Jahrhundertbauwerk Tollkühne Studie – die Nordsee wird eingedeicht

phi

23.2.2020

Fantastisch tönender Vorschlag – Nord- und Ostsee mit abriegelnden Deichen.
Fantastisch tönender Vorschlag – Nord- und Ostsee mit abriegelnden Deichen.
Garfik: Groeskamp

Wenn der Meeresspiegel steigt, sollten die 15 EU-Anrainer an Nord- und Ostsee ihre Kräfte beim Hochwasserschutz bündeln, schlägt eine Studie vor – mit Hunderten Kilometer langen Dämmen in der Nordsee.

Dass der Meeresspiegel steigen wird, steht fest – fraglich ist nur noch, um wie viele Meter das Wasser in die Höhe treibt. Sollte der Pegel abheben, hat Europas Landmasse kaum Spielraum: Die Hälfte der deutschen Küstenzone, die zehn Kilometer ins Landesinnere reicht, liegt unterhalb von fünf Meter über Normalnull.

In den Niederlanden und Belgien trifft das sogar auf 85 Prozent der Küstenzone zu, in Dänemark auf 30 und in Polen noch auf 22 Prozent. Die 15 europäischen Meeresanrainer sind zum Handeln gezwungen: Ob das Meer nun um ein, drei oder sechs Meter steigt – der Hochwasserschutz wird eine stärkere Rolle spielen müssen. Damit verbunden: saftige Kosten für den aufwendigen Deichausbau.

Doch wenn es nach einem niederländischen und einem deutschen Forscher geht, sollten die Europäer nicht jeder ihr eigenes Süppchen kochen, sondern gross denken – und handeln. Sie schlagen vor, die Nordsee selbst mit riesigen Dämmen abzuschliessen, um die Wassermenge dort und in der Ostsee gesamthaft zu regulieren.

Drei Dämme statt 15 Einzellösungen

Wie das konkret aussehen könnte, zeigt ihre im «Bulletin of the American Meteorological Society» veröffentlichte Studie auch auf: Die Nordsee müsste einerseits im Süden zwischen der Bretagne und Cornwall auf 161 Kilometer Länge verschlossen werden. Auf der anderen Seite ist eine Barriere zwischen Schottland und Norwegen denkbar, die in einen 145 Kilometer langen Damm von der Südspitze der britischen Insel bis zur Insel Lerwick und einen 331 Kilometer langen Damm zur norwegischen Küste unterteilt wird.

Der südliche Damm müsste zwischen Cornwall und der Bretagne im Ärmelkanal gebaut werden.
Der südliche Damm müsste zwischen Cornwall und der Bretagne im Ärmelkanal gebaut werden.
Bild: Google Maps

Das mögliche Jahrhundertbauwerk haben seine Erdenker, der isländische Ozeanograph Sjoerd Groeskamp und der schwedische Klimaexperte Joakim Kjellsson, «North European Enclosure Dam» (Need) getauft. Kostenpunkt: 265 bis 530 Milliarden Franken. Ein Projekt, dessen Väter gar nicht unbedingt wollen, dass es umgesetzt wird.

Der nördliche und weitaus längere Damm würde vom schottischen Festland zur Insel Lerwick (Bildmitte) gezogen, um dann östlich bis zur norwegischen Küste zu verlaufen.
Der nördliche und weitaus längere Damm würde vom schottischen Festland zur Insel Lerwick (Bildmitte) gezogen, um dann östlich bis zur norwegischen Küste zu verlaufen.
Bild: Google Maps

Pioniere gefragt

Die Gründe: Die Abriegelung der Nord- und Ostsee hätte für ganz unterschiedliche Akteure weitreichende Folgen, verdeutlicht Joakim Kjellsson vom Gemonar-Forschungszentrum in Kiel bei «Spiegel Online» – von der Tierwelt über die Fischerei bis zur Schifffahrt.

Nord- und Ostsee bei einem zwei Meter höheren Meeresspiegel mit und ohne Need.

Auch technische Herausforderungen müssten erst gemeistert werden: Die stärksten Pumpen leisten bisher 500 Kubikmeter pro Sekunde: Um das aus den Flüssen in die Nordsee fliessende Wasser wieder aus der Nordsee zu bekommen, wären Pumpen nötig, die 40'000 Kubikmeter pro Sekunde schaffen.

Der Kupferstich «Die erschreckliche Wasser-Fluth« zeigt die «Burchardiflut» im 14. Jahrhundert, die 200'000 Menschen das Leben gekostet haben soll.
Der Kupferstich «Die erschreckliche Wasser-Fluth« zeigt die «Burchardiflut» im 14. Jahrhundert, die 200'000 Menschen das Leben gekostet haben soll.
Bild: Gemeinfrei

Der wichtigste Grund, der gegen den Bau spricht, sei jedoch ein ganz anderer, betont Kjellsson: «Die beste Option nach wie vor, gegen den Klimawandel vorzugehen und zu verhindern, dass eine solche Lösung überhaupt notwendig wird.»

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