Fake News im KaiserreichWie Sansibar Mythos und Helgoland deutsch wurde
Von Philipp Dahm
9.8.2020
Wie Sansibar Mythos und Helgoland deutsch wurde
10. August 1890: Einen Tag nach Übergabe der Nordsee-Insel Helgoland von Grossbritannien an das Deutsche Kaiserreich feiern die beiden Länder das Ereignis mit einer Parade. Helgoland wurde von Deutschen besiedelt, ...
Bild: Gemeinfrei
... war zunächst dänisch, fiel aber nach dem Krieg 1807 an das Vereinigte Königreich. Die Briten nutzten das Eiland, um Napoleons Kontinentalsperre zu umschiffen. Nach Frankreichs Niederlage entwickelte sich Helgoland zum Seebad.
Bild: Gemeinfrei
Schriftsteller und Maler machten die Insel zu einem Sehnsuchtsort der Deutschen, deren Hymne hier geschrieben wurde. Die Bewohner wurden zur Übergabe an Deutschland nicht befragt, waren aber wohl mehrheitlich dagegen, obwohl sie Deutsch sprachen.
Bild: Gemeinfrei
Hier sehen wir deutsche Soldaten mit dem Bürgervertreter der Helgoländer, der zuvor die neue Hausmacht willkommen heissen musste. Die Begeisterung steht dem Zivilisten ins Gesicht geschrieben.
Bild: Gemeinfrei
Doch kaum war der Tausch gemacht, wünschten sich auch schon einige die Insel Sansibar zurück, hier auf einem Bild von 1860. Revisionisten beklagten, man habe eine Perle im Indischen Ozean gegen einen Nordsee-Felsen verramscht.
Bild: Gemeinfrei
Dabei war Sansibar nie deutsch, auch wenn hier die deutsche Poststelle in dem Sultanat zu sehen ist: Deutsche Kaufleute hatten wie auch englische einigen Einfluss und Berlin gehörte das Land vor der Küste, mehr aber auch nicht.
Bild: Gemeinfrei
Sansibar Stadt im 19. Jahrhundert: Die Abmachung zwischen Engländern und Deutschen umfasste viele Gebietsklärungen und das Abstecken und Interessensphären. Die Mär vom banalen Helgoland-Sansibar-Tausch ...
Bild: Gemeinfrei
... hatte Otto von Bismarck in die Welt gesetzt, um seinem Nachfolger als Kanzler, Leo von Caprivi, zu schaden. Von seinem Altersruhesitz in Friedrichsruh im Sachsenwald bei Hamburg betrieb der pensionierte Politiker sehr aktive Pressepolitik.
Bild: Gemeinfrei
Wie Sansibar Mythos und Helgoland deutsch wurde
10. August 1890: Einen Tag nach Übergabe der Nordsee-Insel Helgoland von Grossbritannien an das Deutsche Kaiserreich feiern die beiden Länder das Ereignis mit einer Parade. Helgoland wurde von Deutschen besiedelt, ...
Bild: Gemeinfrei
... war zunächst dänisch, fiel aber nach dem Krieg 1807 an das Vereinigte Königreich. Die Briten nutzten das Eiland, um Napoleons Kontinentalsperre zu umschiffen. Nach Frankreichs Niederlage entwickelte sich Helgoland zum Seebad.
Bild: Gemeinfrei
Schriftsteller und Maler machten die Insel zu einem Sehnsuchtsort der Deutschen, deren Hymne hier geschrieben wurde. Die Bewohner wurden zur Übergabe an Deutschland nicht befragt, waren aber wohl mehrheitlich dagegen, obwohl sie Deutsch sprachen.
Bild: Gemeinfrei
Hier sehen wir deutsche Soldaten mit dem Bürgervertreter der Helgoländer, der zuvor die neue Hausmacht willkommen heissen musste. Die Begeisterung steht dem Zivilisten ins Gesicht geschrieben.
Bild: Gemeinfrei
Doch kaum war der Tausch gemacht, wünschten sich auch schon einige die Insel Sansibar zurück, hier auf einem Bild von 1860. Revisionisten beklagten, man habe eine Perle im Indischen Ozean gegen einen Nordsee-Felsen verramscht.
Bild: Gemeinfrei
Dabei war Sansibar nie deutsch, auch wenn hier die deutsche Poststelle in dem Sultanat zu sehen ist: Deutsche Kaufleute hatten wie auch englische einigen Einfluss und Berlin gehörte das Land vor der Küste, mehr aber auch nicht.
Bild: Gemeinfrei
Sansibar Stadt im 19. Jahrhundert: Die Abmachung zwischen Engländern und Deutschen umfasste viele Gebietsklärungen und das Abstecken und Interessensphären. Die Mär vom banalen Helgoland-Sansibar-Tausch ...
Bild: Gemeinfrei
... hatte Otto von Bismarck in die Welt gesetzt, um seinem Nachfolger als Kanzler, Leo von Caprivi, zu schaden. Von seinem Altersruhesitz in Friedrichsruh im Sachsenwald bei Hamburg betrieb der pensionierte Politiker sehr aktive Pressepolitik.
Bild: Gemeinfrei
Vor 130 Jahren, am 9. August 1890, übergeben die Briten die Nordseeinsel Helgoland an die Deutschen. Der Vorgang ist ein Lehrstück für strategische Machtpolitik, historische Fake News und koloniales Geschacher.
Fake News gibt es nicht erst seit Donald Trump – auch wenn es der US-Präsident war, der diesen Begriff unters Volk gebracht hat. Falschmeldungen sind seit jeher ein Instrument der Politik und müssen wohl dann als besonders erfolgreich erachtet werden, wenn sie sich hartnäckig halten.
In Deutschland ist das etwa bei der alten Mär der Fall, Hitler habe die Autobahnen gebaut – obwohl diese Infrastrukturmassnahmen schon in der Weimarer Republik beschlossen worden waren. In jener Weimarer Republik wiederum geisterte die Geschichte durchs Land, die deutsche Armee sei im Ersten Weltkrieg eigentlich «im Felde unbesiegt» geblieben.
Das ist natürlich Mumpitz, gehört aber in den Kontext der «Dolchstosslegende», mit der die Oberste Heeresleitung davon ablenkt, dass sie den Krieg verloren hat. Die Generäle fahren den Karren an die Wand, erklären 1918 dem Kaiser und den überraschten Politikern, dass die Lage aussichtslos ist – und schieben Letzteren dann die Schuld für den Versailler «Diktatfrieden» in die Schuhe.
Neben demokratischen Volksvertretern werden auch «Bolschewiken» und Juden zu Sündenböcken gemacht. Die «Dolchstosslegende» überdeckt die wahren Ursachen des verlorenen Krieges, kanalisiert die Wut der Deutschen über die Friedensbedingungen und hält sich hartnäckig bis weit in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.
Lügenpresse 1890
Noch älter ist der Seemannsgarn, der zwei Inseln betrifft, die deutsche Sehnsuchtsorte waren: Helgoland und Sansibar. Die Gewürzperle im Indischen Ozean und der Steinfels in der Nordsee, der am 9. August vom britischen Gouverneur an den deutschen Staatssekretär Karl-Heinrich von Boetticher übergeben wurde. Dass die ungleichen Eilande getauscht worden sind, sind Fake News, die bis heute Bestand haben.
Schon der verkürzte Name des Dokuments des Gebietstausches ist verfälschend und wurde bewusst in die Welt gesetzt: Helgoland-Sansibar-Vertrag. Der Grund: Die Übereinkunft zwischen London und Berlin befasst sich ausdrücklich mit «Kolonien und Helgoland» – es ging also um sehr viel mehr. Doch das ist dem Mann egal, der die Gerüchte über den Vertrag streut, den er auch noch selber ausgehandelt hat: Kein Geringerer als Otto von Bismarck verbreitet die Fake News vom Tausch Helgoland gegen Sansibar.
Der «Eiserne Kanzler», der im März 1890 von Kaiser Wilhelm II. entlassen wurde, lädt Journalisten auf seinen Altersruhesitz nach Friedrichsruh im Sachsenwald bei Hamburg ein – und beklagt sich bitterlich über den deutsch-englischen Vertrag, der am 1. Juli 1890 unterzeichnet wurde. Von Bismarck verknüpft vorsätzliche Details, verkürzt Inhalte und verdreht sie: «Ein Rock gegen einen Knopf» sei da getauscht worden, diktiert der 75-Jährige den Reportern in die Schreibblöcke.
Einfache Slogans: Hose gegen Knopf
Der Vergleich vom Tausch einer Hose gegen einen Knopf macht schnell die Runde. Bismarcks Kritik stösst bei Kolonialisten und Nationalisten auf offene Ohren. Was die Stimmungsmache soll? Der Ex-Kanzler will mit der üblen Nachrede seinen Nachfolger diskreditieren, der für den «neuen Kurs» des jungen deutschen Kaisers steht.
Innenpolitisch steht jener Leo von Caprivi für einen Ausgleich – ein rotes Tuch für einen Hardliner wie Bismarck. Aussenpolitisch beruht der Vertrag auf seinen eigenen Vorverhandlungen – und gehört im Kolonialismus zum guten Ton.
Denn der «Vertrag zwischen dem Deutschen Reich und dem Vereinigten Königreich über die Kolonien und Helgoland» umfasst jede Menge Grenzfragen, deren Klärung unabdingbar für aussenpolitische Stabilität ist. Wie viele Gebiete und Abtretungen das beinhaltet, zeigt untenstehende Bildergalerie. Der wohl wichtigste Faktor ist jedoch: Sansibar gehört dem Kaiserreich gar nicht.
Vertrag über die Kolonien und Helgoland
Der Vertrag zwischen dem Deutschen Reich und dem Vereinigten Königreich über die Kolonien und Helgoland vom 1. Juli 1890 regelt nicht nur die Übergabe der Nordseeinsel an Berlin, sondern umfasst viele weitere Absprachen mit London.
Bild: Gemeinfrei
Das Sultanat Sansibar war zuerst einmal nicht deutsch. Zu diesem gehört die Insel Pemba im Süden und ein Küstenstreifen. Der Rest von Küste und Hinterland ist deutsche Kolonie. Die beiden Inseln werden als britische Einflusssphäre anerkannt. London muss den Sultan überzeugen, ...
Bild: Gemeinfrei
... den Küstenstreifen aufzugeben, damit kein englischer «Stachel» in Deutsch-Ostafrika entsteht. Ausserdem werden die Grenzen von Berlins Kolonie nach Norden zu Britisch-Ostafrika (Kenia), nach Nordosten zu Britisch-Uganda und im Südwesten zu Rhodesien (heute Sambia) abgesteckt (rosa Flächen).
Bild: Gemeinfrei
Berlin nahm dafür Abstand von einem Schutzvertrag mit dem Sultan von Witu, einem schmalen Küstenstreifen im heutigen Kenia, zu dem auch die Insel Lamu gehörte. Kenia hiess damals noch Britisch Ostafrika.
Bild: Gemeinfrei
Im Osten Rhodesiens wird die Grenze zu Deutsch-Südwest-Afrika, dem heutigen Namibia, geklärt. Auch zwischen Deutsch-Südwest und der Kapkolonie alias Südafrika geschieht das. Ganz im Norden erhält Namibia ausserdem Zugang zum Sambesi-Fluss – den sogenannten Caprivi-Zipfel.
Bild: Gemeinfrei
Auch hier gab es Klärungsbedarf: Die Grenze der Kolonien Kameruns und Nigeria sowie weiter im Westen zwischen Togo und Ghana galt es zu ziehen. Kamerun bekam ausserdem Anschluss an den Tschadsee.
Bild: Gemeinfrei
Ausserdem ging es Deutschen und Briten noch um Handels-, Steuer- und Missionarsrechte. Auf britischer Seite musste das Parlament zustimmen. Hier sehen Sie den deutschen Kaiser und seinen Cousin, den britischen König. Sie haben Uniformen getauscht: Wilhelm II. trägt Schwarz, rechts neben ihm George V. mit Pickelhaube.
Bild: Gemeinfrei
Vertrag über die Kolonien und Helgoland
Der Vertrag zwischen dem Deutschen Reich und dem Vereinigten Königreich über die Kolonien und Helgoland vom 1. Juli 1890 regelt nicht nur die Übergabe der Nordseeinsel an Berlin, sondern umfasst viele weitere Absprachen mit London.
Bild: Gemeinfrei
Das Sultanat Sansibar war zuerst einmal nicht deutsch. Zu diesem gehört die Insel Pemba im Süden und ein Küstenstreifen. Der Rest von Küste und Hinterland ist deutsche Kolonie. Die beiden Inseln werden als britische Einflusssphäre anerkannt. London muss den Sultan überzeugen, ...
Bild: Gemeinfrei
... den Küstenstreifen aufzugeben, damit kein englischer «Stachel» in Deutsch-Ostafrika entsteht. Ausserdem werden die Grenzen von Berlins Kolonie nach Norden zu Britisch-Ostafrika (Kenia), nach Nordosten zu Britisch-Uganda und im Südwesten zu Rhodesien (heute Sambia) abgesteckt (rosa Flächen).
Bild: Gemeinfrei
Berlin nahm dafür Abstand von einem Schutzvertrag mit dem Sultan von Witu, einem schmalen Küstenstreifen im heutigen Kenia, zu dem auch die Insel Lamu gehörte. Kenia hiess damals noch Britisch Ostafrika.
Bild: Gemeinfrei
Im Osten Rhodesiens wird die Grenze zu Deutsch-Südwest-Afrika, dem heutigen Namibia, geklärt. Auch zwischen Deutsch-Südwest und der Kapkolonie alias Südafrika geschieht das. Ganz im Norden erhält Namibia ausserdem Zugang zum Sambesi-Fluss – den sogenannten Caprivi-Zipfel.
Bild: Gemeinfrei
Auch hier gab es Klärungsbedarf: Die Grenze der Kolonien Kameruns und Nigeria sowie weiter im Westen zwischen Togo und Ghana galt es zu ziehen. Kamerun bekam ausserdem Anschluss an den Tschadsee.
Bild: Gemeinfrei
Ausserdem ging es Deutschen und Briten noch um Handels-, Steuer- und Missionarsrechte. Auf britischer Seite musste das Parlament zustimmen. Hier sehen Sie den deutschen Kaiser und seinen Cousin, den britischen König. Sie haben Uniformen getauscht: Wilhelm II. trägt Schwarz, rechts neben ihm George V. mit Pickelhaube.
Bild: Gemeinfrei
Helgoland hingegen liegt am Eingang zur Deutschen Bucht und in Verlängerung des 1887 fertiggestellten Kaiser-Wilhelm-Kanals, der heute Nord-Ostsee-Kanal heisst. Nicht umsonst wird sofort nach der Übergabe der Insel mit dem Ausbau zur Festung begonnen.
Die Helgoländer selber sind ein eigenes Völkchen, das sich von der Geschichte nicht hat beeindrucken lassen. Obwohl die Bewohner Deutsche sind, sind sie gegen den Gebietstausch, wie englischer und deutscher Geheimdienst feststellen. Sie haben jedoch kein Mitspracherecht – für einmal sind also Deutsche beispielsweise Afrikanern gleichgestellt, denen territoriale Lösung gleichwohl nach dem Motto «Friss oder stirb» vermittelt wird.
Als Helgoland noch seinen englischen Namen trägt, wird diese Insel zu einem Sehnsuchtsort der Deutschen, der «eigentlich deutsch sein» sollte. Die Nationalhymne ist auf diesem Felsen geschrieben worden. Nach Bismarcks Propagandaschachzug verkehrt sich die Sichtweise: Plötzlich ist Sansibar die exotische Perle im Indischen Ozean, deren Gewürze und orientalische Reichtümer nun in britische Hände fallen.
Pressepolitik: Bismarck, der Stänkerer
Bismarcks Pressepolitik hatte Erfolg: Nach zwei Jahren wirft Leo von Caprivi entnervt das Handtuch. Dem innenpolitisch reaktionären und aussenpolitisch genialen Bismarck kann man aus heutiger Sicht nur attestieren, das Thema Fake News perfektioniert zu haben, bevor Donald Trump den Begriff aufgegriffen hat.
Der Mann hat eine relativ belanglose diplomatische Nachricht Preussens an Frankreich derart gekürzt an eine deutsche Zeitung weitergegeben, dass sie wie eine Beleidigung der Republik klang. Die «Emser Depesche» verfehlt ihre Wirkung nicht: Frankreich erklärt 1871 einen Krieg, den Preussen nicht hätte erklären dürfen. Das Ergebnis: Preussen siegt – und gründet das Deutsche Kaiserreich.
Auch die Fake News vom Helgoland-Sansibar-Tausch tun ihre Wirkung – und unterstreichen die Effektivität der frühen Pressemanipulation. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet jener Otto von Bismarck das wohl erste Paparazzi-Opfer der Welt wird: Nach seinem Dahinscheiden dringen zwei ein Fotograf in seine Gemächer in Friedrichsruh ein und fotografieren die deutsche Ikone auf seinem Sterbebett.
Vielleicht würde Bismarck das heute höchstselbst «Quidproquo» nennen.