Mensch und Rausch Von der Seidenstrasse in die Welt – Cannabis-Konsum vor 2'500 Jahren

dpa/uri

13.6.2019

Ein Räuchergefäss mit Steinen von der Begräbnisstätte Jirzankal, die sich im ostchinesischen Teil des Pamirgebirges befindet (undatiertes Handout). Bereits vor 2'500 Jahren rauchten Menschen in China Cannabis – darauf deuten die entsprechende Räuchergefässe hin. 
Ein Räuchergefäss mit Steinen von der Begräbnisstätte Jirzankal, die sich im ostchinesischen Teil des Pamirgebirges befindet (undatiertes Handout). Bereits vor 2'500 Jahren rauchten Menschen in China Cannabis – darauf deuten die entsprechende Räuchergefässe hin. 
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Hanfpflanzen wurden schon vor Jahrtausenden angepflanzt, um daraus Öle oder Stoffe herzustellen. Aber seit wann berauschen sich Menschen an Cannabis? Hinweise darauf liefert eine aktuelle Studie.

Der Rausch begleitet die Menschheit schon seit Jahrtausenden: Zu den bis heute beliebtesten psychoaktiven Drogen gehört Cannabis – und dieses wurde bereits vor 2'500 Jahren in China geraucht. Das besagt zumindest eine aktuelle Studie, deren Ergebnisse im Fachblatt «Science Advances» veröffentlicht wurden. Wie Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts (MPI) für Menschheitsgeschichte in Jena, der Chinesischen Akademie der Wissenschaften sowie der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften (beide Peking) herausfanden, wurden Hanf-Pflanzen im Rahmen von Begräbnisritualen verbrannt und dabei bewusst solche, die besonders berauschend wirkten.

Schon mindestens 3500 vor Christus wurden Hanfpflanzen (Cannabis) in Ostasien angebaut, um Öle aus ihren Samen und Seile oder Stoffe aus ihren Fasern herzustellen. Seit wann Menschen allerdings bekannt ist, dass bestimmte Bestandteile der Pflanze psychoaktive Substanzen enthalten, war lange unklar. Einen der wenigen Hinweise lieferte der antike griechische Geschichtsschreiber Herodot, der um das Jahr 450 vor Christus lebte und in seinen «Historien» von den Skythen berichtete, einem Nomadenvolk aus dem heutigen Südrussland, das sich am Dampf von erhitztem Cannabis berauscht habe.



Für diesen Rausch verantwortlich ist Tetrahydrocannabinol (THC), welches in getrockneten Cannabis-Blättern, Blüten und Blütenständen vorkommt. Früh kultivierte Hanf-Sorten sowie die meisten Wildbestände haben einen eher geringen THC-Anteil, während dieser bei speziell für die Haschisch- oder Marihuana-Produktion gezüchteten Pflanzen seit Jahren steigt.

Cannabissorten mit höherem THC-Gehalt

Dass der THC-Anteil Cannabis-Konsumenten schon vor 2'500 Jahren wichtig war, legt nun die Untersuchung von über zehn hölzernen Räuchergefässen nahe, die im ostchinesischen Pamir-Gebirge gefunden wurden. Als die Wissenschaftler versuchten, deren Funktionsweise festzustellen, entdeckten sie überraschenderweise Verbindungen, deren chemische Signatur genau der von Cannabis entsprach. Und mehr noch: Die Daten belegten, dass die Menschen damals Cannabissorten mit einem höheren THC-Gehalt verbrannten. Nicht festgestellt werden konnte indes, ob die Menschen jene Sorten selbst anbauten oder gezielt sammelten. Auch ob und wie sie den Rauch genau inhalierten geht aus der Studie nicht hervor.

Wilder Cannabis wächst in den Tian-Shan-Bergen Kasachstans. 
Wilder Cannabis wächst in den Tian-Shan-Bergen Kasachstans. 
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Die Räuchergefässe stammten von der Begräbnisstätte Jirzankal, die sich im ostchinesischen Teil des Pamirgebirges befindet. Während jene hoch gelegenen Bergpässe heute eher abgelegen sind, scheinen sie früher auf einer der Hauptrouten der Seidenstrasse gelegen zu haben. Das deuten zumindest manche der geborgenen Artefakte an, welche Spuren von Kulturen anderer Regionen, vor allem aus Zentralasien enthielten. Zudem belegten einige der menschlichen Überreste, dass nicht alle dort gestorbenen Menschen auch vor Ort aufgewachsen waren.

«Die Austauschrouten der frühen Seidenstrasse funktionierten eher wie die Speichen eines Wagenrads als wie eine Fernstrasse und rückten Zentralasien in den Mittelpunkt der damaligen Welt», erklärt Robert Spengler, leitender Archäobotaniker der Studie laut Mitteilung vom MPI für Menschheitsgeschichte: «Unsere Studie impliziert, dass das Wissen über das Rauchen von Cannabis und spezifische Cannabissorten mit hohem Wirkstoffgehalt zu den kulturellen Traditionen gehören, die sich entlang dieser Routen ausbreiteten.»

Vermutlich verbrannten die Menschen von Jirzankal Cannabis bei Ritualen zum Gedenken an ihre Toten, die sie in Gräbern vergruben, über denen sie kreisförmige Hügel, Steinringe und Streifenmuster aus schwarzen und weissen Steinen schufen. Die Autoren der Studie mutmassen, dass die Hanfpflanzen geraucht wurden, um mit den Toten oder göttlichen Mächten in Kontakt zu treten.

Bis zu 227 Millionen Menschen konsumieren 

Heute wird Cannabis vor allem als Freizeitdroge oder zu medizinischen Zwecken genutzt. Rund um den Globus wird dabei über seine Risiken diskutiert, nicht nur wegen der Gefahr der Abhängigkeit, sondern auch wegen möglicher psychischer Langzeitfolgen. Nichtsdestotrotz ist Cannabis weltweit die am häufigsten konsumierte illegale Substanz, die Schätzungen der Vereinten Nationen zufolge von 125 bis 227 Millionen Menschen genommen wird.

Auch in der Schweiz  sei Cannabis die mit Abstand am meisten konsumierte illegale Substanz, berichtet «Suchtmonitoring Schweiz». Aufgrund von Bevölkerungsbefragungen könne demnach davon ausgegangen werden, dass mehr als ein Drittel der Personen ab 15 Jahren bereits Erfahrung mit Cannabis gehabt hätten. Derzeit würden 3,1 Prozent der Schweizer Bevölkerung angeben, dass sie in den in den letzten 30 Tagen Cannabis konsumiert hätten. Das entspreche «hochgerechnet rund 222'000 Personen, die aktuell Cannabis konsumieren».

Und auch hierzulande gibt es Befürworter einer Legalisierung, wie sie etwa in Kanada, den Niederlanden, einigen US-amerikanischen Bundesstaaten und Spanien unter bestimmten Auflagen schon gilt. In der Schweiz ist Cannabis nur für Schmerzpatienten – allerdings erst nach einem komplizierten Bewilligungsverfahren. Für alle anderen sind Anbau, Verkauf oder Besitz verboten.

Die derzeitigen politischen Debatten können durch archäologische Untersuchungen wie ihre ergänzt werden, so die Hoffnung der Autoren. «Die modernen Sichtweisen auf Cannabis variieren kulturübergreifend enorm, aber es ist klar, dass die Pflanze über Jahrtausende hinweg durch den Menschen genutzt wurde, sei es medizinisch, rituell oder zur Entspannung», sagt Archäobotaniker Spengler.

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