zwei Fünftel des Kanals vollendet, doch das Geld ist aufgebraucht. Rund 22'000 Todesopfer hat der Bau gefordert: 5000 davon sind Europäer, obwohl 90 Prozent der Arbeiter von Schwarzen aus der Karibik gestellt wurden. 

Arbeiten am Panamakanal unter französischer Bauherrschaft: Das Bild ist zwischen 1881 und 1889 entstanden.
Arbeiten am Panamakanal unter französischer Bauherrschaft: Das Bild ist zwischen 1881 und 1889 entstanden.
Bild: Gemeinfrei

Die Panamakanal-Firma muss 1889 Konkurs anmelden. Eine Lotterie soll das Loch in der Kasse füllen: Journalisten werden bestochen, um den Bau schönzureden, während Zahlungen an Politiker sicherstellen, dass die Genehmigung für den Losverkauf erteilt wird.

Der Skandal führt zwischen 1892 und 1893 zu drei Regierungsrücktritten in Frankreich – und heizt wegen der Beteiligung jüdischer Finanziers den Antisemitismus an. Lesseps wird als einer der wenigen wegen Bestechung zu einer Busse und Haft verurteilt – auch wenn diese von einem Berufungsgericht aufgehoben werden. Er stirbt bald darauf im Jahr 1894.

Amerikanische Kanonenboot-Diplomatie

Dass Frankreich nach dieser Misere die Ambitionen in Panama verliert, kann nicht verwundern. Das Vorhaben findet ohnehin in einem Terrain statt, dass als Hinterhof einer ganz anderen Grossmacht gilt, die sowohl den begonnenen Bau beobachtet wie auch eine Alternativ-Route über Nicaragua prüft. Mit diesem Druckmittel wird der geforderte Preis für das Land und Gerätschaften von 109 Millionen Dollar auf 40 Millionen gedrückt: Die USA übernehmen das Mammutprojekt 1902.

Für Washington ist der Durchstich vom Atlantik in den Pazifik eine Frage von nationaler Bedeutung: Der Kanal würde Schiffsreisen von der Ost- an die Westküste der USA deutlich verkürzen und die Verteidigung des Landes von See her enorm vereinfachen. Präsident Theodore Roosevelt nimmt Verhandlungen mit Kolumbien auf, zu dem die Provinz Panama gehört. Der ausgehandelte Pachtvertrag fällt aber 1903 im Parlament in Bogota durch.

Roosevelt improvisiert und signalisiert Nationalisten in Panama, die USA würden sie unterstützen, falls die sich unabhängig erklären. Die Loslösung von Kolumbien wird am 3. November 1903 verkündet, die Anerkennung folgt drei Tage später und am 18. November wird ein Abkommen zwischen der jungen Nation und den USA geschlossen. Panama bekommt eine Staatsgarantie, einmalig zehn Millionen Dollar (heute rund 296 Millionen Dollar) und jährlich 250'000 Dollar Miete.

Zeitgenössicher Cartoon in der «New York Times» 1903.
Zeitgenössicher Cartoon in der «New York Times» 1903.
Bild:  Gemeinfrei

Eisenbahner schafft Basis für Bau-Erfolg

Im Gegenzug tritt der neue Staat jedoch seine Souveränität nicht nur über den Kanal, sondern auch das Land acht Kilometer zu jeder Seite ab. Und die Amerikaner räumen in der Kanalzone auf: Der erste Ingenieur wirft zwar schnell hin, doch sein Nachfolger legt den Grundstein für den erfolgreichen Bau. John Frank Stevens übernimmt 1905, der sich mit dem Bau von Eisenbahnen in den Rocky Mountains einen Ruf erarbeitet hat.

Stevens überarbeitet die komplette Infrastruktur, lässt ordentliche Baracken, Strassen und Schienenwege bauen. Patente Erfindungen erleichtern den Aushub: Ein neuer Arbeitswagen verlegt komplette Schienen und eine neue Vorrichtung lässt die mit Erde beladenen Waggons automatisch ihre Last abkippen – die Arbeit in Panama wird so weit automatisiert wie möglich.

Stevens ist es auch, der Theodore Roosevelt ausreden kann, einen Kanal auf Meereshöhe zu bauen. Ohne Schleusen ist das Projekt nicht machbar, hat der Ingenieur erkannt. Wie bedeutend der Bau ist, zeigt sich an dem dreitägigen Besuch von Roosevelts 1906: Es ist die erste Auslandsreise eines amtierenden Präsidenten überhaupt. 

US-Präsident Theodore Roosevelt sitzt in einem im November 1906 hochmodernen Bagger an der Panamakanal-Baustelle.
US-Präsident Theodore Roosevelt sitzt in einem im November 1906 hochmodernen Bagger an der Panamakanal-Baustelle.
KEYSTONE

US Army übernimmt

Doch auch Stevens wächst das Mammutprojekt über den Kopf, und nach seiner Kündigung wird einer geholt, der nicht kündigen kann: Army-Ingenieur George Washington Goethals und sein Team werden den Kanal vollenden, der im Januar 1914 erstmals durchfahren werden kann. Der 82 Kilometer lange Wasserweg verkürzt die Reise von New York nach Kalifornien um rund 13'000 Kilometer. 

Mit dem Panamakanal erschaffen die USA eines der Sieben Wunder der industrialisierten Welt. Warum gelingt ihnen, woran Frankreich scheitert? Es ist der Fortschritt, der erst um die Jahrhundertwende die Voraussetzung für so ein kolossales Unternehmen bereitet.

Lesseps musste erst eine Schneise durch einen dichten Dschungel schneiden, der die Franzosen ebenso herausforderte wie das mal brennend heisse und mal konstant regnerische Klima. Anfangs grassieren Krankheiten wie Typhus, Gelbfieber und Malaria auf der Baustelle.

Der Fortschritt macht's möglich

Die Ärzte meinen, Verwesungsdämpfe würden Malaria auslösen. Um giftige Spinnen, Schlangen und Insekten abzuwehren, stellen sie die Pfosten der Betten in Wasserschalen: Die Mücken, die die tödliche Erreger weitergeben, züchten sie so direkt unter den schlafenden Arbeitern heran. Von 24 Ordensschwestern, die ab 1881 die Kranken vor Ort betreuen, überleben zwei.

1905 ist die Wissenschaft weiter. Sanitäre Einrichtungen und Hygiene spielen eine neue Rolle auf der Baustelle. So wird erst möglich, dass im Zusammenspiel mit technischen Innovationen ein Bauwerk entsteht, dessen Ausmasse auch heute noch erstaunen: Es hat die USA bis 1914 noch einmal 375 Millionen Dollar gekostet, was heute inflationsbereinigt 9,76 Milliarden Dollar entspricht.

Das moderne Bauwunder, dass die Franzosen beginnen und die Amerikaner beenden, liegt heute wieder in Panama: Die USA geben die Souveränität 1999 an das Land zurück, dem der Wasserweg heute Jahr für Jahr einen Milliardenbetrag beschert.

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