Justiz Verteidigerin kritisiert «Hexenjagd» gegen angeklagte Mutter

hn, sda

19.1.2021 - 16:54

Gegen die wegen Kindsmisshandlung angeklagte Frau sei eine regelrechte Hexenjagd veranstaltet worden. Zu diesem Schluss kam am Dienstag ihre Verteidigerin vor Gericht in Burgdorf.

Seit sieben Jahren stehe die Frau unter einem schrecklichen Verdacht, der die ganze Familie belaste. Die Anklage beruhe einzig und allein auf einem Verdacht der Ärzte, die keine eindeutige Erklärung für die Anfälle des kleinen Mädchens fanden.

Für eine Verurteilung dürften aber keine Zweifel an einer Täterschaft der Mutter bestehen. Ansonsten müsse das Gericht die Angeklagte in dubio pro reo freisprechen.

Nach dem Absetzen einer Gefährdungsmeldung im Jahr 2014 sei alles, was ihre Mandantin gesagt oder gemacht habe, gegen sie verwendet und mit einer mutmasslichen psychischen Störung in Verbindung gebracht worden, an der die heute 41-jährige leide. Vieles sei überdramatisiert worden.

Anders als die Anklage vermuten lasse, sei die Mutter nicht die einzige, die die Anfälle des Mädchens beobachtet habe. Auch Pflegepersonen im Spital, eine Kinderärztin, der Vater und andere Verwandte hätten diese Krampfzustände beobachtet.

Die Verteidigerin forderte für ihre Mandantin einen Freispruch.

Über sechs Jahre Freiheitsstrafe

Zuvor hatte die Staatsanwältin für die Mutter eine Freiheitsstrafe von 6 Jahren und 6 Monaten gefordert. Vollzugsbegleitend sei die Frau einer therapeutischen Massnahme zu unterziehen. Sie sah die Täterschaft der Mutter als erwiesen an.

Die Anwältin des Opfers warnte davor, die Familie durch den Vollzug einer Freiheitsstrafe auseinanderzureissen. Seit rund sieben Jahren sei es zu keinen Vorfällen mehr gekommen und das Mädchen habe sich nach einer vorübergehenden Fremdplatzierung wieder gut in der Familie eingelebt. Ein Strafvollzug der Mutter hätte verheerende Auswirkungen auf die weitere Entwicklung des Kindes und der Familie.

Die Anwältin des Opfers forderte für das Mädchen eine Genugtuung in einer vom Gericht zu bestimmenden Höhe von jedoch mindestens 25'000 Franken.

Die Angeklagte selber bat in ihrem letzten Wort ebenfalls, die intakte Familie nicht auseinanderzureissen.

Münchhausen-Syndrom

Die Frau steht seit Montag vor dem Regionalgericht in Burgdorf, weil sie zwischen 2012 und 2014 ihr Kleinkind misshandelt haben soll. Ihr wird versuchte vorsätzliche Tötung vorgeworfen.

Sie habe den Tod ihres Töchterchens mehrfach in Kauf genommen, um Krampfanfälle bei dem Kleinkind herbeizuführen. Dazu habe sie immer wieder die Atmung des Kindes unterbunden und so Erstickungskrämpfe hervorgerufen. Auch habe sie dem Kind teilweise ohne ärztliche Indikation starke Beruhigungsmittel, sogenannte Benzodiazepine, verabreicht.

Laut einem psychiatrischen Gutachten litt die Frau zur Tatzeit am sogenannten Münchhausen-bi-proxy-Syndrom, führte die Staatsanwältin aus. Betroffene täuschen bei ihnen nahestehenden Personen Krankheiten vor oder lösen sie aus, um ärztliche Behandlung zu erhalten oder selbst als aufopfernde Pflegende agieren zu können.

Die Mutter sagte vor Gericht, sie habe diese Krampfanfälle einfach festgestellt und sich an die Ärzte gewandt. Diese vermuteten zunächst eine Epilepsie und verschreiben entsprechende Medikamente. Bei mehrfachen Untersuchungen fanden sich keine Hinweise auf eine Epilepsie, wie zwei ärztliche Sachverständige vor Gericht bestätigten.

Als das Kind vorübergehend fremdplatziert und die Medikamente abgesetzt wurden, besserte sich sein Zustand. Seither wurden in der Familie keine Vorfälle mehr aktenkundig.

Das Gericht wird sein Urteil am Freitag bekanntgeben.

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