Untote Macht Von letzter Ruhe keine Spur: Was Evita Pérons Leiche alles erlebt hat

Von David Eugster

3.9.2019

Bis heute bewundert: Evita.
Bis heute bewundert: Evita.
Bild: Keystone/AP/Sergio Goya

Die Geschichte von Evita Pérons Leiche ist so absurd, dass man sie sich nicht ausdenken könnte: Sie reiste um den halben Globus, wurde von Guerilleros freigepresst und musste schliesslich für okkulte Fantasien herhalten.

Als Evita Péron 1952 starb, strömten Millionen von Menschen nach Buenos Aires – einige kamen sogar zu Tode unter dem Ansturm der Massen. Die argentinische Präsidentengattin war mit nur 32 Jahren einem Krebsleiden erlegen.

Jenseits des Ozeans gingen im Vatikan mehrere zehntausend Briefe ein, in denen um ihre Heiligsprechung gebeten wurde. Für den Rest der Amtszeit von Evitas Ehemann Juan Péron mussten die Kinder in den argentinischen Schulen zu «unserer kleinen Mutter, die du bist im Himmel» beten – die tote Evita war damit gemeint.

Bei Evitas Trauerfeier 1952 säumten die Massen die Strassen.
Bei Evitas Trauerfeier 1952 säumten die Massen die Strassen.
Bild: Keystone/AP/Clarin

Wäre es nach der Bevölkerung Argentiniens gegangen, wäre Evita bereits zu Lebzeiten heiliggesprochen worden. Ihre Popularität trug massgeblich zum Erfolg ihres Mannes bei. Ursprünglich ein uneheliches Kind aus armen Verhältnissen konnte sie die Descamisados an sich binden – die Hemdlosen, wie die Ärmsten des Landes genannt wurden.

Evita zog übers Land, verteilte Geschenke und wurde von den Massen als Wohltäterin verehrt. Als ehemalige Schauspielerin in Telenovelas beherrschte sie eine Sprache, die selbst die politisch opportune Liebe zum Präsidenten in ein liebenswert kitschiges Licht tauchte. Doch nicht alle liebten sie: Auf einer Tour durch Europa bewarfen sie Schweizer Kommunisten in Bern mit Tomaten.

Eine lästige Leiche

Juan Péron wusste um die Wichtigkeit seiner Frau für seine Herrschaft – er liess sie deswegen sofort nach ihrem Tod einbalsamieren. Über ein Jahr soll der Prozess gedauert haben, ihren Körper für die Ewigkeit oder zumindest für die Dauer Pérons politischer Karriere haltbar zu machen.

Der Körper der toten Präsidentengattin blieb jedoch verborgen, im Büro einer Gewerkschaft, denn Péron fürchtete seine politischen Gegner. Es wurden sogar drei Kopien der Leiche angefertigt, um Diebstähle zu verhindern. Doch das nützte alles nichts: 1955 wurde Péron gestürzt, er flüchtete ins Exil, und für Evitas Körper begann damit eine 24 Jahre dauernde Odyssee um die Welt.

Untote Macht

Wenn Mächtige sterben, betreibt man immer einen grösseren Aufwand, um sie zu verabschieden. Für Lady Di wurden beispielsweise 10'000 Tonnen Blumen niedergelegt. Aber manche Mächtige gelten als so unentbehrlich, dass man sie gar nicht gehen lassen will. Sie werden mumifiziert, in Mausoleen verehrt und beschäftigen noch als Tote die Nachwelt. Um Anekdoten aus der Geschichte dieser untoten Macht dreht sich diese Reihe.

Die neuen Machthaber unter General Pedro Eugenion Aramburu versuchten jede Erinnerung an Evita zu tilgen, zu sehr war sie zum Aushängeschild von Pérons Herrschaft geworden. Der Flughafen «Evita Peron» in Buenos Aires wurde in «La Plata» zurückbenannt. Plaketten, Büsten und andere Erinnerungen im öffentlichen Raum wurden rigoros entfernt. Das Letzte, was man brauchte, war eine politische Reliquie, also musste die Leiche Evitas verschwinden.

Operation Evasion

Im Dezember 1955 sandte der neue Präsident sogar Geheimdienstagenten aus, um Evitas Körper zu finden. Die angefertigten Kopien verzögerten den Erfolg zumindest: Erst nach der genauen Untersuchung eines abgeschnittenen Ohrläppchens und dem Röntgen eines abgeschnittenen Fingers war man sich sicher, dass man die Heilige Evita gefunden hatte.

Ziel war es nun, sie irgendwo auf dem grössten Friedhof der Hauptstadt zu vergraben, ohne jeglichen Hinweis darauf, wer dort liegen würde. Doch bald erschien eine Beerdigung in Argentinien als zu grosses Risiko – man fürchtete, von Péronisten unterwandert worden zu sein und doch noch unfreiwillig einen Wallfahrtsort zu schaffen. Die Tote musste weg, weit weg.

1957 überfielen Geheimdienstler die italienische Botschaft in Argentinien. Ihr Ziel waren Blanko-Pässe des Landes. Wenige Tage später wurde die dem Regime lästige Leiche nach Rom überstellt, unter dem Namen Maria Maggi. Nach ihrer Ankunft wurde sie mit Hilfe eines Kontaktmannes im Vatikan nach Milano gefahren und dort beerdigt.

Commando Evita

Nur ein sehr kleiner Zirkel um Aramburu wusste von ihrem Grab in Europa. In der argentinischen Öffentlichkeit kursierten nur Gerüchte: Einige glaubten, die Marine hätte Evita in Beton gegossen und auf dem Meeresboden versenkt, andere hofften, sie lebe eigentlich noch.

Mitte der 1960er Jahre gründeten einige ihrer Anhänger eine Guerilla-Gruppe, die Monteneros. Sie idyllisierten Pérons Regierungszeit. Insbesondere Evita erschien ihnen, im Kontrast zu Juan Péron, der im faschistischen Spanien sass, im Rückblick als eine durch und durch linke Ikone. Ihre Losung lautete: «Wäre Evita noch am Leben, sie wäre Montenera». Die Guerilleros überfielen Banken und entführten Prominente, um Geld für die Armen zu erpressen.

1970 entführte ein Commando Evita den Präsidenten Aramburu mit dem Ziel, Evitas (vorläufig) letzte Ruhestätte zu finden. Sie verknüpften Vergeltung mit der Suche nach Evitas Körper: Die Guerilleros erschossen Aramburu kurzerhand, um mit seinen Angehörigen einen Deal auszuhandeln: Evitas Leiche gegen die des toten Aramburu. Der posthume Gefangenenaustausch klappte: Im September 1971 wurde die als Maria Maggi beerdigte Leiche in Eva Péron zurückbenannt und nach Spanien gebracht, wo Juan Péron und seine neue Frau Isabel wohnten.

Okkulte Experimente

1973 konnte Juan Péron nach Argentinien zurückkehren, im Herbst wurde er erneut zum Präsidenten gewählt. Seine Anhängerschaft hatte sich mittlerweile in rechte und linke Péronisten getrennt, was zu einigem Tumult führte. Péron selbst agierte zunehmend antikommunistisch. Den Befreiern seiner toten Frau, die Monteneros, dankte er, indem er sie nun von Todesschwadronen verfolgen liess.

Als Péron im Sommer 1974 starb, wurde seine Frau Isabel zur Präsidentin. Und sie holte Evitas Körper endlich von Europa nach Argentinien zurück. Aber nicht etwa, um der Ikone endlich die verdiente Totenruhe zuzugestehen. Vielmehr wollte sie Evitas politisches Charisma anzapfen, fast wortwörtlich.

Ihr engster Vertrauter in der Regierung, José Lopez Rega, war nicht nur ein blutrünstiger Kommunistenhasser, sondern auch ein bewanderter Okkultist, der hinter vorgehaltener Hand «der Hexer» genannt wurde. Noch im spanischen Exil hatte Rega darauf gepocht, dass Evitas Leiche nicht beerdigt, sondern auf dem Dachboden, nahe bei Isabel, zu liegen habe. Denn er wollte die Leiche nutzen: Manchmal hätten sie, schreiben einige Biografen, in Sitzungen Schwarze Magie betrieben, um die politischen Energien Evitas auf Isabel zu übertragen.

Die beiden planten auch ein riesiges Mausoleum, in dem die beiden Pérons, ihr Widersacher Aramburu und alle vorherigen argentinischen Potentaten ihr Grab finden sollten: den Altar des Vaterlandes. So wollten die zwei – mit der Erlaubnis des Parlaments – auch die Knochen des 1877 verstorbenen ersten Diktators Argentiniens, Juan Manuel de Rosas, in den USA ausgraben und in die Heimat fliegen zu lassen.

Der Altar, so die Vorstellung der Polit-Okkultisten, sollte eine Art politisches Energiezentrum werden, in dem die Kraft aller toten Mächtigen Argentiniens gebündelt werden sollte. Nicht ganz zufällig stand das gruselige Mausoleum am selben Ort, wo ursprünglich ein Monument für die Hemdlosen geplant war.

Evita die Ewige: Die Ikone wird auch heute,  100 Jahre nach ihrer Geburt, noch von vielen verehrt.
Evita die Ewige: Die Ikone wird auch heute,  100 Jahre nach ihrer Geburt, noch von vielen verehrt.
Bild: Keystone/AP/Natacha Pisarenko

Doch daraus wurde nichts: 1976 wurde Isabel entmachtet – und Evitas Leiche endlich auf dem Recoleta Friedhof in Buenos Aires bestattet.

Heute liegt sie in der Gruft ihrer Familie, täglich besuchen Touristen ihr Grab.

Die schönsten Musicalfilme aller Zeiten
Zurück zur Startseite