Erfolgsgeschichte mit Schattenseiten Vor zehn Jahren eröffnete der erste Windpark in der Nordsee

dpa

19.4.2019

Als sich vor zehn Jahren die ersten Windräder in der Nordsee drehten, waren viele Experten skeptisch. Seitdem hat die Offshore-Windenergie technisch und wirtschaftlich eine starke Entwicklung hingelegt. Doch Naturschützer warnen vor der Schattenseite des Erfolgs.

Windräder in die Nordsee stellen und damit umweltfreundlich produzierten Strom ernten – diese Technologie ist heute zur Umsetzung von Energiewende und Atomausstieg nicht mehr wegzudenken. «Zu Beginn des Offshore-Zeitalters herrschte jedoch grosse Skepsis», erinnert sich Jörg Buddenberg. «Die bislang unerprobte Technik funktioniert nie, sagten damals die Kritiker.» Der Geschäftsführer beim Oldenburger Energieversorger EWE sieht den Bau des ersten Windpark-Testfeldes Alpha Ventus in der Nordsee vor zehn Jahren als Pionierprojekt: «Das war zwar kein Renditethema, aber eine wichtige Investition in die Zukunft.»

Zwölf Anlagen der Fünf-Megawatt-Klasse drehen sich im Test-Windpark Alpha Ventus 45 Kilometer nördlich der Insel Borkum. Die Nordsee ist dort 30 Meter tief – nur eine von vielen Herausforderungen für die Techniker beim Aufbau der ersten Anlagen im April 2009. Schlechtes Wetter mit Sturm und hohen Wellen erschwerten die Bauarbeiten. Die Kosten verteuern sich um 60 auf 250 Millionen Euro. Doch im April 2010 geht Alpha Ventus in Betrieb. Der damalige Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) bezeichnet die Eröffnung als «schönsten Tag seiner Amtszeit».

Mehrfach Rückschläge

Für das Pilotprojekt hatten EWE und die Stromkonzerne Eon und Vattenfall das Konsortium Doti gegründet. Die Erfahrungen aus dem Testfeld sollten allen künftigen Offshore-Windparks zu Gute kommen. Mehrfach kommt es zu Rückschlägen: 2012 stirbt ein Berufstaucher bei Unterwasserarbeiten. Ende 2010 müssen sechs Getriebe mit Lagerschäden ausgetauscht werden. Diese sechs Anlagen sind auch 2018 zeitweise ausser Betrieb, nachdem Teile einer Gondel abgestürzt sind.



Und doch ist aus den ersten Schritten vor zehn Jahren ein langer Weg geworden – und technisch und wirtschaftlich eine Erfolgsgeschichte. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nimmt an diesem Dienstag offiziell den Windpark Arkona nordöstlich der Insel Rügen in Betrieb. Fast zwei Dutzend Windparks wurden in nur zehn Jahren gebaut; mehr als 1300 Windräder mit einer Leistung von rund 6,4 Gigawatt drehen sich auf Nord- und Ostsee. Das entspricht ungefähr sechs bis sieben grossen Atomkraft- oder Kohlekraftwerken.

Grösser und wirtschaftlicher

Sie lieferten im vergangenen Jahr rund 19 Terawattstunden Strom. In diesem Jahr ist abermals mit einem kräftigen Plus der Produktion zu rechnen; allein im ersten Quartal war es ein Drittel. Damit dürfte im laufenden Jahr fast ein Fünftel des gesamten deutschen Windstroms auf See erzeugt werden. Die Windparks liefern zuverlässig, und die Leistung ist gut vorhersehbar; an 363 Tagen drehen sich die Rotoren und erreichen rechnerisch 4500 Volllast-Stunden. Das sind fast doppelt so viele wie Windkraftwerke an Land.

Die Windparks und die einzelnen Windkraftwerke werden nicht nur immer leistungsfähiger und grösser, sondern auch immer wirtschaftlicher. Alpha Ventus startete mit zwölf Fünf-Megawatt-Anlagen, heute sind Windkraftwerke mit acht Megawatt am Markt und zehn Megawatt in Sichtweite. Der Windpark Arkona besteht aus 60 Windrädern mit 6,4 Megawatt Leistung, also 384 Megawatt insgesamt.

Branche fordert mehr

Zudem können die Windkraftwerke auf dem Meer den Strom auch immer kostengünstiger produzieren. Die sogenannten Gestehungskosten halbierten sich von 10 bis 15 Cent auf 5 bis 9 Cent je Kilowattstunde, je nach Anlage. Damit ist Windstrom aus der Nord- und Ostsee wettbewerbsfähig zu anderen Energieträgern. Das ist gut für die Stromkunden, die den Aufbau der Branche mit Milliardenbeträgen finanziert haben. Die ersten Anlagen ohne Förderung nach dem EEG-Gesetz haben schon einen Zuschlag bekommen. Sie finanzieren sich allein über den Markt.

Umso weniger kann die Branche verstehen, warum die Politik ihr Fesseln anlegt. «Die Ausbauziele für das Jahr 2030 müssen von 15 auf 20 Gigawatt heraufgesetzt werden und auf 30 Gigawatt für 2035», fordert Andreas Wagner von der Stiftung Offshore-Windenergie. Anders sei das Ziel der Bundesregierung nicht zu erreichen, bis 2030 rund 65 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien zu gewinnen. Die Stiftung sieht ein Potenzial für die Offshore-Windenergie von 57 Gigawatt bis 2050. Das wären dann ungefähr 5000 Windkraftwerke.

Grenzen der Belastbarkeit

Naturschützern wird bei solchen Plänen angst und bange. «Das wäre keine grüne Energiewende mehr», sagt Kim Detloff, Meeresexperte beim Naturschutzbund Nabu. Er sieht Fehler der Entwicklung der Offshore-Windenergie, die sich nicht wiederholen sollten, zum Beispiel beim Schutz von Vogelrouten und Rastgebieten oder der empfindlichen Schweinswale.

Detloff plädiert für einen intensiven Dialog zwischen allen Beteiligten, eine Analyse der ökologischen Tragfähigkeit von Nord- und Ostsee und eine gesellschaftliche Verständigung über die Prioritäten bei der vielfältigen Meeresnutzung. Die Politik diskutiere das Thema oft sektoral unter einem technologischen und wirtschaftlichen Blickwinkel. Doch das gehe an der Realität des Natur- und Artenschutzes vorbei. «Es geht Nord- und Ostsee nicht gut», sagte der Naturschützer. «Die Grenzen der Belastbarkeit müssen bei der weiteren Planung eine wichtige Rolle spielen.»

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