Das Mädchen, das 2011 in der Cholerenschlucht bei Adelboden zu Tode stürzte, habe auf ihn einen fitten Eindruck gemacht, sagte der Bergführer, der das Mädchen und seine Kollegin begleitet hatte, am Dienstag vor dem Berner Obergericht.
Die beiden Mädchen hatten den Klettertag bei einem Outdooranbieter im Berner Oberländer Ferienort gebucht. Vor einem Hotel nahm sie der Bergführer in Empfang. Er habe einen positiven ersten Eindruck der beiden Teenager gehabt, betonte der Mann. Das Trio ging zunächst in einen Seilpark und in einen Klettergarten, wo die Mädchen verschiedene Techniken erlernten.
Bei diesen Aktivitäten erkenne man sofort, ob sich jemand linkisch anstelle, ängstlich oder unkonzentriert sei, erzählte der Bergführer. Die Mädchen hätten "ihre Sache gut gemacht" und problemlos umgesetzt, was er ihnen gezeigt habe.
So habe er entschieden, am Nachmittag mit den beiden Teenagern in die Cholerenschlucht bei Adelboden zu gehen, um sich dort abzuseilen. Diesen Entscheid treffe er nur, wenn er überzeugt sei, dass die Gäste der Sache gewachsen seien.
Bevor sie zum Abseilpunkt wanderten, instruierte der Bergführer die Mädchen: "Schaut, wo ihr hintretet". Die Dreiergruppe machte sich auf und benutzte dabei einen nicht offiziell als Wanderweg markierten Pfad, der von der Outdooranbieterin unterhalten wird. Die drei waren auf dem Weg nicht angeseilt.
Als die Gruppe beim Fixseil ankam, sicherte sich der Bergführer und wollte gerade das eine Mädchen ans Seil nehmen, als das zweite stolperte und "wie ein Geschoss" über einen mit Gras und kleinen Büschen durchsetzten Abhang hinunterrutschte und in die Schlucht fiel.
Dort wurde die 13-jährige Ostschweizerin vom Tschentenbach rund 60 Meter mitgerissen. Das Mädchen starb auf dem Weg ins Spital. Der Bergführer wurde in erster Instanz vom Regionalgericht Berner Oberland vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen. Angehörige des Mädchens zogen das Urteil weiter.
Ein Tollpatsch?
Vor dem Obergericht anwesend war am Dienstag lediglich die Halbschwester des Unfallopfers. Die übrigen Privatkläger waren dispensiert. Die Halbschwester beschrieb das Mädchen als tollpatschig. "Alle haben gewusst, dass sie zwei linke Füsse hat."
Sie habe eine sehr enge Beziehung zu der Verunglückten gehabt und sei eine Art Ersatzmutter für sie neun Jahre jüngere Halbschwester gewesen. "Mit ihr starb auch ein Teil von mir", sagte die junge Frau vor Gericht. Sie leide auch heute noch unter dem Verlust.
Der Bergführer hingegen gab an, er hätte es bemerkt, wenn sich eines der beiden Mädchen tollpatschig verhalten hätte. Er habe auch keine Hinweise gesehen, dass die Mädchen motorische oder koordinative Probleme gehabt hätten.
Umstritten ist insbesondere auch die Frage, ob der Bergführer die beiden Mädchen auf dem Weg zum Abseilpunkt hätte anseilen müssen. Die Frage, ob Anseilen oder nicht, sei im Bergführerberuf allgegenwärtig. Die Mädchen hätten jedoch im Verlauf des Tages einen trittsicheren Eindruck hinterlassen.
Am Nachmittag wurde noch ein Experte vernommen, bevor die Parteienvertreter das Wort für die Plädoyers erhalten. Das Urteil wird für Freitag erwartet.
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