«Fähig, bessere Entscheidungen zu treffen»Generation Z feiert auf Tiktok den Frontallappen und liegt damit falsch
Lea Oetiker
23.3.2025
Einige berichten, dass sie nach dem 25. Geburtstag nicht mehr feiern gehen wollten.
KEYSTONE
Die Generation Z behauptet auf TikTok: Erst mit 25 Jahren ist der Frontallappen fertig entwickelt. Deshalb treffen wir vorher leichtsinnige Entscheidungen. Doch stimmt das wirklich? Ein Experte ordnet ein.
Junge Erwachsene behaupten auf den sozialen Medien, dass ihr Frontallappen erst mit 25 Jahren vollständig entwickelt ist und sie dann bessere Entscheidungen treffen können.
So berichten einige, dass seit sie 25 sind, ihnen Dinge plötzlich egal sind, die ihnen früher wichtig waren. Wie beispielsweise von allen gemocht zu werden.
Der Psychotherapeut Serge Brand ordnet für blue News ein: Stimmt das wirklich oder ist es nur ein Trend auf den sozialen Medien.
Eine verpasste Frist, eine unüberlegte Nacht, ein unbedachtes Wort. Vielleicht bist du aber auch zu verkatert zur Arbeit erschienen oder hast Ferien gebucht, obwohl Zuhause noch zu viele offene Rechnungen herumliegen. Falsche Entscheidungen haben wir wohl alle schon getroffen. Aber keine Panik, es liegt nicht an dir. Es ist dein Frontallappen, der noch nicht ganz ausgereift ist. Das behauptet zumindest die Generation Z auf Instagram und TikTok.
Der Frontallappen ist für unsere Bewegung zuständig, für unsere Sprache und für unser soziales Verhalten. Zudem hilft er bei unserer Planung und Problemlösung. Vor allem aber ist die Generation Z vom Fakt besessen, dass er erst mit 25 Jahren ausgereift ist und erst dann «richtig» funktioniert.
Und diese biologische Tatsache hat in den sozialen Medien eine Welle der Selbstreflexion ausgelöst. Junge Erwachsene diskutieren darüber, wie dieser «unfertige» Zustand ihr Verhalten und ihre Entscheidungsfähigkeit beeinflusst. Woher der Trend genau kommt, ist unklar.
Besser «Nein» sagen können
Das Thema wurde auf den sozialen Medien millionenfach aufgerufen. Tausende berichten über ihre Erfahrungen mit der Entwicklung ihres Frontallappens. So erzählt eine Nutzerin: «Ich merkte, wie ich besser Nein sagen konnte, wie ich Dinge besser nachvollziehen konnte. Plötzlich konnte ich besser Nein sagen und wollte nicht mehr von jeder Person gemocht werden.»
Eine andere Nutzerin schreibt: «Du weisst, dass dein Frontallappen entwickelt ist, wenn du deine Haare zu deiner natürlichen Farbe zurück färbst, es dir nichts ausmacht blass zu sein, du es hasst, Make-up zu tragen, du gerne liest, es nicht aushältst auszugehen und du es liebst, zu Hause zu sein.»
Viele junge Erwachsene erwarten also mit Spannung die vollständige Reifung ihres Frontallappens, in der Hoffnung, dass dies positive Veränderungen mit sich bringen wird.
Aber: Trifft man ab 25 wirklich bessere Entscheidungen, weil der Frontallappen dann fertig entwickelt ist?
Die Entwicklung verläuft individuell
«Natürlich nicht», erklärt Serge Brand, Professor und Psychotherapeut bei der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel. «Der Frontallappen ist mit 25 nicht fertig entwickelt.»
Die Entwicklung des Frontallappens würde individuell verlaufen. Bei manchen Menschen stabilisiert sich der Frontallappen etwa im Alter von 25 Jahren, bei anderen früher oder später. Stabilisierung würde jedoch nicht heissen, dass keine Veränderungen mehr stattfinden. Doch vollständig entwickelt sei der Frontallappen laut Brand nie, da das Gehirn ein Organ ist, das sich fortlaufend weiterentwickelt und verändert – bis ins hohe Lebensalter.
Diese Entwicklung des Gehirns wirkt sich auch auf die Art und Weise aus, wie wir Entscheidungen treffen. Brand meint, dass Entscheidungen messbar sind. Man kann ihre Auswirkungen beobachten, zum Beispiel wenn jemand heiratet oder mit 25 Jahren sich dazu entscheidet, in ein anderes Land zu ziehen.
Laut der kognitiven Verhaltenstherapie trifft man zu jedem Zeitpunkt die bestmögliche Entscheidung, basierend auf den verfügbaren Informationen und dem jeweiligen Kontext. Brand erklärt: «Denn es zu jenem Zeitpunkt und mit den verfügbaren Informationen eine bessere Entscheidung gäbe, dann würden wir per definitionem die bessere fällen.»
Wie trifft man gute Entscheidungen?
Um gute Entscheidungen zu treffen, empfiehlt Brand zwei Methoden: Erstens sollte man das soziale Umfeld einbeziehen und sich Rat von vertrauenswürdigen Personen holen. Zweitens kann es hilfreich sein, Vor- und Nachteile schriftlich festzuhalten und diese über einen Zeitraum von etwa einer Woche regelmäßig zu überdenken. Brand betont: «Die Notizen selbst geben einem nicht die Antwort, sondern es geht darum, dass man sagen kann, ich habe alle Vor- und Nachteile abgewogen, sodass ich zu jenem Zeitpunkt die bestmögliche Entscheidung getroffen habe.»
Das Verhalten eines Menschen wird zudem stark von seiner Erziehung, den kulturellen Einflüssen sowie gesellschaftlichen und persönlichen Erwartungen und Fertigkeiten geprägt. Wer in einem Umfeld aufwächst, in dem Risikobereitschaft gefördert wird, wird auch später eher Risiken eingehen – unabhängig vom Alter oder der Stabilisierung des Frontallappens. Brand schliesst mit der Erkenntnis: «Das ist halt eben das Wesen der Zukunft, dass wir nicht wissen, welche Faktoren noch hineinspielen, wenn wir heute eine Entscheidung treffen. Im Nachhinein sind wir eben immer schlauer.»
Also, die Vorstellung, dass mit 25 automatisch bessere Entscheidungen getroffen werden können, ist und bleibt ein Trend auf den sozialen Medien. Wichtiger als das Alter ist, wie man sein Gehirn durch gezielte Übungen und Erfahrungen trainiert, um bessere Entscheidungen zu treffen. Dabei spielt auch eine Rolle, wie effektiv man seine Denkprozesse fördert und die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Hirnregionen stärkt – unabhängig vom Alter.